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Südafrika

© laif

Südafrika: Die Weisheit der Tiere

Hier ein Löwe, dort Elefanten: Im südafrikanischen Madikwe Reservat kommt man ganz nah ran.

Die Genügsamkeit des Löwen ist verblüffend. Krachend kaut er auf den Überresten eines Gnus, das er vor Tagen erlegt hat. Dass die Mahlzeit schon ziemlich streng riecht, bekommen die zehn Menschen, die ihm aus drei oder vier Meter Entfernung vom offenen Range Rover beim Fressen zuschauen, deutlich mit. Er könnte ja eine frische Antilope erbeuten. Doch er vertilgt die alte Beute ganz und hat dann erst mal wieder Ruhe, bis der Hunger zurückkehrt. Anders als bei Menschen quälen ihn nicht die kitzelnden Geschmacksnerven, die zum Frühstück in der Eisenbahn mit Eggs Benedict verwöhnt werden, zum Lunch den Chef’s Salad mit Avocado, Schafskäse und geräucherter Hühnerbrust hinterherschieben, um dann nach einer nachmittäglichen Cranberry-Käsekuchen-Einlage noch lässig Platz zu finden für die zarten Strauß-Medaillons mit Bo-Kaap-Gewürzen beim Dinner.

Man könnte viel nachdenken über das Spannungsfeld zwischen Genügsamkeit und Luxus, nun da die Welt der Hütten nicht mehr eine Unwirklichkeit weit hinten in den ernsteren Kanälen des Fernsehers ist, sondern sich direkt hinter den Verbundglasscheiben der luxuriösen Eisenbahn namens Rovos Rail abspielt. Der zweitägige Safari-Ausflug ins Madikwe Wildreservat ist da sehr lehrreich. Da der Löwe nicht so habsüchtig ist wie die Menschen, die ihn ungeschützt von Zäunen und Gittern betrachten, braucht man vielleicht auch keine Angst vor ihm zu haben. Es fällt eben nur so schwer, diese Abwesenheit von Gier nachzuvollziehen. Und deshalb zittert man doch, als er sich zu voller Höhe aufrichtet und ganz nah an den Rover herankommt, zufrieden und ein bisschen hochmütig blickt, und in jeder Hinsicht überlegen.

Am Steuer sitzt Waynand, der 22-jährige Ranger. Er hat vorher Verhaltensmaßregeln gegeben: nicht aufstehen, nicht laut reden und schon gar nicht vom Fahrzeug springen. „Dann macht man sich zur Beute.“ Solange alle still auf dem Wagen sitzen, ist das Fahrzeug als Ganzes für den Löwen wie ein anderes Tier, von dem er nichts hat, weil es ziemlich ungenießbar wirkt. Daran muss man glauben können. Als der Wagen später einer ganzen Löwenfamilie auf ihrem Weg zum Wasserloch folgt, kitzeln die Nerven schon ein bisschen.

Im Madikwe Reservat kommt der Besucher den Tieren sehr nahe und ist in einer kleinen Gemeinschaft auch mal ganz allein mit ihnen. Etwa 60 000 Hektar Land sind umgeben von einem 150 Kilometer langen Zaun. Die meisten Tiere sind hierher umgesiedelt worden, was besonders die Elefanten unglücklich macht. Warum Elefanten so leicht Heimweh kriegen, kann Waynand nicht sagen. Er weiß nur, dass es so ist. Mit Elefanten hat es anderswo auch schon mal Unfälle gegeben, man darf sie nicht provozieren.

Auf der Nachmittagspirsch stoppt der Rover kurz vor einer Elefantenfamilie, die mit ihren Jungen unterwegs ist und dicht an der Piste grast. Sie gucken den Wagen aufmerksam an, und man spürt, dass sie gar nicht daran denken, Platz zu machen. Waynand will seinen Gästen jedoch unbedingt die Büffelherde zeigen, nimmt einige Male Anlauf, um doch irgendwie durchzubrechen. Einer Elefantenkuh geht das arg gegen den Strich. Sie wedelt schließlich bedrohlich mit den Ohren und trabt auf den Range Rover zu. Im Rückwärtsgang tritt Waynand den Rückzug an über die holperige Savannenpiste. Erst in einiger Entfernung, als die Elefantenkuh stehen bleibt, dreht er vorsichtig um. Jetzt wählt er eine andere, extrem holprige Piste, fährt auf einen Hügel, um mit dem Fernglas die Büffel ausfindig zu machen. Per Funk verständigt er sich mit anderen Rangern. Sie geben sich untereinander Tipps, wo die Tiere zu finden sind.

Dieser Gruppe fehlen zu den „Big Five“ nur noch die Afrikanischen Büffel. Elefanten haben sie bereits reichlich gesehen, die Löwen ebenfalls, einen Leoparden nur kurz, aber immerhin, wie er aus den Sträuchern heraus auf die Piste lief und von dort auf einem kleinen Felshügel verschwand, und auch die dicken Nashörner sind schon auf der Kamera gebannt. Die zwei Übernachtungen in der Tau Lodge sind ausgesprochen ergiebig fürs Fotoalbum. Doch es gibt nicht nur große Tiere hier, sondern auch wunderschöne Vögel, rund 300 Arten insgesamt, darunter bunte Paradies- und Eisvögel. Außerdem Giraffen, Antilopen, Gnus, Warzenschweine, Hyänen und Affen, die in der Lodge über die Dächer turnen. Eigentlich schade, dass die großen Tiere immer die Hauptrolle spielen.

Nach langer Suche findet Waynand die Büffel doch noch. Eine ganze Herde, bestimmt hundert Exemplare. Er muss dafür von der Piste abfahren, querfeldein durch die holprige Steppe. Ganz nah ran an die Büffel. Die Bullen beobachten uns aufmerksam – und wieder überkommt einen die Hoffnung, dass sie nicht nervös werden. Was, wenn die ganze Herde losstürmt? Waynand verständigt über Funk seine Kollegen und bald kommen noch zwei weitere Fahrzeuge an, um die grasenden Büffel zu beobachten. Vor dem Guide liegt in einer Stoffhülle ein Gewehr. Für alle Fälle.

Auf dem Rückweg stellt der Ranger dann an einem ruhigen Fleckchen am Rande der Piste einen Picknicktisch auf, holt Trockenfleisch, Nüsse, Gin Tonics und andere Drinks aus dem Kofferraum. Zeit für einen „Sundowner“, der auf keiner Safari bei Sonnenuntergang fehlen darf. Die Gäste sind begeistert: Die „Big Five“ haben sie alle im Kasten, dazu die vielen Kudus, die Giraffen, Gnus, Zebras, eine Hyäne und Elefantenbilder ohne Ende. Der junge Ranger wird für seine hartnäckige Suche hoch gelobt.

Beim Abendessen gibt es auf dem Büfett auch Antilopenfleisch und unter den Gästen nur noch ein Gesprächsthema – die Tiere. Welche man gesehen hat, wie viele es waren, wie sie sich verhalten haben, wie nah sie waren.

Jeder Gast ist in einem eigenen kleinen Häuschen untergebracht, die Betten wirken mit ihren Moskitonetzen fast wie Himmelbetten, vor den Bädern gibt es Open-Air-Duschen. Am schönsten sind die Terrassen. Von dort gibt es freien Blick aufs Wasserloch und es herrscht andächtiges Schweigen, wenn zur Mittagszeit die Tiere zum Saufen kommen und man das unglaublich friedliche Miteinander in der Wildnis von Afrika unmittelbar erlebt. Die weiche Luft, das weite Land, die Trägheit, die einen plötzlich erfasst: fressen, schlafen, liegen. Braucht man wirklich so viel mehr?

Über Gaborone, der an purpurfarbenen Bougainvilleen reichen Hauptstadt Botsuanas, geht es mit dem Zug nach Victoria Falls in Simbabwe, und von dort aus mit dem Bus noch einmal nach Botsuana zum Chobe-Fluss, zur Chobe Marina Lodge.

Vor der Zimmertür hat es sich eine Warzenschweinfamilie bequem gemacht. Am späten Nachmittag geht es im Pontonboot auf Fluss-Safari. Große Flusspferdherden werden versprochen. „In Afrika kommen mehr Menschen durch Hippos als durch andere Tiere ums Leben“, warnt der Ranger. Flusspferde werden schnell aggressiv, besonders wenn ihnen der Weg zwischen Wasser und Land versperrt ist. Sie haben ein Gebiss wie ein Bagger und können, wenn sie wollen, einen Menschen einfach entzweibeißen. Von den überdachten Booten aus sieht man auch Krokodile, bis zu drei Meter lang. An Land sind jede Menge Paviane, Elefanten und Büffel zu sehen.

Die überraschende Erfahrung: Auch wenn man normalerweise um jeden unangeleinten Dackel einen Bogen macht, kann man diese Tiere liebgewinnen. Und sei es auch nur, weil sie einen haben weiterziehen lassen.

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