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Nordhausen: Tabak und Tapeten

Nordhausen, Thüringens "Tor zum Harz", punktet vor allem mit Geschichte.

Der berühmteste Nordhäuser ist ein Schnaps. Der Korn aus der Stadt im Norden Thüringens wird seit mindestens 1507 gebrannt. Der zweitberühmteste Nordhäuser hat dunkle Locken und einen dynamisch geschwungenen Schnurrbart. In der rechten Hand hält er ein Schwert, die linke stützt sich auf einen Schild mit Reichsadler. Und die golden schimmernde Krone passt gar nicht schlecht zum eleganten roten Mantel. Die Roland- Figur vor dem Rathaus macht noch immer einiges her. Im Mittelalter war sie ein Symbol städtischen Selbstbewusstseins. Nordhausen hatte es zu Recht.

Die Stadt, die zu den ältesten Thüringens gehört und als „Tor zum Harz“ gilt, hat ihr mittelalterliches Gesicht zwar verloren. Einen Besuch lohnt sie aber noch immer – oder gerade wieder. Das gilt nicht zuletzt, seit zur Landesgartenschau vor fünf Jahren einiges für das Stadtbild getan wurde, etwa auf dem Petersberg mit den Nordhäuser Terrassengärten. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt zwar weitgehend zerstört. Und der Wiederaufbau in der DDR ab 1957 hatte nicht das Ziel, das historische Erbe zu retten. Dennoch ist eine ganze Reihe von Baudenkmälern erhalten, die zeigen, wie herausragend Nordhausen einst für die Region war.

Die St. Blasii-Kirche gehört dazu. Sie fällt von weitem durch ihre unterschiedlichen Türme auf, die beide scheinbar umzukippen drohen. Auch die wieder farbenfrohen Fachwerkhäuser in der Barfüßerstraße, „Deutschlands kürzester Fußgängerzone“, machen einiges her. Und das Renaissance-Rathaus aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts zeigt, dass sich die Stadt, in der heute gut 44 000 Menschen leben, damals einiges leisten konnte.

Der mittelalterliche Roland ist nicht erhalten. Die Nordhäuser haben 1717 einen neuen anfertigen lassen, und auch der musste viel mitmachen. „Den Bombenangriff im April 1945 hat er noch überstanden“, sagt Dorothee Schwarz von der Stadtführer-Gilde. „Wind und Wetter haben ihm allerdings so zugesetzt, dass er 1993 restauriert werden musste.“ Das Original fand erst im Museum und dann im Vestibül des Rathauses Unterschlupf, wo es heute noch zu besichtigen ist. An seinem traditionellen Platz steht nun eine Kopie aus Kunstharz, der die Unbilden des Wetters nichts anhaben können.

Rund 25 solcher Roland-Figuren gibt es in Deutschland. Etwa auf dem Bremer Marktplatz. So wie Bremen freie Hansestadt war, war Nordhausen freie Reichsstadt. „Es hatte eigene hohe Gerichtsbarkeit und einen eigenen Scharfrichter“, erzählt Dorothee Schwarz. Heinrich I. hatte hier im 10. Jahrhundert schon eine Burg. Es wird gesagt, der König habe Nordhausen sehr geschätzt. Drei seiner Kinder wurden dort geboren. Seine Frau Mathilde gründete dort 961 ein Damenstift. Zusammen mit der Königspfalz war es die Keimzelle der späteren Stadt.

Unser Rundgang führt entlang der Stadtmauer, vorbei am Hungerturm mit den Resten des alten Gefängnisses und am ältesten Gebäude Nordhausens, einem früheren Getreidespeicher, der 1292 angelegt wurde. Weit ins Mittelalter zurück reicht auch die Geschichte des Doms zum Heiligen Kreuz. Der Altar ist zwar aus dem Barock und das Kirchenschiff spätgotisch. Doch die Krypta stammt aus der Romanik. „Es ist der älteste und schönste Raum in Nordhausen“, sagt Dorothee Schwarz. Kein Kapitell der Säulen in dem schlichten, niedrigen Gewölbe gleicht dem anderen.

Das Museum im „Tabaksspeicher“ ergänzt die Eindrücke, die ein Spaziergang durch Nordhausen bietet, ideal: Unter anderem gibt es eine archäologische Sammlung. Zu sehen sind der Backenzahn eines Fellnashorns genau wie Schenkelknochen des Steppenbisons oder das Skelett einer Frau aus der Jüngeren Steinzeit. Die Ausstellung zeigt auch, wie die Bäckermeister im Mittelalter „kernbrot und prezzeln“ herstellten, Nordhäuser Händler mit Blaudruck aus der Färberpflanze Waid viel Geld machten, oder wie Gerber und Schuhmacher zur größten Innung der Stadt aufstiegen.

Interessant ist vor allem der Ausstellungsteil zur Industriegeschichte: Die erste Tapetenfabrik Deutschlands wurde 1812 in Nordhausen gegründet – einige Tapeten aus dem 19. Jahrhundert sind im Museum noch zu sehen. Auch der Tabak aus Nordhausen hat eine lange Tradition. Tabakfabriken gab es etliche. „Echt Nordhäuser Kautabak“ wurde in Tontöpfen verkauft. Um 1926 beschäftigte Grimm & Triepel, Deutschlands größte Kautabakfabrik, mehr als 730 Arbeiter. „Mein Großvater hat auch gepriemt“, erinnert sich Dorothee Schwarz.

Zigarren wie „Jägerstolz“ wurden nicht nur in Nordhausen geraucht, sondern auch in Berlin oder Köln. Zu DDR- Zeiten kam eine Reihe bekannter Zigarettenmarken aus Nordhausen: von „Cabinett“ und „Club“ bis „f6“. Das Museum lässt auch die hochprozentigen Suchtmittel nicht außen vor: Der bekannte Korn wird schon seit mehr als 500 Jahren gebrannt. Im Jahr 1726 gab es 69 Brennereien in der Stadt, 1820 kamen 40 Prozent des Branntweins in Preußen aus Nordhausen. Und noch 1948 gab es zehn Betriebe, die Schnaps produzierten. Der „VEB Nordbrand“ wurde 1991 privatisiert – Nordhäuser Doppelkorn gibt es noch immer. Und anders als der Roland besteht er nach wie vor aus den Originalzutaten.

Auskunft: Stadtinformation, Markt 1, 99734 Nordhausen; Telefonnummer: 036 31 / 69 67 97, im Internet unter der Adresse: www.nordhausen.de

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