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Reise: Riesling mit der Loreley

Als Weingegend war Rheinhessen lange verpönt. Das hat sich sehr geändert

Es wäre kein Wunder gewesen, wenn beim Anblick der Ortsschilder von Nackenheim, Nierstein und Oppenheim plötzlich Phantomschmerzen durch die Gehirnwindungen gerast wären – ausgelöst von nachhaltigen Jugenderinnerungen an überaus liebliche Weine, die einst ahnungslose Wirte unter den damals marktbeherrschenden Namen „Oppenheimer Krötenbrunnen“ und „Niersteiner Domtal“ ausschenkten. Großlagen für Kopfweh, ungewohnte Rebsäfte für junge Biertrinker, die an Hopfen und Malz gewohnt waren. Alles vorbei. Die Heimat von Krötenbrunnen und Domtal liefert heute deutsche Spitzenweine, vor allem vom Roten Hang zwischen Nierstein und Nackenheim.

„Hier“, sagen professionelle Weinkritiker, „gedeihen auf rotliegendem Permgestein einige der besten Rieslinge Deutschlands. Auch die beste Winzergenossenschaft hat in Nierstein ihren Sitz.“ Etwas unbeholfen und holprig nennt sich Nierstein allerdings „Die Riesling City“.

Der exzellente Ruf des Weins von der rheinhessischen Rheinfront korrespondiert jedoch nicht mit dem touristischen Angebot. Die meisten Hotels und Gasthöfe sind auf ihre Art liebenswert bescheiden geblieben. In ihnen hängt noch der verblichene Charme des Nachkriegstourismus, als die Flotten der Ausflugsbusse am Rhein entlang rollten.

Und sie kommen noch immer, die Busse mit den rüstigen Rentnern. Zu lange hat die touristische Rheinfront auf die alleinige Anziehungskraft von Strom, Reben und Wein gesetzt. Deutschland am Nebengleis. Hier liegt es. An der Bahnstrecke Mainz–Worms, die, ebenso wie die Bundesstraße 9, dem Siedlungsraum zwischen Fluss und Weinbergen das kostbare Land stiehlt. Kein Platz für die viel besungene Rheinromantik, die in anderen Orten am großen Fluss massenkompatibel gepflegt wurde und wird.

Im oberen, von Steilufern gesäumten Mittelrheintal zwischen Bingen und Koblenz beispielsweise. Hier liegt das als Unesco-Welterbe ausgewiesene märchenhafte und romantische Burgen-Loreley-Land, das die Fremden aus Amerika und Fernost so lieben und das die Dichter besangen, und das die Touristen in der Rüdesheimer Drosselgasse immer noch besingen: „Kornblumenblau ist der Himmel am herrlichen Rheine, Kornblumenblau sind die Augen der Frauen beim Weine.“ Und dann, wenn es kühl wird und dunkelt : „Ich weiß nicht was soll es bedeuten, dass sich so traurig bin…“

Vor allem auf den Adelssitzen und in den Herrenhäusern des Rheingaus zwischen Wiesbaden und Lorch trieben sich die romantischen Dichtergesellen herum, die, wie Goethe, Clemens Brentano oder Achim von Arnim, die Wahrheit immer auch im Wein suchten. Goethes Vorliebe für den „Winkler Hasensprung“ von 1811 ist legendär. Glückselig schrieb auch Fontane: „Es ist erstaunlich, wie viele Püffe das Herz verträgt, wenn man jeden Schlag mit einer Flasche Marcobrunn reparieren kann.“ Heinrich Heine wiederum gab ein Glaubensbekenntnis zu Schloss Johannisberg ab, das wie eine Rheingauer Trutzburg des Weins hoch über dem Rhein auf einer Anhöhe thront. „Mon Dieu“, begeisterte sich Heine, „wenn ich doch soviel Glauben in mir hätte, daß ich Berge versetzen könnte, der Johannisberg wäre just derjenige Berg, den ich mir überall nachkommen ließe.“ Von diesem vielfachen literarischen Erbe zehren die Rheingauer bis heute.

Den linksrheinischen Nackenheimern, Niersteinern und Oppenheimern haben solche poetischen Fürsprecher immer gefehlt. Nur der 1896 in Nackenheim geborene Dichter Carl Zuckmayer hat seine Heimat und deren Weine literarisch verewigt, aber für die touristische Werbung sind seine Zeilen weniger geeignet, auch wenn sie bis heute Gültigkeit haben. In Zuckmayers Biografie „Als wär’s ein Stück von mir“ heißt es: „Mein Heimat ist Rheinhessen, und das heißt, daß sie landschaftlich nichts mit dem zu tun hat, was man unter ,Rhein-Romantik‘ versteht. Diese Gegend zeigt in ihrer starken, besonnten Fruchtbarkeit ein äußerst einfaches, nüchternes Gepräge.“

Hinter den steilen Weinbergen am Rhein wellt sich eine Hochebene nach Westen hin zu den weiten Senken und lang schwingenden Erhebungen des Rheinhessischen Hügellandes. Es ist ein waldloses, schattenlos anmutendes Land, das jenseits von Ingelheim die großen Wälder des hessischen Taunus als Widerpart hat. Dort drüben feiern sie in herausgeputzten Orten und hinter Klostergemäuern das inzwischen weltberühmte Rheingauer Musik Festival. Oder die Rheingauer Gourmettage, zu denen Drei- Sterne-Köche aus den USA einfliegen.

Schlendert man vom rebenumrankten, fachwerkschönen Landhotel St. Gereon die Weinbergstraße entlang Richtung Kapselfabrik, die einst dem Vater des Dichters gehörte, dann passiert man die von Zuckmayer erwähnten Fachwerk- und die schmalbrüstigen, grau-gelben Backsteinhäuschen. Wie Bahnwärterhäuschen sehen sie aus, überragt von der Turmspitze der St. Gereonskirche.

In dieser kleinbürgerlichen, rosenumrankten Häuseridylle liebte übrigens nicht jedermann den Dichter, dem die Nackenheimer das deftige Lustspiel „Der Fröhliche Weinberg“, das 1925 in Berlin Premiere hatte, wegen „Nestbeschmutzung“ nicht verzeihen wollten. Prügel drohten sie dem armen Poeten an.

Die verwinkelte Altstadt von Oppenheim kommt der Vorstellung eines heimeligen Weinstädtchens jedoch am nächsten. Hoch über dem Rhein am von historischen Fassaden gerahmten Marktplatz ist auf der Rathausterrasse gut sitzen, bei Spundkäse mit frischen Kartoffeln. Ein paar Schritte nur auf dem Kopfsteinpflaster bergan und der Fremde steht vor der Katharinenkirche, die, so der Kirchenprospekt, „neben dem Straßburger Münster und dem Kölner Dom zu den schönsten gotischen Bauwerken am Rhein zählt“.

In das viel gerühmte Oppenheimer Kellerlabyrinth ist der Fremde nicht hinabgestiegen, und den berühmten „Krötenbrunnen“ hat er auch nicht getrunken. „Dieser populäre Tropfen“, heißt es in der Stadtwerbung, „ist selbst in Amerikas Weinläden zu haben.“ Das jedoch kann auch eine ernsthafte Warnung sein.

Auskunft: Rheinhessen Information, Telefon: 061 32 / 441 70, im Internet unter: www.rheinhessen-info.de

Rainer Schauer

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