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Panorama: Schlange stehen: b=(1-e)(B-C-eN(ø+p(1+i))

Gibt es eine Formel fürs Schlange stehen? Und ob, die US-Anthropologen Joseph Henrich und Robert Boyd haben sie gefunden.

Gibt es eine Formel fürs Schlange stehen? Und ob, die US-Anthropologen Joseph Henrich und Robert Boyd haben sie gefunden. Und hier ist sie:

b=(1-e)(B-C-eN(ø+p(1+i))

Alles klar? Seit Jahrzehnten grübeln Kulturkritiker darüber, warum der Engländer so gut und vor allem so geduldig Schlange steht. Jetzt haben sich auch Biomathematiker dem Problem gewidmet. Und es zeigt sich: Der Engländer verhält sich mathematisch perfekt. Das Presse-Echo ließ nicht lange auf sich warten - vom "New Scientist" bis zur "Times" wurde über die Studie der beiden Anthropologen berichten, die sich schließlich an nichts Geringeres versucht haben, als an einer Algebra für kooperatives Verhalten.

Grob übersetzt besagt die Formel, dass der, der in der Schlange steht, Vorteile hat, wenn er sich kooperativ verhält. Das soziale Verhalten wird durch zügiges, reibungsloses Vorankommen belohnt. Dieser Vorteil (b) gilt allerdings nur dann, wenn der Nutzen (B) des braven Schlangestehens größer ist als die Kosten (C) für dieses kooperative Verhalten und die Kosten einer Bestrafung (p) für abweichendes Verhalten. (Das e steht für die Fehlerwahrscheinlichkeit, dass ein Abweichler ohne Bestrafung davon kommt. N ist Zahl der Schlangestehenden.)

Schlangestehen ist eine Wissenschaft für sich. Denn es ist das Beispiel dafür, weshalb Menschen sich auch dann noch kooperativ verhalten, wenn sie es eigentlich nicht müssten. Auch in der Natur gibt es zahlreiche Beispiele von Kooperation - Ameisen, Affen, sogar Vampirfledermäuse unterstützen sich gegenseitig. Doch tun sie das nicht wahllos: Meist helfen die Tiere nur solche Artgenossen, mit denen sie genetisch eng verwandt sind. Hinter dem Altruismus steckt Gen-Egoismus: Indem sie die Verwandten, die teilweise die gleichen Gene haben wie sie selbst, beschützen oder füttern, fördern sie die Reproduktion ihrer eigenen Gene.

"Menschen aber kooperieren in großen Gruppen", sagt Joseph Henrich von der US-Universität Michigan. "Wenn sie in den Krieg ziehen, arbeiten sie mit großen Gruppen von Individuen zusammen, mit denen sie nicht verwandt sind, und die sie vermutlich nie wieder sehen." Nie wieder sehen: In diesen Worten liegt - neben der Verwandtschaft - der zweite, rationale Grund für soziales Verhalten. Anderen zu helfen und zu unterstützen kann sich nämlich auch dann auszahlen, wenn man damit rechnet, dass der, dem man geholfen hat, umgekehrt auch mal einen Dienst erweist. Das funktioniert allerdings nur, wenn sich beide Parteien regelmäßig treffen. Aus genau diesem Grund werden Jahr für Jahr zahllose Touristen geneppt - die Soziobiologie spricht vom "Tourismus-Effekt".

Und die Schlange? In der Regel ist man mit denen, die da die Schlange bilden, weder verwandt, noch wird man sie je wieder sehen. Warum sich nicht vordrängeln? Warum sich nicht vorbeimogeln? Warum funktionieren Schlangen (in England)? Neben der Angst, bestraft zu werden, haben die beiden Biomathematiker noch zwei Komponenten berücksichtigt: "Die eine ist, dass Menschen die Tendenz haben, das nachzuahmen, was die Mehrheit macht", sagt Henrich. "Und die andere Tendenz ist, erfolgreiche Menschen nachzuahmen." Erfolgreich ist in der Schlange aber vor allem der, der brav wartet. Zwar kann der, der aus der Schlange tanzt, noch erfolgreicher sein - das ist er aber vor allem dann, wenn keiner ihn bemerkt. Nur den Mathematikern entkommt auch er nicht.

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