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Und? Wie war ich heute? Ziege Ruth und der Melk-Novize im Zwiegespräch nach getaner Arbeit.

© Fabian

WWOOFing-Hof: Melken fürs Wohnen

Arbeit auf dem Hof: Wie Bauern und Urlauber voneinander profitieren.

„Du musst die Zitzen fest in die Hand nehmen und dann wie einen Schwamm von oben nach unten ausdrücken“, sagt Barbara Matthias und demonstriert an ihrem Zeigefinger, wie es geht. In den Augen von Ziege Ruth, um deren Zitzen es sich hier handelt, blitzt trotz dieser anschaulichen Instruktion Skepsis auf. So als ahnte sie, dass der gastierende Grünschnabel aus der Großstadt vom Melken keine Ahnung hat und Ziegenmilch bislang nur in Form handlicher Tetrapak-Portionen aus dem Supermarkt kennt.

Am Ehrgeiz, das zu ändern, mangelt es ihm jedoch nicht. Schließlich ist er wegen solcher und ähnlicher Lektionen gekommen, hierher nach Bloischdorf, diesem verschlafenen 200-Seelen-Nest in der Niederlausitz, wo Barbara Matthias und ihr Mann Frank auf einem Selbstversorgerhof leben. „Gewünschte Mithilfe: sechs Stunden pro Tag, fünf Tage die Woche“, so lautete ihre Anzeige im Internet, im Gegenzug für freie Kost und Logis.

WWOOFing nennt sich diese Art von Tauschgeschäft. Hinter dem seltsamen Kürzel, das für „World Wide Opportunities on Organic Farms“ (etwa: Gelegenheiten auf Biohöfen in der ganzen Welt) steht, steckt eine Idee, die ihre Ursprünge nicht in der Lausitz, sondern im London der siebziger Jahre hat: Weil sie die Metropole zeitweise gegen das Landleben tauschen wollte und sich für die aufkeimende ökologische Bewegung interessierte, schlug die Sekretärin Sue Coppard einer Farm in Sussex vor, ein Wochenende lang im Tausch gegen Verpflegung und Unterkunft mitzuhelfen. Bis heute hat sich daraus eine gemeinnützige Organisation mit rund fünfzig nationalen Ablegern entwickelt, die Kontakte zwischen Landwirten und Helfern vermitteln. Allein in Deutschland nehmen rund 300 Höfe teil.

Wer das Angebot wahrnimmt, findet sich im Nu in einer fast vergessenen sinnlichen Welt wieder. So wie der Grünschnabel in Bloischdorf: Statt des gewohnten Schreibtisches gehören hier für die kommende halbe Woche neben Ziege Ruth noch acht Hühner samt Hahn, drei Katzen, die Pferde Tessa und Terrence sowie eine verspielte Australische Schäferhündin namens Mary zu seinen täglichen Begleitern. Unter ihren kritischen bis wohlwollenden Blicken wird er nicht nur in die Geheimnisse des Melkens eingeweiht, sondern lernt auch, wie man Ställe ausmistet, Heu und Stroh aufschüttelt und Baumstämme für die hofeigene Heizanlage zurechtsägt. Nachmittags demonstriert ihm dann Frank, wie man Gemüsebeete anlegt. „Hier draußen braucht man keine sportliche Betätigung“, ruft er in seinem Südbrandenburger Singsang.

Tagsüber arbeitet Frank als Beamter in Cottbus. Vor sieben Jahren sind er und Barbara von dort nach Bloischdorf gezogen. Sie, diplomierte Agraringenieurin, hatte lange konventionelle Landwirtschaftsbetriebe beraten, aber immer mehr an deren Praxis gezweifelt. Heute leitet sie daher lieber Bildungsfahrten durch das Lausitzer Seenland und will den Hof zu einer Art Labor und Lernort für Naturkreisläufe entwickeln. Als Aussteiger verstünden sie und Frank sich deswegen nicht, sagt Barbara.

Zum einen, weil „das hier ohne das Einkommen aus seinem Job gar nicht ginge“. Zum anderen, weil sie neben Annehmlichkeiten wie Badewanne und Fußbodenheizung auch neue Bekanntschaften nicht missen wolle. „Deswegen sind wir ja ein WWOOFing-Hof, weil es uns darum geht, mit verschiedensten Menschen gemeinsam zu arbeiten, zu leben und schöne Erfahrungen zu machen.“

Vom Grünschnabel zum Teilzeitbauer

Gelegenheiten hierfür hatte das Ehepaar reichlich: Bei ihnen waren bereits Franzosen, Spanier und Dänen zu Gast, für den Herbst haben sich zwei Australier angekündigt, „beide wie wir Mitte fünfzig“. Tatsächlich ist WWOOFing unter Rucksacktouristen längst so etwas wie ein Geheimtipp. Von den hierzulande etwa 3000 registrierten Helfern kämen die meisten aus dem Ausland, sagt Jan-Phillip Gutt von der deutschen Filiale. Schließlich ermögliche das Programm nicht nur kostenlose Schnupperkurse in Sachen biologischer Landwirtschaft, sondern auch Kontakte und Freundschaften, „und zwar gerade auf Reisen“.

Nicht immer muss es dabei in die Ferne gehen. So sind auch schon etliche Berliner in Bloischdorf eingekehrt, etwa die sechsköpfige kurdisch- stämmige Familie oder der 18-jährige Jeremy mit seiner Freundin Theresa. „Er war das erste Mal so richtig außerhalb der Stadt und hat das hier alles in sich aufgesogen“, erinnert sich Barbara. Eines Abends habe er sich im Hof auf eine Bank gelegt und lange in den Vollmond geschaut.

Ihr jetziger Besucher ist aus anderen Gründen fasziniert: Nie hätte der Grünschnabel geahnt, dass der Dunghaufen, den ein Pferd über Nacht produziert, eine ganze Schubkarre füllt. Dass Ziegenmilch, sofern unter natürlichen Bedingungen und unter Abwesenheit eines Bocks erzeugt, keineswegs streng, sondern fast wie Kuhmilch schmeckt. Und dass harte körperliche Arbeit und die dauerhafte Nähe zu Tieren derart beglückend sein können.

Was es für diese Erfahrungen braucht, ist freilich die Bereitschaft, gängige Komfortzonen für eine Zeit zu verlassen und mit fremden Menschen den Alltag zu teilen. Aber was heißt schon fremd: Dank der vielen Gespräche um Gott und die Welt, die Familie und das Leben entspinnt sich schon bald Vertrautheit. Manchem mag das zu viel Nähe sein. Doch WWOOFing ist kein Muss, sondern ein Kann, dessen Ausgestaltung immer wieder ausgehandelt wird.

Auch der Grünschnabel aus der Großstadt lässt eines Tages Acker Acker und Ställe Ställe sein, schwingt sich aufs Fahrrad und fährt hinaus in die Niederlausitzer Landschaft. Um durchzuschnaufen, nachzudenken und einfach was von der Gegend zu sehen. Am Teich des Reuthener Gutsparks lässt er die Seele baumeln, atmet zu Füßen des Spitzbergs den Duft von Fichten- und Birkenwäldern und beschwipst sich an der Aussicht vom Turm am Felixsee. Weit schweift von hier oben der Blick über den Muskauer Faltenbogen, jene eiszeitliche Hügelkette, die sich bis ins benachbarte Sachsen und weiter nach Polen zieht.

Angefüllt mit diesen Eindrücken und dennoch ausgeruht steht der Grünschnabel am nächsten Morgen dann wieder im Ziegenstall. Nach ein paar Minuten ist der Topf fast bis zum Rand gefüllt. „Das läuft ja schon gut“, sagt Barbara. „Nun musst du dich noch bei Ruth bedanken. Das ist ganz wichtig.“ Also bedankt er sich. Mit stolzgeschwellter Brust und dem Gefühl im Herzen, jetzt gar kein Grünschnabel mehr, sondern schon ein richtiger Teilzeitbauer zu sein.

Roy Fabian

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