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Schon wieder Piratenüberfall: Nach Supertanker nun Handelsschiff gekapert

Die Seeräuber vor der Küste Somalias werden immer dreister: Drei Tage nach der spektakulären Kaperung des millionenschweren saudischen Supertankers "Sirius Star" haben Piraten im Golf von Aden erneut ein Handelsschiff in ihre Gewalt gebracht. Unterdessen hat eine deutsche Fregatte vor Somalias Küste zwei Piratenüberfälle erfolgreich abgewehrt.

Während die Entführung des Supertankers "Sirius Star" weiterhin für Aufsehen sorgt, haben Piraten im Golf von Aden erneut zugeschlagen und ein Frachtschiff aus Hongkong gekapert. Die Seeräuber brachten am Dienstag den Frachter "Delight" in ihre Gewalt, meldet die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua unter Berufung auf das Such- und Rettungszentrum der chinesischen Schifffahrt. Das Schiff mit 36.000 Tonnen Weizen an Bord war demnach zum iranischen Hafen Bandar Abbas unterwegs, an Bord sind 25 Besatzungsmitglieder.

Auch das Internationale Schifffahrtsbüro (IMB) in London bestätigte am Dienstagabend, dass ein Frachter aus Hongkong mit 25 Besatzungsmitgliedern entführt worden sei. Nach Angaben des Senders BBC geriet zudem ein Fischtrawler aus dem Pazifikinselstaat Kiribati mit zwölf Mann an Bord in die Fänge der Piraten.

Mit ihrer Rekord-Beute, der "Sirius Star", haben die Seeräuber unterdessen einen ihrer Schlupfwinkel erreicht. Das 330 Meter lange Schiff, das mit zwei Millionen Barrel Rohöl (318 Millionen Liter) beladen ist, ging am Dienstag in der Nähe der Stadt Hobyo vor der Küste Somalias vor Anker. Dort wollen die Piraten offenbar den Ausgang der Verhandlungen um das Lösegeld für das Schiff und seine 25 Besatzungsmitglieder abwarten.

Neue Dimension der Piraterie

Die Seeräuber hatten den voll beladenen Tanker des saudischen Ölkonzerns Aramco bereits am Samstag in ihre Gewalt gebracht und damit die bisherigen Dimensionen der modernen Seeräuberei am Horn von Afrika völlig gesprengt: Noch nie zuvor hatten die somalischen Piraten ein solch großes Schiff in ihre Gewalt gebracht.

Außerdem haben sie mit dem Überfall angesichts der zahlreichen Kriegsschiffe, die vor der somalischen Küste für mehr Sicherheit für die Schifffahrt sorgen sollen, neue operative Wege eingeschlagen. Sie kaperten die "Sirius Star" nämlich unweit der kenianisch-tansanischen Grenze, also fern der als extrem gefährlich geltenden somalischen Küstengewässer, in denen mittlerweile Kriegsschiffe mehrerer Länder die Schifffahrtswege sichern. Von so viel Dreistigkeit zeigte sich auch Admiral Mike Mullen vom Generalstab der US-Marine beeindruckt. "Sie sind sehr professionell", sagte er, und klang dabei fast widerwillig bewundernd.

Ausgezeichnet bewaffnet, exzellent vorbereitet und strategisch erfolgreich hätten die Piraten den Tanker gekapert, dessen Ladung allein knapp 80 Millionen Euro wert ist. Die Lösegeldforderung dürfte entsprechend hoch ausfallen. Ein militärischer Befreiungsschlag gilt mit Blick auf die Sicherheit der 25 Mann Besatzung an Bord des Schiffes als riskant.

Krisenstaat Somalia

Allein ein Drittel der Piratenüberfälle weltweit geht nach Angaben des Internationalen Seefahrtbüros auf das Konto der Seeräuber am Horn von Afrika. Der Krisenstaat Somalia, von Clanstreitigkeiten und Bürgerkrieg innerlich zerrissen und seit 1991 ohne eine funktionierende Regierung, hat keine eigene Küstenwache. Die Schiffe der US-Marine und Frankreichs, Nato-Schiffe und demnächst auch mehrere Kriegsschiffe der EU konnten die Zahl der Überfälle in den vergangenen Wochen zwar senken, aber nicht vollständig stoppen.

Die puntländische Regierung hat inzwischen die Todesstrafe für Piraterie eingeführt, aber noch kein Todesurteil vollstreckt. Selbst Regierungsmitglieder geben zu, dass Korruption ein Problem ist und die Seeräuber ihre Informanten und Helfer auch unter den Beamten des bitterarmen Landes finden. Gerne stellen sich die Piraten, die mit automatischen Waffen und Satellitentelefon im Einsatz sind, als moderne Robin Hoods vor, die eigentlich nur die Interessen somalischer Fischer vor ausländischer Konkurrenz verteidigen. Doch auch wenn es vor Jahren noch um die somalischen Fischgründe ging, inzwischen ist das lukrative Geschäft mit gekaperten Schiffen und entführten Seeleuten der wichtigste Wirtschaftszweig der Region.

Fregatte "Karlsruhe" schlägt Seeräuber in die Flucht

Unterdessen hat die deutsche Fregatte "Karlsruhe" vor der somalischen Küste erfolgreich in zwei Fällen Piratenangriffe auf internationale Schiffe abgewehrt. Wie das Flottenkommando am Dienstag in Glücksburg mitteilte, ereigneten sich die Attacken etwa 650 Kilometer nordöstlich von Dschibuti im Golf von Aden. Die Fregatte befand sich auf der Fahrt aus dem Persischen Golf in Richtung Ägypten. Sie leistete den Frachtern Nothilfe. Als sich ihr von Bord gestarteter Hubschrauber den bedrängten Schiffen näherte, ergriffen die Seeräuber die Flucht.

Bereits am Montagnachmittag hatte demnach das ägyptische Handelsschiff "Andinet" per Funk den Angriff durch zwei Motorboote der Piraten. Nach dem Eintreffen des Hubschraubers hätten sich die Freibeuter mit hoher Geschwindigkeit entfernt. Der Frachter habe danach seine Fahrt von China nach Dschibuti unbeschadet fortsetzen können, berichtete die Marine.

Am Dienstag empfing die "Karlsruhe" dann erneut einen Hilferuf über Funk - diesmal von dem britischen Tanker "Trafalgar". Er war von neun Speedbooten der Piraten angegriffen worden. Der Hubschrauber der Fregatte flog zur Position des Tankers. Die Angreifer flüchteten. Deutsche Marineschiffe dürfen nach dem geltenden Recht der Bundesrepublik nur im Wege der Nothilfe die Piraten auf Entfernung abschrecken und sie so zum Rückzug zwingen.

Bundesregierung vertagt Entscheidung

Die Bundesregierung strebt allerdings eine Änderung der Gesetzeslage an. Eigentlich sollte das Kabinett schon am Mittwoch über die deutsche Beteiligung an dem geplanten Einsatz von Kriegsschiffen der Europäischen Union (EU) zur "aktiven" Verfolgung der Piraten beraten. Doch offenbar gibt es noch Unstimmigkeiten: Die Ressortabstimmung zu dem Bundeswehreinsatz vor dem Horn von Afrika dauere noch an, sagte dazu ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Dienstag auf Anfrage. Nun sollen im Dezember sowohl die Regierung als auch der Bundestag über die Mission entscheiden. Die EU will bis zu sieben Kriegsschiffe in den Einsatz gegen die Seeräuber schicken. Vor der Küste Somalias kreuzen bereits Nato-Kriegsschiffe.

Max Johns vom Verband deutscher Reeder hofft unterdessen, dass in den Gewässern vor der somalischen Küste möglichst bald ein Korridor für die Schifffahrt eingerichtet wird, der in Abständen von Kriegsschiffen überwacht wird. "In diesem Korridor kann man dann einigermaßen sicher sein, dass immer ein Marineschiff in großer Nähe ist, das man notfalls zu Hilfe rufen kann", so Johns im Gespräch mit tagesspiegel.de. "Im Moment fahren alle 'irgendwo' in diesem Gebiet. Und die paar Marineschiffe, die bislang da sind und überhaupt das Recht haben einzugreifen, die müssten in jede Richtung erst einmal ein paar Tausend Kilometer fahren. Das geht bisher realistisch gesehen überhaupt nicht." (jam/dpa/AFP/ddp)

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