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Reise: Heimatkunde mit Hank Ein Besuch der „Country Music Hall of Fame“

ist in Nashville selbst für Schulkinder Pflicht

Anfangs hält man es für Zufall. Stephanie, Kartenabreißerin in der „Country Music Hall of Fame“, erzählt beim Smalltalk, dass sie Songs schreibe und selbst singe. Sie hoffe, bei einem ihrer Auftritte in den zahllosen Musikclubs von Nashville entdeckt zu werden. Eine Stunde später, beim Eistee im Museumscafé, berichtet Stephanies Kollege hinter dem Tresen von seinem Hauptjob als Studiogitarrist und zeigt stolz seine erste eigene CD. Den bärtigen Tischler, der gerade im Foyer das Parkett ausbessert, fragt man schon gar nicht mehr. Sicherlich spielt er Fiddle in einer Bluegrassband und ist gerade als Komponist des „Song of the Year“ ausgezeichnet worden. Es würde jedenfalls nicht verwundern.

Klischees entpuppen sich manchmal als wahr. Nashville im Bundesstaat Tennessee ist tatsächlich „Music City USA“, neben New York Hauptstadt der populären Musik. Die Oberschicht der 590 000-Einwohner-Stadt am Cumberland River tut sich bis heute schwer mit diesem Ruf. Sie bevorzugt „Athen des Südens“ – wegen der vielen Universitäten und Colleges, wegen der Parthenon-Kopie in Originalgröße, des städtischen Symphonieorchesters und des 2006 fertiggestellten neoklassizistischen Schermerhorn-Konzertbaus.

Doch wenn man Nashville überall auf der Welt kennt, dann sicher nicht wegen seiner Anstrengungen in Sachen Hochkultur. In dieser Stadt lebt vielmehr die Musik der kleinen Leute. Sie dringt von früh bis spät aus den geöffnetenTüren von „Tootsie’s Orchid Lounge“ und den vielen anderen sogenannten Honkytonks am Broadway und der 2nd Avenue. Man trifft auch dort auf sie, wo man es gar nicht erwartet, zum Beispiel in der Ladenzeile eines Vorstadt-Einkaufszentrums an der Hillsboro Road. Dort befindet sich seit 25 Jahren das „Bluebird Cafe“, auf dessen Bühne sich hoffnungsvolle junge Talente wie Stephanie vorstellen und bereits etablierte Songwriter-Größen wie Victoria Shaw oder Gary Burr ihre alten und vielleicht künftigen Country-Hits spielen.

Wer Nashville erobern und seine legendären Musikstätten gebührend würdigen möchte, kann eigentlich nur mit einem Besuch der „Country Music Hall of Fame“ beginnen. Alan ist einer von 30 ehrenamtlichen Museumsführern, die die ausgestellten Bühnenkostüme, Instrumente, Fotos und Erinnerungsstücke zum Sprechen bringen. Regelmäßig führt der 66-Jährige Schulklassen durch den 2001 eröffneten Neubau. Für die Kinder, die ihm artig lauschen, sind Hank Williams und Elvis Presley gewissermaßen Heimatkunde. Und: Alan unterscheidet nicht zwischen Country und Rock ’n’ Roll. Er fasst alles mit einem Begriff zusammen: Für ihn ist es „People’s Music“ – Volksmusik.

Das Mekka dieser Musik ist das Ryman Auditorium. Stolz überragt der geschichtsträchtige rote Backsteinbau, 1892 als Kirche errichtet, die Lichtreklamen der Honkytonks. Von 1943 bis 1972 wurde von hier aus die berühmte „Grand Ole Opry“-Radioshow übertragen. Danach zog die Sendung in einen eher schmucklosen, aber kommerziell mehr versprechenden 4500-Plätze-Betonbau in das Opryland-Viertel am Stadtrand. Die perfekt inszenierten Countryshows locken jährlich Millionen Besucher an. Gelegentlich ist die Opry auch noch im aufwendig renovierten Ryman mit seinen Kirchenbänken und seiner phantastischen Akustik zu erleben.

Nashville hat sich gemacht. „Kaum zu glauben, wie heruntergekommen es hier noch vor 10, 15 Jahren aussah“, sagt David Bolli, ein Radiojournalist, der in Zürich den Sender „Country Radio Switzerland“ (www.CountryRadio. ch) betreibt. Die Stadt mit der imposanten Wolkenkratzer-Skyline hat vom Wirtschaftsboom vor der Bankenkrise profitiert und vor allem auch sein in den 80er Jahren verödetes historisches Musikviertel aufpoliert. Seitdem kommen die Musiktouristen aus aller Welt wieder.

Memphis und New Orleans sind Südstaaten-Musikstädte von vergleichbarer historischer Bedeutung. Doch nur in Nashville ist das Musikbusiness als Geschäft noch wirklich lebendig. Verlage, Künstleragenturen und alle großen Plattenfirmen längst nicht nur aus der Country-Branche sind hier ansässig. Es gibt unzählige Aufnahmestudios. Hierher zieht es Musiker und Songwriter.

Jack White, Begründer der Rockband „White Stripes“, lebt seit Jahren in Nashville und hat kürzlich einen Plattenladen an der 7th Avenue South eröffnet. Johnny Cash wohnte mehr als 35 Jahre in Hendersonville nordöstlich von Nashville. Sein Grab und das seiner Frau June Carter auf demFriedhof „Hendersonville Memory Gardens“ sind zu einer wahren Pilgerstätte geworden. Cashs Wohnhaus, drei Kilometer entfernt am Caudill Drive am Ufer des Old Hickory Lake, war ebenfalls eine. Vor zwei Jahren brannte es bis auf die Grundmauern nieder.

Mit Gibson hat auch ein traditionsreicher E-Gitarren-Hersteller in Nashville seinen Hauptsitz. Das Gaylord Opry Hotel, ein mit centerparkähnlichen Themengärten ausgestatteter 2700-Zimmer- Komplex im Opryland-Quartier vor den Torender Stadt, bietet seinen Gästen den Service „Check in, rock out“. Für 50 Dollar darf man sich ein Gibson-Modell aussuchen und im Hotelzimmer über digitales Verstärker-Set und Kopfhörer abrocken. An Gruhn Guitars führt für Gitarristen ebenfalls kein Weg vorbei. George Gruhn ist der Mann, dem Musikstars wie Neil Young vertrauen, wenn sie ein wertvolles altes Instrument erstehen möchten.

Wem zwischendurch der Sinn nach anderem als Musik steht, dem sei Nashvilles Vorort Franklin ans Herz gelegt. In dem teuren, doch keineswegs übertrieben nobel wirkenden Städtchen ist viel gut erhaltene Südstaatenarchitektur zu bewundern. Außerdem lohnt sich der Besuch von Bürgerkriegsschauplätzen wie der Carnton Plantation, deren Haupthaus im „Battle of Franklin“ als Hospital diente. Lynchburg, weiter südlich, hat zwei Attraktionen: „Miss Mary Bobo’s Restaurant“ mit typischer Südstaatenküche in historischer häuslicher Atmosphäre und die „Jack Daniel Distillery“. Bei der kostenlosen Führung durch die Brennerei stellt man erstaunt fest, dass es hier genauso ländlich entspannt zugeht, wie es die Fernsehwerbung behauptet. Noch ein Klischee, das sich als wahr erweist.

Thomas Klingebiel

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