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„Und der Haifisch, der hat Zähne...“ Und die hat natürlich auch die Berlinerin Niki, die heute im Stralsunder Ozeaneum ihre Bahnen zieht.

© Johannes-Maria Schlorke, Ozeaneum

Stralsunder Ozeaneum: Im Reich der Flossen

Aale, Haie, Ohrenquallen: Im Stralsunder Ozeaneum leben rund 7000 Tiere. Besucher tauchen ein in ihre fragilen Meereswelten.

Niki dreht ungestört ihre Runden. Das zweieinhalb Meter lange Haiweibchen ist erst in diesem Jahr vom Berliner Zoo-Aquarium nach Stralsund umgezogen. Im Schwarmfischbecken „Offener Atlantik“ des Ozeaneums hat sie einfach mehr Platz. In 2,6 Millionen Liter Meerwasser und einer Beckentiefe von neun Metern fühlt sich Niki sichtlich wohl. Der Sandtigerhai hat reichlich Gesellschaft. Rochen sind da und zwei kleinere Ammenhaie, die heute träge auf dem Beckenboden liegen. Zudem umkreisen Niki Tausende hell glänzender Schwarmfische wie Makrelen, Doraden oder Drückerfische. Silbrig blitzen ihre Körper auf und umrahmen Niki wie ein Medaillon.

Spektakuläres hat das größte Meeresmuseum Europas allerdings bereits am Eingang zu bieten. Im gläsernen Foyer hängen drei imposante Walskelette neben der mit 30 Metern längsten freitragenden Rolltreppe Europas, wie Harald Benke, Leiter des Ozeaneums, betont. Er hätte gerne eine 33 Meter lange Treppe gehabt, so lang, wie Blauwale werden können, doch die Statik sprach dagegen.

In der Halle „Riesen der Meere“ ist das imposante Modell eines Blauwals zu bewundern. An der Decke hängen zudem ein Buckelwalweibchen mit Jungtier, ein Schwertwal sowie die Skulptur eines Pottwals, der mit einem Riesenkalmar kämpft. Untermalt wird dieses Drama mit einer Licht- Ton-Schau. Auf Liegen kann der Besucher die tiefen, Hunderte von Kilometer reichenden Töne des Blauwals, die Gesänge des Buckelwals oder die Klicks der Pottwale hören, mit denen sie die Beute in bis zu 3000 Meter Tiefe aufspüren.

Riesenkaiman gegen Pottwal - am Modell dargestellt.
Riesenkaiman gegen Pottwal - am Modell dargestellt.

© Johannes-Maria Schlorke

Doch das Ozeaneum bietet auch ruhige Szenen. Etwa am ersten Aquarium des Rundgangs, wo sich rotbraune Würmer im Sand kringeln und Krebse auf ihre schräge Weise an der Scheibe entlanglaufen. Eine dunkle, eckig anmutende Flunder gräbt sich in den weißgrauen Boden. Ein Aal versteckt sich in einer Tonröhre, die halb aus dem Schlamm ragt, andere Aale klammern sich an einen verrosteten Einkaufswagen. Er wurde ebenso im Stralsunder Hafenbecken gefunden wie das ramponierte Fahrrad, an dem nun auch, nahezu reglos, Aale hängen. „Erst nachts werden sie aktiv“, berichtet Museumspädagogin Ria Schmechel.

Im schwach salzhaltigen Wasser des Aquariums „Stralsunder Hafenbecken“ fühlen sich gleichermaßen Fische wohl, die meist im Süßwasser leben wie Barsch, Zander oder Hecht, und solche, die Salzwasser bevorzugen, wie Dorsch oder Scholle. Das entspricht den Verhältnissen im Hafen der Hansestadt, der nur wenige Meter entfernt ist, sagt Schmechel.

Schnell hat sich das vor fünf Jahren eröffnete Museum zum Publikumsmagneten entwickelt. Seit2008 hat der spektakuläre Neubau etwa 3,5 Millionen Besucher angelockt. „Die gewölbten Fassaden sind mit Stahlplatten eingefasst, wie sie auch im Schiffsbau verwendet werden“, sagt Harald Benke. Der 56-jährige Meeresbiologe ist auch Direktor des alten Meeresmuseums, das ein paar Straßen weiter im einstigen Katharinenkloster vor allem die tropischen Ozeane und das Mittelmeer zum Thema hat.

Das Ozeaneum konzentriert sich dagegen auf Ost- und Nordsee sowie den Nordatlantik. Der Felseninsel Helgoland ist ein Tunnelaquarium gewidmet, das Gezeitenbecken simuliert Ebbe und Flut, und im Brandungsbecken brausen die Wellen jede Minute aufs Neue.

Das Museum will aufklären – aber auch unterhalten

Forscherdeck. Hier können Kinder ihre Neugier und Entdeckerfreude ausleben.
Forscherdeck. Hier können Kinder ihre Neugier und Entdeckerfreude ausleben.

© Johannes-Maria Schlorke

In den Aquarien leben rund 7000 Tiere, zumeist Fische. Sogar Ohrenquallen, die in der Regel nur vier bis sieben Monate alt werden, können Besucher nun genau beobachten. Die komplizierte Zucht der weiß-gelblichen Medusen ist im Ozeaneum vor kurzem erstmalig gelungen, so dass sie nun das ganze Jahr gezeigt werden. Bisher war das allein während der Sommerzeit möglich, wenn die Quallen in den Gewässern vor Stralsund vorkamen.

Neben den Aquarien gibt es Ausstellungen zur marinen Tier- und Pflanzenwelt, zur Artenvielfalt und deren Bedrohung etwa durch moderne Fangmethoden oder Massentourismus. Dioramen präsentieren die Objekte dreidimensional. Kunstvolle Präparate künden vom Leben in der Tiefsee.

Allerlei Tricks, um sich fortzupflanzen, lässt sich der Tiefseeanglerfisch einfallen. Im Ozeaneum ist ein präpariertes Exemplar ausgestellt, das Benke als „unsere Mona Lisa“ bezeichnet. Das muss ironisch gemeint sein, denn der Besucher blickt auf einen skurrilen runden Fisch mit bizarr aufgerissenem, scharf bezahntem Mund, über dem ein verzweigtes Gebilde ragt. „Das sind Angeln, sie können leuchten“, erklärt Benke. So wird Beute angelockt und verschlungen. Aber auch Geschlechtspartner reagieren auf die Lichtsignale, die nur Weibchen aussenden können. „Wenn man in der riesigen Leere der Tiefsee mal einen Geschlechtspartner hat, muss man sich den krallen“, erklärt Benke. So beißt sich das maximal zweieinhalb Zentimeter große Männchen – es können auch mehrere sein – am bis zu zehnmal größeren Weibchen fest, lässt es nicht mehr los und wird von diesem ernährt. Das Weibchen hat nun den Samenspender stets bei sich, der die reifen Eier sofort befruchten kann.

Zahlreiche Touchscreens locken vor allem Kinder und Jugendliche an, die mit Fragebögen eine Art Rallye durch das Museum machen können. Am interaktiven Wissenstisch kann sich jeder spielerisch über die ökologischen Probleme durch Schiffsverkehr, Windkraftanlagen oder Pipelines informieren. Hilfen böten etwa die Ausweisung neuer Naturschutzgebiete, die Wiederansiedelung gefährdeter Tiere, eine effektivere Kontrolle der Verschmutzer oder besserer Lärmschutz. Davon würde nicht zuletzt der Schweinswal profitieren.

„Lange Zeit haben wir nicht gewusst, dass es überhaupt eine eigene Population in der Ostsee gibt“, sagt Walexperte Benke. Heute wird ihre Zahl auf 600 geschätzt. Wie viele dieser scheuen, durchschnittlich 1,60 Meter langen Tiere es wirklich sind, soll mit Echolot-Detektoren herausgefunden werden. Probleme macht vor allem die Fischerei. „In der Ostsee sterben inzwischen wahrscheinlich mehr Schweinswale in den Netzen, als Kälber geboren werden“, schätzt Benke. Der Lärm von Schiffen oder das Einrammen der Stützpfeiler von Windkraftanlagen kann auch das Gehör der Tiere schädigen.

Das Ozeaneum will aufklären – aber auch unterhalten. In der Kinonische des Museums etwa wird eine fiktive Tauchfahrt geboten, Kinder können mit Wasserrädern an Wehren und Dämmen experimentieren. Und wer sich im Seegras versteckt, erlebt das Meer aus der Perspektive von Flohkrebs oder Seepocke.

Hoch oben auf der Dachterrasse watscheln weiße Vögel im schwarzen Frack herum. Hin und wieder tauchen sie ins Wasser – 120 000 Liter haben sie im luftigen Außenbereich zur Verfügung. „Die mittlerweile zehn Humboldtpinguine sind die Lieblinge der Besucher“, sagt Benke. Sie stammen aus Nachzuchten und sind in Zoos in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen. In den vergangenen zwei Jahren hat es bereits zweimal eigenen Nachwuchs gegeben. Ein Zeichen, wie gut es den sonst an Chiles Pazifikküste beheimateten Tieren geht.

Paul Janositz

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