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Seefest. Mamikon Akopyan zog es immer aufs Meer. 1981 fuhr er auf einem Trawler in Tallinn, dann kreuzte er auf der russischen „Kruzenstern“.

© Reinhart Bünger

Geschichten von Bord: Herr der Taue

Der Armenier Mamikon Akopyan ist Bootsmann auf der „Sea Cloud II“. Auf seine Leute kann er sich verlassen. Die meisten hat er selbst ausgesucht.

„Up, Up, Up, more, more, more! Together!“, ruft Mamikon Akopyan seinen Leuten zu. Und schiebt Minuten später erleichtert nach: „Okay, okay, okay. It's coming!“ Seine Leute, das sind in diesem Fall vier „Deckhands“, die am Großmast stehen. Sie sollen das Sky Segel – das ist das oberste – mit Tauen so weit hinaufziehen, dass es an der Rahe, dem stählernen Querbalken, von den „Riggern“ Percy, Freddy und Secondo befestigt werden kann. Er bedeutet den Dreien, den Windmesser am Mast im Auge zu behalten. Das Sky Segel wird zur Nacht eingeholt – dann muss im Dunkeln kein Mann hinauf, wenn es aufbrist, der Wind also stärker wird. Mamikon, wie sie ihn an Bord rufen, ist seit zwölf Jahren Bootsmann auf der „Sea Cloud II“.

Der Windjammer ist mit seinen beiden rahgetakelten Masten und einem Besan eine echte Bark. „Unter vollem Zeug“, wie es in der Seemannssprache heißt, bringt sie es auf zwölf Knoten. Vorausgesetzt, Mamikon hält sein „Zeug“ in Ordnung. Sein Aufgabenbereich beginnt an der Oberkante des Unterdecks und endet an den Mastspitzen. Einiges spricht dafür, dass Mamikon herausragende Arbeit leistet. So ist es wohl nicht nur dem Wind zu verdanken, dass die „Sea Cloud II“ derzeit eine Rekordfahrt über den Atlantik hinlegt. Länger als eine Woche schaffte sie es, ohne Maschinenkraft ihrem Ziel Barbados näher zu kommen. Das ist bisher noch keinem der beiden Sea-Cloud-Großsegler gelungen, seit die Schiffe von den Sea Cloud Cruises (Hansa Treuhand) bereedert werden.

Es war für den Armenier Akopyan ein weiter Weg, bis er auf dem Hamburger Luxussegler seinen Arbeitsplatz fand. Er begann 1981 auf einem Trawler in Tallinn, der estnischen Hauptstadt. 1984 stieg er um und damit war der weitere Kurs festgelegt. Der heute 53-Jährige heuerte auf der heute in Russland beheimateten „Kruzenstern“ an, einem alten Großsegler aus der Flotte der Hamburger Reederei F. Laeisz. Die „Kruzenstern“ – das ist die alte „Padua“, einer der legendären „Flying P-Liner“, die Deutschland als Reparationsleistung nach dem Zweiten Weltkrieg an die Sowjetunion liefern musste. Viele der Offiziere, die auf „Sea Cloud“-Seglern Dienst tun, haben dort angefangen. Mamikon Akopyan begann auf der „Kruzenstern“ als Matrose, musterte als Oberbootsmann ab und fand seinen Platz auf der „Sea Cloud II“.

Wer trickst oder täuscht, wird an Bord zum Sicherheitsrisiko

Hier draußen auf Deck ist der agile Graukopf, der nur selten seine verspiegelte Sonnenbrille abnimmt, ganz in seinem Element. „Ich bin für alle Zustände der Sea Cloud II zuständig“, sagt Akopyan. Er weiß um seine Verantwortung für das Schiff und muss sich auf seine Leute hundertprozentig verlassen können. Sind das unter anderem aus Leinen, Seilen und Tauen bestehende „laufende Gut“ und das „stehende Gut“ nicht stets in Ordnung, kann das bedrohlich für das Schiff werden. Gehören doch zum stehenden Gut zum Beispiel auch die Stahlseile, mit denen die Masten an Deck verspannt sind. Ein nicht richtig befestigter Besanmast kann Menschen erschlagen, wenn er herunterfällt.

„Absolute Sicherheit, das ist das erste Ziel, das hier jeder kennenlernt“, sagt der Bootsmann. „Wir machen ständig Inspektionen in den Masten – wer etwas Eigenartiges sieht, muss das sofort melden.“ Zwei Kernsätze nehmen Mamikons Leute – es sind mit ihm insgesamt 16 – beim Aufentern mit nach oben. Sie haben sie auswendig gelernt wie das Vaterunser. Erstens: „Alles ist sicher und fest.“ Zweitens: „Was Du nicht verstehst, machst Du nicht.“

16 Jahre auf der „Kruzenstern“ haben Mamikon auch gelehrt, dass Männer nicht in die Masten „geprügelt“ werden dürfen, wenn sie aus irgendeinem Grund nicht hinauf können oder wollen: „Natürlich müssen alle klettern können, aber wer sich nicht sicher fühlt, bleibt unten.“

Zu Mamikons Leuten gehört auch Igor, der Segelmacher. Vor wenigen Tagen haben sie das Royalsegel vom Großmast ausgetauscht. Es hatte einen zirka fünfzig Zentimeter langen Querriss und wird nun in der bordeigenen Sattlerei geflickt. „Es gibt eigentlich keinen Schaden an den Segeln, den wir nicht reparieren könnten“, sagt der Bootsmann. Natürlich gibt es für den Fall der Fälle Ersatzsegel und jede Menge Flicken.

Wenn es um die Auswahl seiner Leute geht, kennt Mamikon kein Vertun: „Sie müssen Persönlichkeit haben, das ist das Allerwichtigste", sagt er. Wer trickst oder täuscht, wird an Bord eines Rahseglers zum Sicherheitsrisiko. Wie filtert Mamikon die Richtigen heraus? „Die Augen lügen nicht“, sagt er über die Ergebnisse seiner Einstellungsgespräche. Englischkenntnisse sind erwünscht, doch wer hier schwächelt, kann ja nachbessern. Einigen Philippinern haben sie die Bordsprache ganz spielerisch in der Mannschaftsmesse beigebracht: Sie mussten auf Englisch Karaoke singen – bis zum Abwinken des Bootsmannes.

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