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© Hulton Archive

Klosterleben: Geheimnis der Stille

Das Benediktinerkloster Leyre im spanischen Navarra ist Ziel vieler Pilger. Vor allem in der Weihnachtszeit.

Kein Laut ist zu hören. Stille Nacht. Am Himmel blitzen Sterne, der Mond leuchtet den Weg aus. Eine gewundene Platanenallee führt bis vor das Benediktinerkloster Leyre. Das Portal wird von zwei Laternen schwach erhellt. Eben genug, dass die Stufen und das romanische Schmuckrelief über der Holztür gut zu sehen sind. Vorweihnachtliche Stimmung in Navarra.

Die Lage des Gotteshauses ist wahrlich himmlisch. Hinter den Mauern erhebt sich das mächtige Gebirge Sierra de Leyre, zu Füßen weitet sich der Stausee von Yesa. Fast jeder, der auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela wandert, kommt hier vorbei. Seit Jahrhunderten folgen Menschen dem Pilgerweg, der zum Grab des Apostels Jakobus führt, dem nach Rom und Jerusalem bedeutendsten christlichen Wallfahrtsort. Man muss nicht religiös sein, um Sehnsucht nach Stille zu empfinden.

Geräuschvoll dreht sich der schwere Schlüssel im Schloss. Die kleine Gruppe der Wartenden tritt in die Klosterkirche ein. Der Raum wächst förmlich in den Himmel. Kein Prunk, keine Dekoration, kein Lichterglanz. Stattdessen große nackte Steinquader, die zu sprechen scheinen. Mehr als tausend Jahre sind sie alt, im Jahr 1057 geweiht und dann wohl 70 Meter bis ins gotische Kreuzgewölbe aufeinandergesetzt. Ein göttlicher Wolkenkratzer.

Der letzte Glockenklang verhallt, dann öffnet sich eine große schwarze Doppeltür. Unter dem Rauschen ihrer weiten schwarzen Kutten treten die Mönche ein, verbeugen sich tief vor dem schlichten Tafelaltar und der Jungfrau Maria, die auf einem Podest über allem thront, und setzen sich ins Chorgestühl. Weihrauch wabert, die Orgel spielt, die Benediktiner fangen zu singen an. Erst einstimmig, ein kraftvoller Tenor, dann als Chor, immer im Wechsel.

Die lateinischen Psalme erklingen in rhythmischen, fast monotonen Melodien, die nach einer Weile beruhigend wie Balsam wirken. Die Texte sind der Bibel entnommen, sie ändern sich je nach Tageszeit, Wochentag und Jahreszeit. Der Raum und der gregorianische Gesang verbinden sich wie von selbst zur Meditation.

Nach den „Vísperas“ fahren die meisten Besucher still wieder davon. Ein paar Spanier, Amerikaner und Deutsche bleiben in Leyre. Wie früher Kreuzritter und Pilger im Kloster ein Bett für die Nacht und einen Altar zum Beten suchten, kommen heute Touristen. Sie sind im angegliederten Zwei-Sterne-Hotel abgestiegen, das 32 schlichte Zimmer und ein Restaurant hat. Das Kloster selbst beherbergt nur männliche Gäste. Zu den „Completas“, dem Nachtgesang, sind alle wieder in der Kirche, um den Gesang und die meditative Atmosphäre zu genießen.

Seit 848 leben in Leyre Mönche. Im Kloster leben 24 Mönche, eine für heutige Verhältnisse stattliche Zahl. Sie halten täglich fünf Stundengebete im gregorianischen Choral. Es sind auch viele jüngere Stimmen darunter. „Die Besucher erhoffen sich bei uns Spiritualität, einen Ort des Rückzugs und der Stille“, sagt Prior Ramón Luís, ein Mann mit kleinen lustigen Augen hinter der Brille. „Viele kommen nur wegen unseres gregorianischen Gesangs, viele wegen der Architektur. Es kommen viele, sehr viele.“

Inzwischen ist der Tourismus die wichtigste Einnahmequelle. Im Kloster-Shop verkaufen die Benediktiner neben dem Kräuterlikör von Bruder Germán vor allem die CDs mit gregorianischen Gesängen. „In der Weihnachtszeit kommen unsere Aufnahmen besonders gut an“, sagt der Prior. Seltsam sei der Mensch: „Er schafft sich eine Welt nach seinen Vorstellungen. Und weil sie zu laut gerät, kommt er zu uns. Dabei sollte Stille in jedem Haus sein, wie das Brot.“

Prior Ramón, der erst mit 43 Jahren in den Orden eintrat, wird noch nachdenklicher. „In der Adventszeit sollte man über Werte nachdenken und sich auf Christi Geburt vorbereiten.“ Doch die meisten beschränkten sich auf das Kaufen von Geschenken. „Dabei ist Glück ja nicht käuflich. Wofür brauchst du eine teure Uhr, wozu Champagner? Jeden Tag Kaviar? Wie langweilig! Garten Eden liegt woanders – in einem selbst.“

In Leyre beginnt Weihnachten am 24. Dezember und endet mit dem Dreikönigsfest am 6. Januar. Heiligabend schmücken die Mönche ihre Kirche mit einer Krippe. „Um Himmels willen keinen Weihnachtsbaum“, sagt der Prior. „Die festliche Atmosphäre schaffen bei uns die Schlichtheit und der Choral.“

Im Umfeld des Jakobswegs liegen einige noch aktive Klöster. Auch das Zisterzienserkloster La Oliva, eine gute Autostunde südlich von Leyre. Bruder José Manuel begrüßt den Neuankömmling mit zwei Küsschen auf die Wange. Der Mönch trägt Vollbart, eine weiße Kutte mit schwarzem Überwurf und Sandalen. Von der erwarteten scheuen Schweigsamkeit keine Spur. „Das gilt nur in der Kirche“, erklärt er und trägt den Koffer des Gastes ins Zimmer. „Das Bett musst du selber machen.“

Das Klingeln seines Handys unterbricht ihn. Als er es aufklappt, erscheint auf dem Display ein Marienbild. „Unsere Maria de las Escalonias“, zeigt er nach dem Telefonat stolz. Er sei übrigens der Einzige hier mit einem Mobiltelefon. Schließlich sei er als Hospedaria-Bruder für 30 Gästezimmer zuständig.

Außer ihm hat fast jeder der 21 Brüder in La Oliva mehrere Berufe. Die Zisterzienser, die streng nach dem Gebot des heiligen Benedikts leben – ora et labora (bete und arbeite) –, hatten sich im 12. Jahrhundert von den Benediktinern abgespalten. Zum klösterlichen Hauptgeschäft gehören heute die Bodega und der Laden, in dem Bruder José Luís die begehrten Weine verkauft. Doch seit dem vergangenen Jahr ruhen die Arbeiten im Weinberg. „Unsere Brüder sind zu alt für die Arbeit“, sagt Bruder José Manuel, der selbst mit 41 Jahren der Jüngste ist und vor acht Jahren kam. Nur Gott wisse, ob es mit dem Weinbau weitergehe.

Ihre Arbeit unterbrechen die Mönche neun Mal für das Stundengebet. Das erste beginnt zum Sonnenaufgang mit „Levantarse“, das letzte mit dem Nachtgebet „Acostarse“. Kurz nachdem die Gäste registriert sind, ruft die Turmglocke schon zum Gebet „Nona“. Das schön gerahmte Portal der Abtei liegt noch zur Hälfte im Sonnenlicht. Kaum hat sich die Tür hinter den Kirchgängern geschlossen, beginnt ein anderer Rhythmus. Auch dieser Raum überwältigt. Um 1147 wurde bereits filigran, noch höher als im romanischen Kloster Leyre gebaut. Nacheinander eilen die Mönche ins Chorgestühl und stimmen zu Orgelbegleitung ihre „Cantos llanos“ an, getragene Psalmenlieder auf Spanisch. Die Klostergäste aus Madrid, Barcelona und Malaga singen mit.

Viele Gäste sind nicht zum ersten Mal für eine Auszeit vom Alltag hier. „Einen besseren Ort dafür kenne ich nicht“, sagt Raquel aus Barcelona, die mehrmals im Jahr nach La Oliva kommt. Sie liebt die besinnlichen Tage hier besonders in der Vorweihnachtszeit. „Bei uns ist es familiär“, bestätigt Pater Francisco. Vielleicht weil sich die Zisterzienser als weltliche Repräsentanten aller Menschen fühlen. Bis vor zwei Jahren war der Mönch hier Abt, nun unterrichtet der 78-Jährige die Novizen, die den Chor um vier kräftige Stimmen verstärken.

An Heiligabend schmücken die Zisterzienser die Kirche mit einer Krippe und einem Weihnachtskranz. „Geschenke? Ja, die machen wir. Aber nicht wie du denkst“, sagt der Mönch. „Wir verschenken ein Lächeln, eine Hilfsbereitschaft – und unseren Gesang.“ Am Ende verrät Pater Francisco doch noch seinen persönlichen Wunsch für Weihnachten: dass die Menschen zu den Idealen des Herzens finden.

Nachdem der letzte Ton des Chors verhallt ist, wird die Marienstatue über dem Altar hell angestrahlt. Es wird still und alle verlassen schweigend die Abtei. Draußen ist es nachtschwarz geworden und wieder hängt der Himmel voller Sterne. Stille Nacht, heilige Nacht. Bald ist es so weit.

Beate Schümann

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