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Ansichtssache. El Greco malte Toledo, seine spanische Wahlheimat, unter düsterem Gewölk. Tatsächlich präsentiert sich die Hauptstadt von La Mancha meist unter strahlend blauem Himmel.

© The Yorck Project

El Greco in Toledo: Im Schleier des Lichts

Sein Ruhm ist legendär, seine Werke betören: Vor 400 Jahren starb El Greco in Toledo. Die Stadt feiert ihn stolz.

In Toledo scheint die Sonne aus strahlend blauem Himmel. Das sagen alle, die die Hauptstadt der Region La Mancha kennen. Nichts ist so wie auf der Stadtansicht des Malers El Greco, die im New Yorker Metropolitan Museum bewahrt wird – sehr zum Leidwesen der Toledaner. Da fällt fahles Gewitterlicht auf die Stadt, deren Häuser wie von einem nächtlichen Blitz weiß umrissen sind, dahinter ein grau-schwarzer Himmel.

Wie es der Zufall will, ziehen bei unserem Besuch in der Stadt hoch über dem Fluss Tajo, der hier einen Halbkreis um den Granitfelsen beschreibt, auf dem Toledo seit römischen Zeiten immer wieder neu erbaut wurde, eben dieses grau- schwarze Gewölk auf. Vor ihnen senkt sich das Sonnenlicht, das gelegentlich durch Wolkenlöcher dringt, wie ein weißer Schleier herab. Genau wie bei El Greco. Wer hat denn nun recht?

Der 1541 auf Kreta geborene Domenikos Theotokópoulos, den erst die Nachwelt zu El Greco verkürzte, während er selbst mit vollem Namen und noch dazu in griechischer Schrift signierte, lebte seit 1577 in Toledo. Dort verstarb er auch, am 7. April 1614. Sein 400. Todestag gibt Anlass zu einem veritablen El-Greco-Gedenkjahr, zuvörderst in seiner Wahlheimat Toledo. Doch selbstverständlich auch in Madrid, wo im Prado-Museum die größte Sammlung von Werken des Malers beisammen ist. Die zweitgrößte befindet sich im New Yorker Metropolitan Museum, als Folge sowohl der Verarmung Spaniens im 19. Jahrhundert als auch der Geringschätzung, die das Werk El Grecos bald nach dessen Tod erlitt.

Das eindrucksvolle Hospital Tavera ist der Ort des ersten Auftrags

Der reale und der zu Legende gewordene El Greco, das wird deutlich, sind zwei sehr ungleiche Brüder. In Toledo angekommen fühlt sich der Besucher beinahe unsanft auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: ein dreigleisiger Kopfbahnhof, in maurischem Historismus 1916 erbaut, von dort über eine neuzeitliche Straßenbrücke bis vor die Stadtmauer und an ihr entlang – das ist der Weg, den ankommende Besucher dieser 90 000-Einwohner-Stadt nehmen. Die Faszination, die das unvermittelt aus öder Ebene auftauchende und dann so spektakulär über dem tief eingegrabenen Fluss thronende Toledo einst ausgeübt haben muss, ist zur gefälligen Postkartenansicht geschrumpft.

Wie ein Gemälde. Toledo, die kleine Großstadt, hat heute rund 90 000 Einwohner.
Wie ein Gemälde. Toledo, die kleine Großstadt, hat heute rund 90 000 Einwohner.

© Schulz

Ein Glück, dass diese Gewitterwolken aufgetaucht sind und nun sogar Düsternis mit Donnergrollen bringen! So wird das mysthische Leuchten, das El Greco seiner Stadt angedichtet hat, glaubhaft. Um nicht nur auf den Spuren, sondern auch in der Biografie des Malers zu bleiben, der eher zufällig nach Toledo kam, weil ihm die erhoffte und allzu ehrgeizig angestrebte Anstellung als Hofmaler König Philipps II. versagt blieb, beginnen wir den Rundgang vor den Toren der Stadt. Das eindrucksvolle Hospital Tavera ist der Ort des ersten Auftrags für den venezianischen Griechen.

Kreta gehörte zum Mittelmeer-Reich der Republik Venedig, und nach einer Ausbildung zum orthodoxen Ikonenmaler ging Domenikos nach Venedig, um dort die Kunst von Tizian bis Tintoretto zu studieren. Es schloss sich ein Aufenthalt in Rom an, der unfriedlich endete. So ergriff der Maler die Gelegenheit, nach Spanien überzusetzen und bei Philipp II., dem Sohn Kaiser Karls V., an den lukrativen Aufträgen beteiligt zu werden, die dieser mit dem Bau seiner Residenz El Escorial zu vergeben hatte.

Ein Spaziergang außerhalb der Stadtmauern lohnt sich

Das klappte nicht. El Greco zog in die nunmehr vormalige Hauptstadt Toledo. In der riesigen „Kapelle“ des Hospitals baute er einen Altar, der das eigentliche spanische Modell komplett verändert. Damals musste ein Auftragnehmer nicht nur Altartafeln malen, sondern auch den Rahmen und etwaige Skulpturen schnitzen, vor allem aber den architektonischen Aufbau entwerfen. El Greco reduzierte das frühere, vielfigurige Gewimmel auf wenige, lebensgroße Heiligendarstellungen rings um eine zentrale Szene. Im Weiß schmuckloser Kirchenräume wirken diese Altäre umso eindrucksvoller, auch wenn der Originalentwurf des Kreters später stark verändert wurde.

Kunst-Uni San Juan de los Reyes
Kunst-Uni San Juan de los Reyes

© imago

Wenige Besucher haben sich hierher, in eine der fünf als Ziele des El-Greco-Rundwegs ausgeschilderten Örtlichkeiten, verlaufen. Die Touristen, sagt Dolores, die ein städtisches Kulturzentrum leitet und uns begleitet, wollten nur innerhalb der Stadtmauern in den steilen, schmalen Gassen wandern, wo alles so schön in Sicht- und Gehweite liegt.

Auf dem Weg vom Hospital in die Stadt hinein, über eine Kaskade von sechs Rolltreppen, die den steilen Anstieg von der Stadtmauer hinauf bequem machen, wird zuerst die Kirche Santo Domingo el Antiguo aufgesucht. Dort ist das Gegenstück zum Hospitals-Altar zu bewundern, eine ebensolche Architektur und Komposition von Bildtafeln. Immerhin sind hier zwei Heiligendarstellungen original. Dass die Mitteltafel eine Kopie ist, fällt sofort ins Auge. Flach die Farben, flach der illusionierte Raum, ergo flach die Aussage.

Ein Madrider Professor räumt auf mit den Legenden

War El Greco tatsächlich der Maler der Mysterien, religiös verzückt wie der Gesichtsausdruck seines biblischen Personals vor allem im Spätwerk? Ist man erst einmal in den unablässigen Passantenstrom auf der Hauptstraße, die passenderweise Calle Comercio heißt, und die dreieckige Plaza de Zocodover eingetaucht, fällt es schwer, an ein einstmals mystisches Toledo zu glauben. Fernando Marías, Kurator der Ausstellung „Der Grieche von Toledo“, hält nichts von der überkommenen Bewunderung El Grecos als Ekstatiker.

Santa Cruz Museum, Ort der Schau
Santa Cruz Museum, Ort der Schau

© dpa

Wir sitzen im Kreuzgang des wiederum in einem ehemaligen Hospital untergebrachten Provinzialmuseums Santa Cruz, im Rücken die gewaltigen Krankensäle, die nun der auf Tage im Voraus ausgebuchten Ausstellung dienen.

Marías beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit El Greco, er räumt auf mit den Legenden um Domenikos. „Wir besitzen mittlerweile 500 Dokumente zu seinem Leben“, bilanziert der Madrider Professor für Kunstgeschichte. „Seine schriftliche Hinterlassenschaft umfasst 20 000 Wörter, doch nie äußert er sich zu Fragen der Religion und des Glaubens. Nur jeweils ein einziges Mal hat er für die Kathedrale und für einen Konvent arbeiten können. Alle späteren Aufträge kamen von wohlhabenden Privatpersonen.“ So wie das stets von Besuchern umlagerte, gewaltige Begräbnisbild von 1586 in der Kirche Santo Tomé für den Herrn von Orgaz, dem spätere Generationen einen „Grafen“ andichteten.

McDonalds, chinesische Souvenirs und die Nonnen

Gewiss, das geistige Milieu Toledos vor 400 Jahren wurde von der Kirche beherrscht. Damals, sagt unsere Begleiterin, die noch die versteckteste Gasse kennt, gab es 50 Klöster in der Stadt, von denen heute immerhin noch 16 aktiv sind; wenn auch jeweils nur noch dank weniger Nonnen oder Mönche. Nur in stillen Seitenstraßen der Stadt lässt sich vorstellen, wie strenge Ordensleute und stolze Adelige das Alltagsleben prägten.

El Greco: Selbstporträt
El Greco: Selbstporträt

© akg-images

Der Hauptplatz ist Treffpunkt für jedermann. McDonalds hat hier eines der größten Cafés okkupiert. In der Nähe bietet ein chinesischer Importshop Souvenirs an, die garantiert nicht aus Toledo stammen. Der Übermacht aus Fernost haben auch die Dominikanerinnen nachgegeben, die jahrhundertlang Spitzen klöppelten. Stattdessen haben sie sich auf die Herstellung von Marzipan verlegt, freundlich feilgeboten im Konvent von Santo Domingo.

Die riesige Kathedrale überwältigt. Erstaunlich die Ausmaße der fünfschiffigen gotischen Basilika, an der alles gewaltig ist, sei es das in der Kirchenmitte eingebaute Chorgestühl, seien es die drei Orgeln unterschiedlicher Zeiten und Stile. In der Sakristei blieb eines der Hauptwerke El Grecos an seinem ursprünglichen Platz von 1579, die „Entkleidung Christi“, das erwähnte Erst- und Einzelwerk für die Kathedrale.

Domenikos aus Kreta war schwierig. Er hatte ständig Rechtsstreitigkeiten, forderte mehr Honorar, als seine Auftraggeber zu zahlen bereit waren. Er wusste um seinen Wert als Künstler, wie er es aus Italien kannte. In Spanien war der Künstler noch ein bloßer Handwerker. Postum stieg El Greco in Toledo zum Künstlergiganten für das 20. und noch das 21. Jahrhundert auf. Und zu seinem 400. Todestag geraten die Besucherscharen in Verzückung.

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