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Russische Raumfahrt: Die Luft wird dünner

Der russische Raumfahrtkonzern Energija ist fast pleite. Er stellt die Sojus-Raketen her, die für Nachschub auf der ISS sorgen. Was bedeutet der mögliche Konkurs für den Fortbestand der Internationalen Raumstation ISS?

Beim russischen Weltraumkonzern Energija, Hersteller der Sojus-Kapseln, geht es derzeit drunter und drüber. Und das ausgerechnet in einem Moment, in dem an der US-Raumfähre Endeavour ein Leck entdeckt wird. Es ist unklar, ob der Shuttle wie geplant am kommenden Dienstag ins All starten kann. Müssen die drei Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS jetzt um Nachschub bangen? Ist eventuell sogar die Rückkehr zur Erde gefährdet?

Und wie sieht die Zukunft der Raumfahrt aus, wenn die Produktion der Sojus-Kapseln ganz eingestellt wird? Schließlich wurde Energija-Chef Sewastjanow wegen Misswirtschaft Knall auf Fall entlassen. „Der Finanz-Idealismus der Vergangenheit hat uns nicht auf den Mond, sondern an den Rand des Bankrotts gebracht“, sagte der neue Präsident Witali Lopota.

Trotz der starken Worte sehen europäische Weltraum-Experten die Lage nicht dramatisch – Bankrott hin oder her. „Die Russen werden die Sojus-Systeme weiterbauen", sagt Jean Coisne vom Europäischen Astronautenzentrum (EAC) in Köln. Schließlich verdienten sie damit viel Geld. Coisne verweist auf die Aufträge aus den USA für bemannte und unbemannte Raumschiffe im Umfang von 760 Millionen Dollar. Das „Arbeitspferd der ISS" werde auf keinen Fall geopfert, erklärt auch Andreas Schütz von der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Adlershof.

In der Tat würde die Raumstation nicht im All schweben, hätten nicht seit 1998 die russischen Raketen immer wieder Module ins All gebracht. Die Grundversorgung der Station wird zum großen Teil mit russischen Progress-Raumtransportern sichergestellt. Während des Ausfalls der amerikanischen Shuttle-Flotte nach dem Columbia-Absturz 2003 waren die vom Sojus-Raumschiff abgeleiteten unbemannten Transporter sogar alleine für den Nachschub zuständig. Die nicht wieder verwendbaren Raumschiffe nehmen auch den Müll der Station auf, docken nach mehreren Monaten wieder ab und verglühen in der Erdatmosphäre.

Auch für den Transport von Astronauten, die sich seit November 2000 zu zweit oder dritt in der engen Station zwängen, sind russische Sojus-Raumschiffe unerlässlich. Ab 2010 wird die amerikanische Weltraumbehörde Nasa die Shuttle-Flotte völlig einmotten. Dann drohte ohne Sojus-Flüge das Aus für die ISS. Auch die Europäer könnten nicht einspringen. Die europäische Weltraumagentur Esa emanzipiert sich zwar gerade von den USA und Russland, was die Versorgung der Raumstation betrifft. Mit „ATV“ (Automated Transfer Vehicle) wurde eine eigene Nachschub-Kapsel entwickelt. Das erste dieser knapp zehn Meter langen High-Tech-Geräte ist derzeit unterwegs zum Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana. Der Start ist für Anfang 2008 geplant. Dann sollen alle zwölf bis 18 Monate bis zu 5,5 Tonnen Nutzlast transportiert werden.

Die Personenbeförderung ins All wird eine Weile ein russisches Monopol sein – bis neue amerikanische Raumschiffe für den Flug zu Mond und Mars entwickelt wurden. Den „Sojus-Express“ zur ISS können auch Touristen buchen, wenn sie etwa 25 Millionen Dollar übrig haben, wie es bereits fünf Mal der Fall war. Derzeit wird das kosmische Urlaubsprogramm um einen Weltraum-Spaziergang erweitert, wie der US-Anbieter Space Adventures und die russische Weltraumbehörde Roskosmos mitteilten. Das kostet bis zu 15 Millionen Dollar extra.

Über die weitere russische Weltraumstrategie gab es wohl Differenzen. Engergija-Ex-Chef Sewastjanow wollte ein neue, sechssitziges wiederverwendbares Raumschiff „Clipper“ entwickeln, bis 2015 eine ständige Basis auf dem Mond errichten und bis 2030 zum Mars fliegen. Er forderte eine Entscheidung über die Strategie noch in diesem Jahr. Sonst drohe Russland die führende Rolle in der bemannten Raumfahrt zu verlieren. Sein Nachfolger sieht den Flug zum Mond nicht als Priorität an, will aber die Arbeit am bemannten Raumschiff fortsetzen.

So können sich die Astronauten auf der ISS ruhig zurücklehnen. Die Rückkehr zur Erde scheint sicher. Die Russen fliegen weiter ins All und das Leck an der amerikanischen Fähre wird bald abgedichtet sein. Und falls alle Stricke reißen, können sie die Rettungskapsel, Marke Sojus, besteigen, die an der ISS festgemacht ist. Die bewährte russische Technik dürfte sie sicher nach Hause bringen.

Paul Janositz

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