zum Hauptinhalt

Reise: Hotels nach Maß

Veranstalter kreieren ständig neue Hotelmarken, um vielen gerecht zu werden – und gut zu verdienen

Die erste Panne gleich zur Premiere. Eigentlich sollten allgegenwärtiger Lavendelduft und eigens komponierte Musik zu einer „unverwechselbaren Atmosphäre“ beitragen. Aber der Zoll hatte die Töpfe mit dem Lavendelduft nicht freigegeben. So musste das Puravida Ela Quality Resort im türkischen Belek, das erste Haus der neuen Tui-Hotelmarke, erst einmal mit frischer Luft auskommen.

Nach „Sensimar“ (bisher zehn Hotels für Paare) und „Best Family“ (bisher 29 Häuser für Familien) ist „Puravida“ die dritte auf eine Zielgruppe ausgerichtete Hotelmarke von Tui Deutschland. „Den zielgruppengerechten Hotelformaten gehört die Zukunft“, sagt Volker Böttcher, Chef des größten deutschen Reiseveranstalters.

Was das neue Mantra der Reisebranche von der „zielgruppengenauen Spezialisierung“ konkret bedeutet, erläuterte Stefanie Schulze zur Wiesch, für die Entwicklung neuer Hotelkonzepte zuständige Direktorin: „Die Puravida-Zielgruppe sind weltoffene Urlauber mit gehobenem Lebensstil und höherer Bildung, Paare und Singles zwischen 30 und 50 Jahren sowie Familien, die Wert auf besonders komfortable Zimmer, weitläufige Hotelanlagen und regionale Bioküche legen. Außerdem schätzen sie ein internationales Publikum.“

Als „Ambivalenz-Urlauber“ haben sie gegensätzliche Bedürfnisse, suchen in einer beschaulichen Atempause, vielleicht in einer Hängematte, „nach ihrer inneren Mitte“ und „Seelen-Reinigung“ und wollen sich im nächsten Augenblick mit „Action“ und Abenteuer austoben. „Im Namen Puravida steht Pura für Ruhe und Meditation, Vida für Aktion.“ Damit Familien auch mal Ruhe vor ihren Kindern haben, wird der Nachwuchs – in drei Altersgruppen aufgeteilt – in einem 4500 Quadratmeter großen sogenannten Kinderdorf betreut. Die größeren Kinder können da sogar Webdesign und Digitalfotografie lernen. Väter und Söhne dürfen in Tipis übernachten. Wenn die lieben Kleinen ihr Outfit versaut haben, sorgen Waschmaschinen dafür, dass bei Rückgabe der Kinder an die Eltern alles wieder picobello ist.

Puravida-Gäste sind den Erhebungen nach trendorientiert, streben eine ansprechende äußere Erscheinung an und schätzen Mode, Luxus, Sport und Lifestyle. Sie mögen Yoga am Strand und können auch mit „Bodypump“ zu fetziger Musik und unter Anleitung durch Profitrainer etwas anfangen. Das Hotel in Belek bietet sieben À-la-carte-Restaurants. Auf dem Abendprogramm darf auch das eine oder andere Klavierkonzert stehen. Ein zweites Puravida-Hotel wurde inzwischen auf Kos eröffnet. Bis 2015 soll es 15 Häuser dieser Art geben.

Erik, 44-jähriger Architekt aus Krefeld und Gast in Belek, hat den Eindruck: „Das Niveau ist hier wie bei Robinson, aber ohne Club, ohne Achtertische, ohne Duzen und ohne Animationsklamauk, mit mehr Individualität.“ Conny, leitender Angestellter aus Berlin, findet allerdings, dass die versprochene strikte Trennung in Ruhe und Aktion noch nicht überall funktioniert wie sie soll.

Weil für die Urlaubszufriedenheit das Hotel am wichtigsten ist, wurden in den vergangenen Jahren die Anforderungen der Kunden an ihr Quartier gründlich erforscht. Als Folge entstanden zum Beispiel lange vor gesetzlichen Zwängen Nichtraucherhotels. Neuester Trend: Hotels nur für Erwachsene, „Adults only“. Wer keine oder bereits flügge gewordene Kinder hat, findet nach den Erhebungen vielfach anderer Leute Nachwuchs etwas nervig. Thomas Cook bietet bereits 27 Hotels ohne Kinder an. Das gerade eröffnete Hotel Touareg (Riu-Gruppe) auf der Kapverden-Insel Boavista ist in drei Bereiche aufgeteilt: „Adults only“, „Family & Kids“ und „Classic“ (für diejenigen, die es gemischt wie eh und je mögen).

Übrigens hat HolidayCheck.de, Deutschlands vermutlich größtes Hotelbewertungsportal, vor einiger Zeit seine Nutzer zu kinderfreien Hotels befragt. Stramme 90 Prozent der Umfrageteilnehmer begrüßten dieses Konzept entweder ausdrücklich oder zeigten zumindest Verständnis dafür, dass Urlauber ohne Kinder im Hotel unter sich bleiben wollen. Dabei gaben 65 Prozent an, selbst Eltern zu sein.

Auch der Reisekonzern Thomas Cook baut seine eigene Hotelmarke weiter auf: „Sentido“ (bisher 33 Hotels, weitere 25 in Planung) soll für „Urlaub mit allen Sinnen“ stehen. Weitere Hotelmarken seien jedoch bisher nicht vorgesehen, sagte eine Sprecherin. Das ist bei anderen Veranstaltern anders. Allein Tui Deutschland bereitet vier weitere Zielgruppen-Hotelmarken vor.

Häuser der auf Zielgruppen ausgerichteten Hotelmarken weisen überall nahezu denselben Zuschnitt und einen homogenen Gästekreis („Urlaub unter Gleichgesinnten“) auf. So sollen Kommunikation und Kennenlernen erleichtert werden. In einem dicken Handbuch hat Tui auch kleinste Details – von der Farbe der Zimmer bis zur Anzahl der Kleiderbügel im Schrank („mindestens zehn“) – vorgeschrieben.

Das Konzept der neuen Hotelmarken wird in einem Franchisevertrag festgeschrieben. Die Hoteliers entrichten eine entsprechende Gebühr und einen Marketingzuschuss. In Folge können die jeweiligen Hotels nur über den entsprechenden Veranstalter gebucht werden. Wegen dieser Alleinstellung ist ein Preisvergleich nahezu unmöglich. Die Verdienstmargen der Veranstalter liegen über den normalen Sätzen. Vorteil für die Hoteliers: Die Veranstalter bemühen sich, vorrangig in den eigenen Hotels die Betten zu füllen. Und die Hoteliers werden ständig durch Experten beraten. „Wir haben es hier mit einer Rundum-win-win-Situation zu tun, alle sind Gewinner“, ist Tui-Pressesprecherin Anja Braun überzeugt.

Zu den Gewinnern möchte auch der Duisburger Veranstalter Alltours zählen – und hat seine Hotelmarken in einer neuen Produktlinie gebündelt, die Kern des Winterprogramms 2011/12 sein soll. Damit will der Veranstalter „noch intensiver auf die speziellen Wünsche der Kunden“ eingehen. Sieben Hotelmarken stehen für sieben unterschiedliche Urlaubskonzepte. „Die neue Programmstruktur ist innovativ und setzt neue Standards in der Branche“, sagt Geschäftsführer Willi Verhuven.

Zu den bereits existierenden Marken Allsun, Club Alltoura, Deluxe, Premium Deluxe und Holiday Club haben die Mannen um Verhuven zwei neue Konzepte erdacht. Allvital richtet sich an sportlich aktive Familien und Singles mit einem entsprechend großen Sportangebot. Sechs Häuser in fünf Zielgebieten gibt es bereits. Die neue Marke Relax trumpft sogar mit zwölf Häusern in neun Zielgebieten auf. Hier sollen Urlauber selig werden, die „unterschiedliche Formen des aktiven Relax-Urlaubs“ wünschen. „Es gibt immer mehr Urlauber, die nicht mehr nur Fitness oder nur Entspannung oder ausschließlich Wellness wollen. Diese Gäste haben in den Relax-Hotels eine große Auswahl, um sich ein individuelles Entspannungsprogramm zusammenzustellen“, sagt Verhuven.

Horst Zimmermann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false