zum Hauptinhalt
Vornehmes Weiß: Kino in Aschersleben.

© Benedikt Hotze

Reise: Früher hatte Kino Pracht

In den 1920er Jahren entstanden Filmpaläste – nicht nur in den Metropolen. Vier Beispiele aus Sachsen-Anhalt – gebaut vom Architekten Carl Fugmann.

Als der Film mit der Wende zum 20. Jahrhundert rasant die Aufmerksamkeit der Menschheit eroberte, hinterließ er auch Spuren in seiner Umgebung. Dienten zunächst noch Theatersäle oder Kaffeehäuser als Vorführräume, wurde dem neuen Medium bald – im wörtlichen Sinne – immer mehr Platz eingeräumt: Die ersten eigenständigen Kinobauten entstanden, in den Goldenen Zwanzigern kam es zu einem regelrechten Bauboom auch in Deutschland: Es war die Zeit der Lichtspielpaläste. Und sie öffneten nicht nur in Großstädten, sondern auch in der Provinz.

In Sachsen-Anhalt entstanden interessante Neubauten unter anderem in den Zentren Halle, Magdeburg und Bernburg, doch auch in kleineren Orten wie Staßfurt oder Zeitz. Nur wenige haben überdauert. Zum einen hat der Zweite Weltkrieg eine Bresche in den Bestand geschlagen – doch an sich hat es das Kino als architektonische Gattung schwer heutzutage. Kinos werden in große Shoppingcenter eingegliedert, die alten Bauten verfallen. Andere werden renoviert, was oft mit einer Zerstörung der ursprünglichen Substanz einhergeht: Die originale Innenarchitektur ist kaum irgendwo erhalten.

Besonders prekär ist die Situation im Gebiet der ehemaligen DDR, wo die Eigentumsverhältnisse völlig neu strukturiert wurden. Der Denkmalschutz hat es unter diesen Bedingungen oft schwer. Einige Bauten wurden nach 1992 als Baudenkmale erfasst, doch eine architekturgeschichtliche Untersuchung zur Gattung der Lichtspieltheater in Sachsen-Anhalt steht bislang noch aus.

Die Architekten der Kinos aus jener Zeit sind meist nicht überliefert: Ein Blick ins Verzeichnis der Kinobauten in Berlin, während der Weimarer Republik das Zentrum des Theaters und Films ebenso wie der Architekturavantgarde, macht stutzig: „Unbekannt“ steht meist in der entsprechenden Spalte, selten sieht man Namen wie Hans Poelzig oder Erich Mendelsohn.

Gleich vier Bauten sind von einem Carl oder Karl Fugmann, Architekt BDA, Erfurt, erhalten: Sie befinden sich allesamt in der Provinz – in Weißenfels, Zeitz, Aschersleben und in der Lutherstadt Wittenberg. Seine Bauten umspannen dabei einen Zeitraum von etwa zehn Jahren, von 1928 bis 1937: Unsere Reise folgt ihrer Chronologie.

Was haben die vier Orte – Weißenfels, Zeitz, Aschersleben, und Wittenberg – gemeinsam? Einst siedelte hier Industrie, es waren blühende Städte mit prunkvollen Residenzen, repräsentative Fassaden mit Stuckverzierungen künden von einstigem Wohlstand.

Gespenstisch ist das Wort, das sich nun aufdrängt: Ganze Häuserzeilen stehen leer, die Haustüren sind zugenagelt, zerbrochene Scheiben sind nachlässig mit Dichtungswolle verstopft. Niemand will mehr hier wohnen, selbst neu renovierte Häuser stehen leer, Brachflächen und überwucherte Villen prägen das Stadtbild. So auch in Zeitz. Bei der Anfahrt kommt man an den Buna- und Leuna-Werken vorbei, am Stadtrand begrüßt einen der Bahnhof, ein Gebäude aus dem Jahr 1909 mit Jugendstilelementen und Glockenturm. In das Villenviertel mit großteils wilhelminischen Repräsentativbauten haben sich auch einige expressionistische Einzelgänger verirrt: das heutige AOK-Gebäude (Humboldtstraße) oder die Villa in der Georg-Agricola-Straße. Deutlich anders präsentiert sich das Straßenbild im ehemaligen Siedlungsgebiet der Arbeiterschaft: Selbst das sonnige Wetter kann nicht über eine latente Tristesse hinwegtäuschen, die – bedingt durch Abwanderung der Bevölkerung – in vielen Städten der ehemaligen DDR spürbar ist.

Die Innenstadt von Zeitz ist geprägt von Blockrandbebauung aus dem 16. bis 19. Jahrhundert, schmucke Häuserfassaden säumen die Gassen; menschenleer auch sie. In der Judengasse befindet sich das Capitol aus dem Jahr 1928: Der Theaterbesitzer Paul Schächer hatte hier die alten Häuser abreißen lassen und den Bau eines Lichtspieltheaters in Auftrag gegeben. Der expressionistische Bau sticht schon aufgrund seiner Farbe aus dem städtebaulichen Kontext hervor. Die Fassadenverkleidung ist aus Rochlitzer Porphyr, vier weibliche Figuren an der Vorderfront symbolisieren die darstellenden Künste.

Das Kino war bis 1997 als solches in Betrieb und wurde 2001/02 saniert: Im Zuge der Arbeiten wurde das Gebäude um ein Bühnenhaus und ein Funktionsgebäude erweitert, die Rot- und Silbertöne der Schmuckelemente wurden wiederhergestellt. Eigentümerin des Gebäudes ist die Stadt Zeitz – derzeit gemeinschaftlich von der Alten Oper Erfurt und dem Theater Zeitz gepachtet, wird es vom 1. Januar 2012 an wieder von der Stadt bespielt.

Gänzlich ungenutzt hingegen ist der Filmpalast Gloria in Weißenfels – ebenfalls aus dem Jahr 1928. Er liegt in dem Bezirk Neustadt, einem Siedlungsgebiet für Fabrikarbeiter, an der Ausfallstraße direkt hinter den Bahngleisen. Gebaut wurde das Kino für den Unternehmer Robert Göpfarth: In nur fünf Monaten entstand die Fachwerk-Eisenkonstruktion dieses Solitärbaus, Fugmanns Entwurf greift dabei eine Skizze des Bauherren auf.

Architektonisch ist das Lichtspieltheater dem Neuen Bauen verpflichtet: Der flachgedeckte Baukörper besteht aus ineinandergeschobenen Kuben, die Fassade wird durch hohe Schlitzfenster und horizontale Ziegelstreifen optisch gegliedert. Die Gebäudeecke ist besonders sorgfältig durchartikuliert: Ins Auge sticht hier der Kontrast zwischen dem niedrigen Säulenvorbau und dem hohen Zwischenbau. Der Portikus war ursprünglich eingeschossig angelegt und wurde vermutlich in den 1960er Jahren aufgestockt. Dominant ist der Schriftzug „Gloria“ als Leuchtreklame positioniert; zu jener Zeit ein wichtiges Gestaltungsmittel.

1200 Sitzplätze erwarteten die Zuschauer, fünf Eingänge und neun Ausgänge zeigen an, mit welch enormem Publikumsaufkommen der Betreiber rechnete. Doch seit den 90ern laufen hier keine Vorstellungen mehr. Das Filmtheater wurde im Jahr 1991 an die Ufa-Theater AG verkauft und drei Jahre später zur Diskothek umfunktioniert. Seit 1997 steht das Gebäude leer – und verfällt. Hinein kommt man nicht, die Türen sind verriegelt. Ein Eigentümer? Ist nicht aufzutreiben. Die Recherche bei verschiedenen Stellen wie Stadt, Grundbuchamt, Landesamt für Vermessung und Ordnungsamt zeitigen keine Ergebnisse. Der letzte Eigentümer, eine GmbH, meldete 2005 Konkurs an und wurde daraufhin im Handelsregister gelöscht, weshalb offiziell kein Rechtsnachfolger beziehungsweise Eigentümer existiert. Allerdings ist diese nicht mehr bestehende GmbH noch als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. „Ihre Löschung ist die einzige Möglichkeit, den Weg zu eröffnen, einen neuen Eigentümer zu suchen“, meint Manuela Meißner von der Bauordnung. Denn nur, wenn das Haus „herrenlos“ ist, besteht die Möglichkeit, über die Liegenschaftsgesellschaft des Landes das Haus an einen Interessenten zu vermitteln. „Derzeit können die Behörden nur bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung tätig werden, also zum Beispiel, wenn Teile der baulichen Anlage drohen in den Straßenraum zu fallen“, erzählt Meißner. Das bestätigt auch Stephan Kujas von der Denkmalbehörde in Weißenfels: „Es ist wirklich ein Wermutstropfen, die Substanz wird zunehmend marode, und uns sind die Hände gebunden. Das Haus wurde nach dem bloßen Äußeren unter Denkmalschutz gestellt – zur inneren Begutachtung war noch niemand drin, da bisher niemand in Erscheinung getreten ist, der die Schlüsselgewalt hat.“

So liegt das Gebäude weiterhin brach – ein stummer Koloss. Die Leuchtreklame ist erloschen, Publikumsverkehr herrscht einzig und allein bei den gegenüberliegenden Supermärkten. Auf dem Parkplatz begegnen uns einige Jugendliche, um 18 Uhr offenbar bereit, sich ins Nachtleben zu stürzen: Wo das hier wohl stattfindet? Selbst die Innenstadt scheint menschenleer: Nur an der Bude auf dem Marktplatz lassen sich drei Männer ihre Bratwurst schmecken. Um die Ecke, in der Jüdenstraße, befinden sich ein stummer, doch interessanter Ortsansässiger: Ein viergeschossiges Kaufhaus im Stil der Neuen Sachlichkeit mit einer charakteristisch abgerundeten Straßenfront (Wilhelm Ulrich, 1929); außer dem Kino der einzige Zeitzeuge aus jener Epoche.

Die Stadt Aschersleben erscheint im Vergleich zu den anderen Orten außerordentlich präsentabel. Im Zuge der Internationalen Bauausstellung Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010 wurden hier einige nachhaltige Verschönerungsmaßnahmen durchgeführt. Auffallend ist im gesamten Ort die rege Bautätigkeit Hans Heckners – die Palette seines Œuvres beinhaltet alles vom Heimatstil bis zur Neuen Sachlichkeit. Ein gut erhaltenes Beispiel ist der Rohrleitungsbau Thieme, heute der Bauwirtschaftshof (Heinrichstraße 71). Der sachlich monumentale Industriebau (1938-40) besteht aus Werkhalle und Bürohaus, links und rechts des Zugangs zum Werksgelände sind die Gebäudekanten abgerundet.

Im Herzen der Altstadt befindet sich ein weiteres Kino von Carl Fugmann, der Filmpalast Aschersleben. Im Jahr 1930 eröffnete der „A.-M.-Palast“ – benannt nach dem Besitzer Artur Mest – direkt neben der ehemaligen Franziskanerkirche. Das Gebäude passt sich relativ dezent den umstehenden Gebäuden an. Das gilt für die Traufhöhe, aber ebenso für die Schieferdeckung, passend zum Kirchendach. Die Fassade lässt Zitate der Bauhausmoderne erkennen, die Ausstattung mit Art-déco-Elementen ist heute noch in den Foyers und im Treppenhaus erhalten. Die Ufa-Theater AG übernahm das Kino im Jahr 1991, die Rot- und Goldtöne in den Zugangsräumen wurden damals im Rahmen eines Umbaus im Jahr 1999 wiederhergestellt. Nach einer vorrübergehenden Verwaltung durch die Cinestar-Gruppe wird das Kino seit 2009 von den Kinobetrieben Heidrun Uhde aus Schwanebeck geführt.

Den chronologischen Abschluss der Werke Fugmanns bildet das Filmtheater Central in Wittenberg, errichtet als Großfilmtheater im Jahr 1937. Der Bau befindet sich in einer Wohngegend im Gebiet der nordöstlichen Stadterweiterung aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Das Kino besteht aus zwei Teilen: Der Hauptkörper ist ein massig wirkender verputzter Backsteinbau im Heimatschutzstil mit Rundfenstern und Walmdach – gebrochen wird er durch einen eingeschossigen Eingangsbau, dessen gerundete Arkatur aus der Gebäudeflucht des Hauptkörpers hervortritt und die Nierentischmoderne der 1950er Jahre vorwegzunehmen scheint. Dieser Antagonismus macht das Gebäude besonders interessant: Offenbar hat Fugmann zwar einerseits die Erwartung der Baubehörden während der Nazizeit bedient, diese aber mit dem Eingangspavillon gleichzeitig konterkariert.

In den frühen 1990er Jahren übernahm die Ufa-Theater AG das Central-Theater Wittenberg. Das Ein-Saal-Kino wurde – ebenso wie der Filmpalast in Aschersleben – nachträglich in ein Kino mit vier Sälen umgewandelt, die Wiedereröffnung erfolgte 1995.

Die Chronologie der Bauten verrät einiges über die Entwicklung des Architekten Fugmann und die jeweiligen zeitgenössischen Baustile. So repräsentieren die frühen 1920er Jahre die expressionistische Phase vieler Architekten, die später zur Avantgarde gezählt wurden, darunter Walter Gropius (Haus Sommerfeld, 1921), oder Erich Mendelsohn (Einsteinturm, 1922). Carl Fugmann konnte von solchen Anregungen zehren: Doch da die jeweiligen Strömungen erst mit einer Zeitverzögerung in der „Provinz“ angekommen waren, legt sein Œuvre nahe, dass er – mit entsprechender „Verspätung“ – die Formen der Avantgarde genutzt hat.

Die Kinobauten in Zeitz, Weißenfels, Aschersleben und Wittenberg künden von der Aufbruchstimmung, die das neue Medium Film in den „Goldenen Zwanzigern“ hervorrief: nicht nur in den Großstädten. Ihr Schicksal ist nicht nur an die Entwicklung des Kinos, sondern auch an die der Standorte gebunden. Im Falle des Gloria-Palastes in Weißenfels allerdings hängt alles an den Behörden.

Myrtha Köhler

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false