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Immer auf Deck. Ein Besatzungsmitglied der „Jahan“ hat während der Fahrt auf dem Mekong den Pool stets im Blick, auch wenn niemand badet.

© Justin Mott/Redux/Redux/laif

Kambodscha: Am Strom der Zeit

Die „Jahan“ gleitet über die Flüsse Kambodschas. Ab und zu legt das noble Schiff für Landgänge an. Manche führen tief in die traurige Geschichte.

Regen prasselt kurz mal vom Himmel über Kambodscha. Von Palmen, Bananenpflanzen und Bambusdächern rinnen Sturzbäche. Kinder toben barfuß im Schlamm. Unter einem Dach drängen sich die Besucher aus dem Westen und versuchen den Regenschauern auszuweichen. Eine junge Australierin erzählt von der „Organization for basic Training“, einem Projekt, bei dem 180 Kinder und Jugendliche im Dorf Chiro in Englisch, gastgewerblichem Wissen und traditioneller Musik unterrichtet werden. So sollen sie jenseits der Landwirtschaft ein Auskommen finden, vorzugsweise in der Tourismusindustrie.

Nichts versperrt den Fremden den Blick in die Klassenzimmer unter den Stelzenhäusern. Drinnen, auf dem Lehmboden, stehen Holzpulte, Kinder sprechen englische Vokabeln im Chor. Dann spielen ein paar Mädchen und Jungen ein Lied, andere reichen den Gästen Spieße mit gerösteten Süßkartoffeln. Mit großen Augen schauen auch jene Kinder zu, die vorhin noch Fußball gespielt haben. Die Besucher essen aus Höflichkeit. Die Kinder haben Hunger. Und so illustriert der erste Landgang gleich die ganzen Schwierigkeiten, die mit Entwicklungsarbeit einhergehen – und mit dem durch den Tourismus beförderten Aufeinandertreffen von Arm und Reich.

Chiro ist sechs Kilometer von Kampong Cham entfernt, der am anderen Ufer des Mekong gelegenen drittgrößten Stadt Kambodschas. Hier hat die „Jahan“ festgemacht: immerhin 70 Meter lang, knapp 13 Meter breit, ausgestattet mit Spa, Fitnessraum und einem Pool auf dem Aussichtsdeck. Das Leben auf dem Schiff, auf das die am Morgen aus Siem Reap angereisten Passagiere – viele Australier, eine Kanadierin mit Sohn, einige Deutsche – nun zurückkehren, könnte sich von dem in Chiro krasser kaum unterscheiden.

Das Leben ist gut auf der „Jahan“

Die „Jahan“ ist eines von fünf Schiffen der aus der Flotte der sogenannten Heritage Line Collection, die die Ströme Südostasiens befährt. 2011 lief sie vom Stapel. Mit glänzenden dunklen Holzböden, 26 großen Kabinen mit Balkons und elegantem Mobiliar im Kolonialstil wirkt sie so, als entstamme sie einer längst vergangenen Zeit. Das Leben an Bord ist mindestens so komfortabel, wie es wohl einstmals höhere Kolonialbeamte geführt haben mögen. Am Abend trifft man sich an der Bar auf dem Oberdeck zum Cocktail, bevor ein Gong zum Dinner in der Viceroy Dining Hall ruft.

Frühstück an Bord – auch ganz traditionell nach Art des Landes. Falls gewünscht.
Frühstück an Bord – auch ganz traditionell nach Art des Landes. Falls gewünscht.

© Bisping

Das Leben ist gut auf der „Jahan“, dafür sorgen neben dem Ambiente das kambodschanische Hotelpersonal und die vietnamesische Crew, insgesamt 38 Menschen von strahlender Freundlichkeit. Dennoch ist es mit dem Wohlleben allein nicht getan. Die Reise über den Mekong und den Tonle Sap River – die einander bei Phnom Penh kreuzen, wonach der Tonle Sap River als Bassac weiterfließt – ins Mekong-Delta hat den Anspruch, den Reisenden mit zwei Landgängen pro Tag, durch Filmvorführungen und gut informierte Guides den Alltag hinter den exotischen Landschaften zu zeigen.

Wer die komplette Tour bucht, reist in acht Tagen von Kampong Cham mit einem Abstecher nach Kampong Chhnang am südlichen Ende des Tonle Sap Sees bis nach Saigon – eine Route von 675 Kilometern Länge, die ihren größten Reiz aus der Langsamkeit schöpft. Geradezu himmlisch ist es, in einer leichten Brise auf dem Balkon zu sitzen, dem Murmeln des Stroms zu lauschen und das ländliche Kambodscha zu betrachten: Reisfelder und Zuckerpalmen am Ufer, auf dem Wasser gelegentlich ein Fischerboot.

Die Geschichte des Bürgerkriegs ist immer nah

Im Zuckeltrab. Pferdewagen sind, zumindest auf dem Land, keine Seltenheit.
Im Zuckeltrab. Pferdewagen sind, zumindest auf dem Land, keine Seltenheit.

© Bisping

Das Leben auf dem Land ist archaisch. Ochsen ziehen Pflüge. Wasser kommt nicht aus dem Hahn, sondern aus Brunnen. Die Häuser stehen auf Stelzen. Unter ihnen suchen die Tiere bei Regen Zuflucht; Menschen schützt die erhöhte Lage vor Hochwasser und Reptilien. Zwar hat die Zahl der Kobras stark abgenommen, seit viele Bauern Jagd auf sie machen. Denn chinesische Touristen schätzen Schlangensuppe. Dennoch ist mit beinlosem Viehzeug noch immer zu rechnen.

Wenn der Mekong während der Regenzeit weit über seine Ufer tritt, verschwinden die Stelzen der Häuser im Wasser. Zu dieser Zeit erkranken jedes Jahr vor allem Kinder an Dengue-Fieber. Die medizinische Versorgung auf dem Land ist katastrophal. Wird ein Kind krank, verkaufen Bauern ihr Mofa oder Land, um es behandeln zu lassen; nicht selten stirbt es auf dem weiten Weg zum Krankenhaus oder weil es gefälschte Medikamente ohne Wirkstoffe erhält.

Wat Hanchey, eine der ältesten Klosteranlagen Kambodschas.
Wat Hanchey, eine der ältesten Klosteranlagen Kambodschas.

© Bisping

Der Schweizer Arzt Beat Richner, der in seinen fünf Kinderkrankenhäusern jedes Kind sofort, gratis und nach westlichen Standards behandelt, wird daher in Kambodscha wie ein Heiliger verehrt. Schätzungen zufolge rettet Richner jedes Jahr 15 000 an Dengue-Fieber, Malaria oder Tuberkulose erkrankte Kinder. Durch die Zahlung solider Gehälter ist es ihm gelungen, Korruption in seinen Krankenhäusern so gut wie auszuschalten. Sonnabends gibt er in Siem Reap Cellokonzerte. Er spielt Bach und fordert von den Zuhörern Blut oder Geld: Geld für die Kliniken, Blut für Transfusionen.

Viele Stufen sind bis zum Kloster Wat Hanchey hochzujapsen, dem nördlichsten Punkt der Reise. Im Zentrum der Anlage liegt der Tempel Wat Hanchey, ein Bauwerk aus der Zeit vor dem Aufstieg Angkors zur größten Stadt der Welt. Dass er die Zerstörungswut des Pol-Pot-Regimes überdauert hat, erklärt sich aus seiner strategisch günstigen Lage: weit öffnet sich der Blick von hier über den Mekong. Zurück an Bord stellen wir die morastigen Schuhe ab – später werden wir sie geputzt vor den Kabinen wiederfinden –, man reicht uns eiskalten Tee.

Vor langer Zeit verschlang ein Krokodil eine Prinzessin

Hier wendet die „Jahan“ in Richtung Süden. Auch der nächste Landgang im Sprengel Angkor Ban beweist, dass die Geschichte des Bürgerkriegs in Kambodscha immer nah ist. Den hiesigen Tempel nutzten die Khmer Rouge als Gefängnis. Erst Ende der 90er Jahre gaben die letzten Guerillakämpfer auf. Um diese Zeit, im April 1998, starb Pol Pot in seiner Hütte auf dem Land.

Madame Khon
Madame Khon

© Bisping

Vor Kampong Chhnang erstreckt sich eine Stadt auf dem Wasser des Tonle Sap River. 1200 vietnamesische Fischerfamilien leben hier in auf Pontons gebauten Hütten. Wir erreichen mit Motorbooten das Ufer, fahren mit Bussen durch Reisfelder und Zuckerpalmenhaine und kommen schließlich in Andaung Russey an. Hühner scharren auf sandigem Boden, Kinder sausen umher, mittendrin steht die 61-jährige Madame Khon an ihrer Töpferscheibe und fertigt Schüsseln und Schalen: rotbraun, ebenmäßig, perfekt.

Die Menschen kauften hier schon Reisschalen, als der Tonle Sap River noch voller Krokodile war. Vor langer Zeit verschlang eines eine Prinzessin. Zu plötzlich kam der Angriff, als dass sie sich hätte retten können. „Man tötet Krokodile, indem man ihnen eine Melone in den Rachen wirft“, weiß Mister Rithy, unser Guide.

„Morgen werden Sie den ganzen Tag weinen“

Kurze Wege. Die „Jahan“ kann auch bei abgelegenen Flussdörfern anlegen.
Kurze Wege. Die „Jahan“ kann auch bei abgelegenen Flussdörfern anlegen.

© Bisping

Abends erreichen wir die Hauptstadt: Phnom Penh, in vorrevolutionären Tagen seiner schattigen Boulevards wegen als „Paris des Ostens“ gerühmt und als aussichtsreicher Kandidat für den Titel einer Welthauptstadt der Korruption berüchtigt. Hier wurde König Sihanouk von den Roten Khmer in seinem Palast festgehalten, ein entmachteter Monarch in einer Geisterstadt. Dabei waren die Sieger bei ihrem Einzug in Phnom Penh am 17. April 1975 in Phnom Penh freudig begrüßt worden: Endlich, glaubten die Menschen, war der Bürgerkrieg zu Ende, Sihanouk würde die Geschicke des Landes wieder übernehmen.

Stunden später begannen die Khmer Rouge mit der Evakuierung der Stadt. Die Bewohner sollten auf dem Land eine Agrargesellschaft ohne Technologie, Schulen, medizinische Versorgung, Familienstrukturen, Religion, Bücher oder irgendeine Errungenschaft der Zivilisation aufbauen.

Mit diesem Tag begann die Ära, die Kambodschaner bis heute mit der Chiffre 3-8-20 umschreiben: Drei Jahre, acht Monate und zwanzig Tage war die Bevölkerung buchstäblich versklavt. Am Ende waren zwei Millionen Menschen tot: ermordet, verhungert, von Krankheit und Erschöpfung dahingerafft.

Das alles ist nicht lange her, jeder über vierzig erinnert sich daran. Wer jünger ist, kennt die Lücken, die die Schreckensherrschaft in der eigenen Familie hinterlassen hat. Auf der „Jahan“ wird das Thema nicht ausgespart. Als wir am Abend in Phnom Penh vor Anker liegen, zeigt die Crew den Film „The Killing Fields“. Die Guides Punloen und Rithy erzählen von ihren Erlebnissen – der eine musste als Kind im Grenzgebiet vietnamesische Soldaten ausspionieren, der andere floh in den Dschungel und überlebte als „Waldjunge“.

Über den Wiesen des Killing Field Chhoeung tanzen Libellen

„Wenn Sie zart besaitet sind, werden Sie morgen den ganzen Tag weinen“, warnt Rithy, als er unser Tagesprogramm erläutert. Denn neben dem Königspalast, dem auf einem Hügel gelegenen Tempel Wat Penh und dem schönen, luftdurchwehten Nationalmuseum zählen der als Tuol Sleng oder „Sicherheitsgefängnis 21“ bekannte Folterknast und das 15 Kilometer südwestlich der Stadt gelegene Killing Field Chhoeung zu den Sehenswürdigkeiten Phnom Penhs.

Dass das Foltergefängnis in einer Schule eingerichtet wurde, illustriert den ideellen Kern eines Regimes, das Bildung als Bedrohung identifizierte und komplett abschaffte. Und obwohl es für Deutsche keine Überraschung ist zu erfahren, wozu Menschen fähig sind, ist vieles hier unfassbar. Die Fotografien neu eingetroffener Häftlinge, von denen einige voller Angst, andere schwer verprügelt in die Kamera blicken; viele Frauen haben Babys im Arm, andere Gefangene sind noch Kinder. Nicht wenige der Häftlinge waren selbst Khmer Rouge. „Säuberungen“ in den eigenen Reihen waren Teil des paranoiden Systems. Dann die Bilder, die sie nach dem „Verhör“ zeigen, halbtot in 80 mal 180 Zentimeter messenden Zellen liegend. Schränke voller Knochen und Vitrinen mit Kinderkleidern. Fotos der Folterer, die auf Gräber zeigen; ihnen sind die Augen weggekratzt.

Über den Wiesen des Killing Field Chhoeung tanzen Libellen. Vögel singen, eine Henne gackert. Hier wurden Leichen abgeladen und mit DDT übergossen. Am Ende lagen die Toten überall, in Flüssen, im Dschungel. Mister Rithy bückt sich und hebt einen Zahn auf. Bis heute spült jeder Regenguss Knochen, Kleiderfetzen und eben Zähne aus dem Boden. 86 Massengräber sind eingezäunt und überdacht, an jedem Pfosten sind bunte Bändchen zum Gedenken an die Opfer befestigt. Ein Baum mit mächtigem Stamm ist von Bändchen wie ummantelt. Es ist der „Killing Tree“, gegen den die Henker Babys und Kleinkinder schlugen.

Zurück in der Stadt gehen wir in das Restaurant Romdeng. Hier absolvieren ehemalige Straßenkinder Ausbildungen in Küche und Service. Es ist nicht der Tag für geröstete Tarantel, wohl aber für ein mildes Curry aus Meeresfrüchten, aufgetragen von jungen Menschen mit freundlichen Augen. Gedämpft dringen die Geräusche der Großstadt in den tropischen Garten: Motorenlärm, Hupen, Stimmen. All das erscheint uns wie ein Triumph des Guten über das Böse.

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