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Open-Air-Museum. Viele Persönlichkeiten fanden auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise die letzte Ruhe. Die Figur rechts gehört zum Grabmal von Oscar Wilde.

© Joel Saget/AFP

Ungewöhnliche Reiseziele: Unbedingt zum Grab von Edith Piaf

Mehrere Friedhöfe gehören zum Unesco-Welterbe – und werden als Naherholungsgebiete beworben.

Der Wiener Zentralfriedhof, der Père Lachaise in Paris, der Cimitero Monumentale in Mailand oder der größte Parkfriedhof der Welt in Hamburg-Ohlsdorf: Sie tauchen in den Hitlisten der beliebtesten Grabstätten immer wieder auf. Hier haben Berühmtheiten wie Wolfgang Amadeus Mozart oder Edith Piaf ihre letzte Ruhe gefunden. Jahrhundertealte Architektur zieht Besucher aus aller Welt offenbar ebenso an wie eine melancholisch-herbstliche Stimmung. Manche Friedhöfe werden auf Online-Portalen gar als „Naherholungsgebiet“ beworben.

Diese Faszination ist nach Einschätzung von Experten jedoch mehr als ein Tourismustrend. Der Friedhof habe „kunst- und kulturhistorisch eine unbestreitbare Bedeutung“, sagt der Geschäftsführer des Kuratoriums Deutscher Bestattungskultur, Oliver Wirthmann. „Kultur beginnt dort, wo Menschen ihre Toten bestatten.“

Diesen kulturellen Wert würdigt auch die Unesco: Mehrere Friedhöfe gehören zum Weltkulturerbe, etwa der schwedische Waldfriedhof Skogskyrkogarden oder der Lytschakiwski-Friedhof in Lemberg in der Ukraine. Auch deutsche Friedhöfe haben es bereits versucht, zum Beispiel der Jüdische Friedhof in Berlin-Weißensee. Der Jüdische Friedhof Hamburg-Altona könnte, so hofft man in der Hansestadt, 2017 nominiert werden.

Wer angemessen trauert und wer nicht, ist kaum zu bewerten

Eine Initiative strebt zurzeit zudem die Aufnahme der deutschen Friedhofskultur auf die Liste des Immateriellen Welterbes an. Friedhöfe seien identitätsstiftend, heißt es in ihrem Antrag an die Unesco. Der Begriff „Land der Dichter und Denker“ spiele beispielsweise auf Künstler an, deren Werke das kulturelle Selbstbild der Deutschen prägen. „Die Erinnerung an diese Menschen lebt im besonderen Maße auf den Friedhöfen – wie die vielen Besuche der berühmten Gräber täglich aufs Neue belegen.“

Auch Oliver Wirthmann beobachtet ein großes Interesse an Tod und Gedenken in der öffentlichen Wahrnehmung. „Dafür gibt es zahlreiche Beispiele: den Tod des Fußballers Robert Enke, das Loveparade-Gedenken, Kreuze für Verkehrstote, die Menschen aufstellen, obwohl sie sich vielleicht gar nicht als Christen verstehen.“ Man müsse indes unterscheiden, ob es um eine historische oder gesellschaftliche Würdigung einer toten Person gehe oder „darum, sich fasziniert und schaudernd mit dem Tod Prominenter zu befassen, sich aber nicht wirklich betroffen zu fühlen“.

Wer angemessen trauert und wer nicht, ist von außen kaum zu bewerten – doch es gibt durchaus Kriterien, sagt der Bochumer Pastoraltheologe Matthias Sellmann. „Angemessen ist Trauer, wenn sie Maß nimmt an der Lebensleistung des Verstorbenen und am Verlust der Hinterbliebenen.“ Jeder Verstorbene reiße eine Lücke. „Davor kann man nur Respekt haben, wenn man vor dem Leben Respekt hat“, meint Sellmann. „Wie eine Gesellschaft mit dem Tod umgeht, zeigt immer auch, welchen Wert sie dem Leben gibt.“

Physische und spirituelle Nähe

Insofern lasse sich von der Pilgerreise zu Promi-Ruhestätten durchaus etwas für den Umgang mit „normalen“ Gräbern lernen, meint Wirthmann: zum Beispiel, das Grab eines Angehörigen als Begegnungsort für die eigene Familie wiederzuentdecken.

Von physischer Nähe zu einem Verstorbenen erhofften sich die Menschen immer auch eine spirituelle Nähe, erklärt der Sprecher der Deutschen Friedhofsgesellschaft, Wilhelm Brandt. Bei berühmten Gräbern gehe es den Besuchern häufig darum, eine Art „Hauch der Geschichte“ zu spüren: Wer das Grab von John F. Kennedy besuche, habe ähnliche Motive wie jemand, der die Originalmöbel des 1963 ermordeten US-Präsidenten im Museum betrachte.

„Früher kam hinzu, dass Friedhöfe immer auch ein Stück Stadtgeschichte abgebildet haben“, so Brandt – also eine Art eigenes touristisches Potenzial hatten. Der „Freundeskreis Melaten“ bewirbt den gleichnamigen berühmten Friedhof in der Domstadt auch heute noch mit dem Slogan „Lebendige Geschichte in Köln“.

Das Gedenken an historische Persönlichkeiten und Berühmtheiten verändere sich unterdessen genauso wie die Bestattungskultur insgesamt, sagt Brandt. „Es verlagert sich ins Digitale: So wie Angehörige online Trauerseiten gestalten und virtuelle Kerzen anzünden, gibt es auch immer mehr Gedenkseiten für Promis. KNA

Paula Konersmann

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