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Schlechtes Zeugnis: Wie geht es weiter an der Odenwaldschule?

Am Elite-Internat Odenwaldschule sind mehr Schüler missbraucht worden als bisher bekannt. Die sexuellen Übergriffe hatten offenbar System. Nun muss vor allem geklärt werden, wie die Schule entschädigt.

Das Elite-Internat Odenwaldschule (Oso) im hessischen Heppenheim kommt nicht aus den Schlagzeilen. Nach einem am Freitag vorgelegten vorläufigen Abschlussbericht sind 132 Schüler der renommierten Privatschule von Lehrern sexuell belästigt oder missbraucht worden, darunter 115 Jungen. Zuletzt war von insgesamt 125 Opfern die Rede gewesen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen etwa ein Dutzend Lehrer, stellte die Verfahren aber meist wegen Verjährung ein.

Was ist über die Übergriffe bekannt?

Den Bericht haben zwei Juristinnen im Auftrag der Odenwaldschule erstellt. Die Aufarbeitung war angekündigt worden, als der Skandal im März erneut hochkochte. Bereits Ende der 90er Jahre hatte es Medienberichte über Missbrauchsfälle an der Reformschule gegeben. Die sexuellen Übergriffe von Pädagogen auf Schüler hätten vor allem zwischen 1965 und 1998 stattgefunden, sagte die frühere Präsidentin des Oberlandesgerichts Frankfurt, Brigitte Tilmann. Eine Frau berichtete außerdem von einem Vorfall im Schuljahr 2003/2004. Die meisten Opfer waren zur Tatzeit zwischen elf und 14 Jahre alt. Ein Betroffener war erst sieben. Nach Angaben der Opfer waren sieben Lehrer und eine Lehrerin an den Übergriffen beteiligt. Die beiden Autorinnen betonen, dass der nun vorgelegte Bericht nur ein vorläufiger sei. Möglicherweise gebe es viele betroffene Ehemalige, die sich noch gar nicht gemeldet hätten. Die Zahl der Opfer kann also noch deutlich höher liegen. Die sexuellen Übergriffe von einigen Lehrern auf Schüler hätten „System“ gehabt, sagte die Rechtsanwältin Claudia Burgsmüller. Das für seine Reformpädagogik bekannte Elite-Internat sei „ein Nest von Pädophilen gewesen, die sich die Klinke in die Hand gegeben haben. Es gab eine Art Staffelübergabe“. Den früheren Schulleiter Gerold Becker, der von 1969 bis 1985 an dem Privatinternat gearbeitet hatte, bezeichnete sie als „einen Weltmeister der Vernebelungsstrategie“. Der inzwischen gestorbene frühere Schulleiter wird mit rund 90 Opfern in Verbindung gebracht.

Negativschlagzeilen erzeugte die Oso auch durch die Rücktritte führender Mitglieder des Trägervereins der Oso in den vergangenen Wochen. Der Trägerverein ist der Besitzer der Schule.

Wie kam es zu den Rücktritten?

Anfang Dezember traten der Vorstandssprecher des Trägervereins, Johannes von Dohnanyi, und der Vorstandsvorsitzende Michael Frenzel zurück. Hintergrund waren heftige Diskussionen um Geld sowie die Frage, wie die Schule ihre Opfer entschädigt. Frenzel und von Dohnanyi wollten einerseits den betroffenen Schülern helfen und gleichzeitig das ramponierte Image der Schule verbessern. Ihre Idee: Die Schule solle in einem ersten Schritt 100 000 Euro an den Verein „Glasbrechen“ überweisen. „Glasbrechen“ war im September gegründet worden, um den Opfern als Anlaufstelle zu dienen. Dort bekommen sie Informationen, wichtige Tipps zu Therapien und andere Hilfestellungen. „Glasbrechen“ hat mit der Odenwaldschule juristisch nichts zu tun. „Wir wollen ein Sühnezeichen setzen“, sagt von Dohnanyi. „Und wenn ich das tue, muss ich ein Opfer leisten, das wehtut.“ Den beiden schwebte dabei eine Summe von insgesamt 200 000 bis 300 000 Euro vor. Mit einer öffentlichkeitswirksamen Aktion sollte der erste Scheck im Dezember an „Glasbrechen“ überreicht werden. „Damit hätten wir das Image der Schule dauerhaft verbessert“, meint Frenzel. Doch die beiden konnten sich mit ihrer Idee nicht durchsetzen.

Woran scheiterte die Idee?

Eltern von Oso-Schülern erhoben Einspruch. Sie wollten verhindern, dass aus dem laufenden Etat Geld dafür abgezweigt wird und damit Gelder für Investitionen oder wichtige Reparaturen fehlen könnte. Da auch viele der 43 Mitglieder des Trägervereins skeptisch waren und die Frage aufkam, ob der Verein denn seine Gemeinnützigkeit verlieren könnte, wenn er das Geld spendet, wurde die Idee bis heute nicht in der Form verwirklicht, die Frenzel und von Dohnanyi vorschwebte. Vor wenigen Tagen ist die Oso nun zwar förderndes Mitglied von „Glasbrechen“ geworden. Angeblich will sie auch 10 000 Euro spenden, doch bis jetzt ist nichts überwiesen.

Schadet der Streit dem Internat?

Tatsache ist, dass die Schule derzeit finanziell schlechter dasteht als früher. Gegenüber dem vergangenen Schuljahr ist die Zahl der Schüler nach Frenzels Angaben um 43 zurückgegangen. Die Schule selber gibt offiziell keine Auskunft. Weniger Schüler bedeuten aber auch weniger Geld. Es ist wohl schon länger angedacht, frei werdende Stellen an der Odenwaldschule nicht zu besetzen. Frenzel sieht nur in einem Imagewandel der Schule die Chance, zusätzliche Mittel zu generieren. Seiner Erfahrung nach reagierten potenzielle Sponsoren derzeit skeptisch.

Gefährlich ist für die Odenwaldschule, dass es momentan keine Zusammenarbeit mit dem Kreis Bergstraße gibt, in dem das Internat liegt. Nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle hatte Landrat Matthias Wilkes (CDU) entschieden, dass Jugendämter in seinem Bereich keine Kinder mehr auf die Oso schicken, für deren Kosten er aufkommt. Rund ein Drittel der Oso-Schüler werden von Schul- und Jugendämtern aus ganz Deutschland eingewiesen. Übernommen werden dabei auch monatlich 2000 Euro Schulgebühr – für die Schule eine wichtige Finanzierungsmöglichkeit. Wilkes will seine Anordnung erst aufheben, wenn die Schule überzeugend nachgewiesen hat, dass sie verantwortungsvoll mit der Vergangenheit umgeht. „Und die jüngsten Diskussionen um die Entschädigung dient nicht dazu, meine Meinung zu ändern“, sagt er. Immerhin bewegte sich die Schule inzwischen auf Wilkes zu: Am Donnerstag lud sie den Landrat ein, sich einer Schulbegehung des Kreisjugendamtes anzuschließen. Denn dessen Verhalten könnte Signalwirkung haben, weil andere Landkreise sehr genau darauf achten, wie Wilkes reagiert. Würden sich ihm andere Landräte anschließen und auch keine Kinder mehr an die Oso schicken, wäre das für die Schule bitter.

Wie möchte die Schule entschädigen?

Die Oso-Sprecherin, Gertrud Ohling-von Haken, betont, dass sich die Schule keinesfalls um eine Entschädigung drücken wolle. Dass eine Entschädigung bezahlt werde, stehe grundsätzlich fest. Nur aus dem laufenden Etat könne man diese nicht bezahlen. Stattdessen wolle man Geld aus Rücklagen nehmen. Jetzt werde nur noch die Frage geklärt, wie das genau ablaufen könne. Die Schule favorisiert eine Stiftung, die neu gegründet werden und der das Geld zugute kommen soll. Die Odenwaldschule will auch mit „Glasbrechen“ zusammenarbeiten. Schulleiterin Margarita Tilmann kündigte an, im Februar konkrete Summen zu nennen. Mit dapd/dpa

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