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Vereinigte Staaten: Winzers Eigensinn

Virginia hat kein Klima für den Weinbau. Im Sommer zu schwül, im Herbst zu frostig. Da hilft Geduld - und die richtige Rebe.

Die Landstraße durch die saftig grünen Hügel Nordwest-Virginias führt tief in die Geschichte Amerikas. Die Fundamente der Anwesen rechts und links sind aus grauen Feldsteinen zusammengefügt. Viele sind über 250 Jahre alt - eine kleine Ewigkeit in den relativ jungen Vereinigten Staaten, die 1776 ihre Unabhängigkeit durchsetzten. Mit den kniehohen Steinwällen zwischen den Grundstücken, den kleinen historischen Ortschaften, den dunklen Holztäfelungen der Pubs und den mächtigen, knorrigen Bäumen scheint die Gegend noch den Geist der Kolonialzeit zu atmen. Pferde und Rinder grasen rechts und links des Weges, Heuballen trocknen auf Stoppelwiesen, vereinzelt mischen sich Rebhänge in das Acker- und Weideland.

In der Region ist auch, wen wundert's, der "älteste Chardonnay-Weinberg Virginias" zu finden: Piedmont Vineyards & Winery in The Plains, direkt vor den Toren der Kleinstadt Middleburg. Doch halt, man muss genau hinsehen: 1973 angelegt, steht da irritierenderweise. Der "älteste" Wingert der Gegend ist gerade mal 33 Jahre jung? Und das in Virginia, einem der 13 Gründungsstaaten der USA? Wie passt das zum Wissen, dass bereits Thomas Jefferson, einer der Verfassungsväter, im 18. Jahrhundert auf seinem Gut Monticello, 160 Kilometer weiter südwestlich, mit Weinbau experimentierte, sich Reben aus Frankreich und einen Winzer aus Italien kommen ließ?

"In Kalifornien Wein anbauen kann jeder - so trocken und verlässlich sonnig, wie das Klima dort ist", hatte Ann Heidig, Präsidentin des Winzerverbands von Virginia, auf all die Fragen erst mal geflachst. "Hier in Virginia ist es selbst für Könner eine Herausforderung." Am Tag vor der Tour zu vier Weingütern im Tagesausflugsbereich von Washington DC saßen wir in einem Konferenzraum in der US-Hauptstadt. Die lebendige Mittfünfzigerin gab einen kleinen historischen Abriss. Der Traum vom lokalen Wein begleitet Virginias Geschichte, seit die ersten britischen Siedler 1607 in der Flussmündung des James River landeten. Sie fanden einheimische Trauben vor, aber die schmeckten ihnen nicht: Zu dick war die Schale, zu bitter und sauer der dunkelrote Saft.

Die aus Europa importierten Gewächse überlebten nicht lange. Pilze und Schädlinge waren in dem Wechselklima mit heiß-schwülen Sommern, aber Nachtfrösten in Herbst und Frühjahr, stärker als die Reben - und mächtiger als das Parlament. Ein Gesetz, das jeden Siedler zwang, 20 Rebstöcke anzupflanzen, und für jede eingegangene Pflanze die Abgabe eines Bündels Getreide als Strafe verhängte, brachte keinen dauerhaften Erfolg.

Auch von Thomas Jeffersons Ehrgeiz blieb nur ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte des Scheiterns. Als Schädlingsbekämpfung und Agrarchemie Fortschritte machten, blockierte die Prohibition 1920 alle neuen Ansätze. Das Alkoholverbot wurde 1932 zwar aufgehoben, aber von seinem Geist blieb eine Unzahl hinderlicher Kontroll- und Schutzgesetze, die auch die Weinvermarktung einschränkten.

Es war ein ziemliches Abenteuer, als Elizabeth Furness 1973 das Landgut "Waverly" in The Plains kaufte, Chardonnay anpflanzte, die Scheune als Standort für Stahltanks und Holzfässer aus Europa nutzte und den Betrieb zum Weingut Piedmont ummodelte. Es gab keine lokale Erfahrung im Weinbau, und die rüstige Dame war bereits 75 Jahre alt - eine wahre Pionierin.

Einige Jahre nach ihrem Tod 1986 verkauften die Erben den Besitz. Heute gehört Piedmont der bayrischen Familie Gerhard von Finck. Kellermeister ist John Fitter, ein 36-jähriger schlanker Blondschopf. Er hat Musik studiert, kam 1991 in den Betrieb und eignete sich die Fertigkeiten, unterstützt von Beratern, wohl vor allem nach der Methode "trial and error" an. Erst nach und nach griff der Staat Virginia mit Förderprogrammen ein. 1975 erhielten die Winzer die Erlaubnis, eigene Probierstuben einzurichten. Das Recht, direkt an den Kunden zu verkaufen, erstritten sie erst vor wenigen Jahren: in der dritten und letzten Instanz vor dem Obersten Gerichtshof.

Juanita Swedenburg ist die Heldin dieses Rechtsstreits gegen die Interessen der mächtigen Großhändler. Wie gemalt thront ihr Gut auf einem sanften Hügel im Westen über Middleburg, "VA Pinot" ist das Nummernschild ihres Geländewagens. Im Probierraum hängen die Zeitungsausschnitte ihres Sieges. Mitte 70 ist sie, ein skandinavischer Frauentyp: hochgewachsen und von fast athletischem Körperbau, weiße Locken. Im ersten Leben war sie US-Diplomatenfrau, mit erster Station in Saigon im Jahre 1950. Nach einer frühen Pensionierung machten sie und ihr Mann vor 27 Jahren den Traum vom eigenen Weingut wahr, pflanzten Sauvignon-Blanc, Chardonnay und vor allem "Riesling, die klassische Rebe in Deutschland seit tausend Jahren".

Auf Gewinn aus dem Weingut waren sie dank ihrer Pensionen als Ex-Staatsdiener nicht angewiesen, doch sie merkten schnell, was die Wirtschaftlichkeit der kleinen Güter in Virginia gefährdet: 30 Prozent Marge nehmen die Zwischenhändler, das macht Virginias Weine entweder viel zu teuer im Wettbewerb mit der Massenproduktion aus Kalifornien und den Billigimporten aus Australien. Oder die Winzer müssen ihr Produkt so billig an den Großhandel abgeben, dass die Erzeugerkosten kaum wieder hereinkommen. Heute gehen auf typischen Virginia-Weingütern über 90 Prozent der Produktion direkt an den Endverbraucher. Aber noch immer dürfen sie nicht in alle Bundesstaaten direkt liefern. Es dauert, bis das Grundsatzurteil des Supreme Court über die Freiheit des Handels zwischen den US-Staaten sich überall in neuen regionalen Alkoholgesetzen niederschlägt. Wie gut, dass Washington DC vor der Haustür liegt: Mit zwölf Litern pro Kopf und Jahr ist der Weinkonsum hier am höchsten in den USA, Tendenz steigend, auch wenn die Zahl bescheiden klingt im Vergleich zu Frankreich (48,5) oder Deutschland (27,4).

Vier bis 20 Hektar sind eine übliche Rebfläche in Virginia, die Jahresproduktion liegt zwischen 20000 und 50000 Flaschen. Die Preisspanne liegt in derRegel zwischen 12 und 35 Dollar. Viele Güter locken mit gemütlichen Picknickplätzen unter Bäumen, manche stellen sogar gasbetriebene Grills bereit. Die Kunden sollen ruhig ihr Essen mitbringen und sich eine Flasche Wein dazu kaufen. Das bringt sie hoffentlich auf den Geschmack, ein oder zwei Kisten mitzunehmen.

Der Traum vom zweiten Leben als Winzer scheint verbreitet zu sein. Jennifer McCloud, Herrin auf Chrysalis, wenige Meilen weiter, hat Millionen in der Computerindustrie verdient. "Mein 13. Unternehmen" nennt die resolute Frau mit der männlich-herben Stimme das Gut, das sie 1998 für drei Millionen Dollar kaufte, nachdem sie sich von ihren alten Firmen gewinnbringend getrennt hatte. Weitere Millionen flossen in Rebpflanzung, Pressen, Stahltanks. Wachhunde laufen zwischen den Reihen der Weinstöcke herum, sie sollen das Wild abhalten, McCloud wollte keine Zäune um ihr Anwesen ziehen.

McClouds Ehrgeiz beschränkt sich nicht darauf, erfolgreich Wein in Virginia anzubauen. Sie will die heimischen Trauben rehabilitieren und beweisen, dass die Siedler irrten, die sie 1607 in der Mündung des James River als ungeeignet für den Weinanbau einstuften. Norton heißt die Sorte, 1820 benannt nach einem Apotheker aus Virginias Hauptstadt Richmond, der das Gewächs in die botanische Systematik einordnete. "Der Norton gehört in die Gegend, er braucht weniger Dünger und Pestizide als die Importe aus Europa", sagt McCloud und streicht liebevoll die dichten Blätter beiseite, um den Blick auf die Büschel kleiner Beeren an den mannshohen Stöcken freizugeben. Auch sie musste die Reben freilich erst mal einführen, aus Missouri im Mittleren Westen der USA; in Virginia waren sie kaum noch zu finden.

Mit patriotischem Ton schwärmt sie vom "homecoming of the red American grape", der Heimkehr der original amerikanischen roten Rebe. Gab es vielleicht Gründe, warum sie auf diesem Gebiet Pionierin ist? "Der Norton wächst langsamer", sagt sie, das machte ihn wenig attraktiv bei der ersten Welle der Weinrenaissance in Virginia in den 70er Jahren. "Aber meine Devise ist: Lieber den besten Norton der Welt keltern als den 400.-besten Merlot."

Nun ja, vielleicht sind auch die Geschmäcker verschieden. Als leichten, frischen Sommerwein bauen die Swedenburgs ihren Riesling aus, der Chardonnay hat eine französisch anmutende elegante Balance aus Frucht und Säure, nicht den wuchtigen Eichenholzgeschmack, der typischerweise die Chardonnays aus Kalifornien oder Australien begleitet.

Der Cabernet Sauvignon kitzelt samtig die Geschmacksnerven. Jennifer McCloud mag es offenbar lieber urig und kräftig. Der Norton ist ein vergleichsweise ungehobelter Geselle, mit einem leicht bitteren Abgang - so urtümlich wie dieses Land in seiner Pionierzeit. Thomas Jefferson hätte vermutlich seine Freude an dem Wein gehabt.

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