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Wollte auffallen: Thomas Quick.

© dpa

Schweden: Der eingebildete Massenmörder

Thomas Quick sitzt seit 16 Jahren hinter schwedischen Gardinen. 30 Morde hat er zugegeben. Aber offenbar ist alles gelogen - und die wahren Täter laufen noch frei herum.

Schweden erlebt derzeit einen der größten Rechtsskandale seiner Geschichte. Der bekannteste Serienmörder des Königreichs, Thomas Quick, hat in den 90er Jahren gestanden, zwischen 1964 und 1993 dreißig Menschen ermordet zu haben. Für acht Fälle wurde er verurteilt und sitzt seit mehr als 16 Jahren in Haft.

Möglicherweise unschuldig. „Ich habe nicht die Morde begangen, für die ich verurteilt worden bin, und auch keinen der anderen, die ich gestanden habe”, sagt Quick im Gespräch. Erstmals hatte er sein Schweigen für eine TV-Reportage des öffentlich rechtlichen Senders SVT vor zwei Jahren gebrochen. Im Sommer schließlich wurde er für einen Mord nachträglich freigesprochen. Ein weiterer geht diese Woche in Revision. Inzwischen glauben ihm hohe Justizbeamte. „Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er frei kommt“, sagt ein Beamter.

Quick scheut die Öffentlichkeit nicht. Das habe seinen Grund, meint er: „Ich will, dass die Menschen darüber Bescheid wissen, dass wir in Schweden nicht in einer rechtssicheren Gesellschaft leben, sondern, dass die Gerichte von Polizisten und Staatsanwälten manipuliert werden”, sagt Quick.

Ganz unbeteiligt ist Quick an den „Manipulationen“ nicht. Es sind wohlformulierte Worte eines Mannes, dessen Geschwister schon frühzeitig sein Talent zum Theaterspiel entdeckten. Tatsächlich sind die rechtskräftigen Verurteilungen bei allen acht Morden fast ausschließlich auf den eigenen Aussagen Quicks begründet. Aber Aussagen, die auf exklusives Täterwissen schließen lassen, gab es nicht. Auch sonst gab es keine Beweise. Die Geständnisse genügten.

Gestanden aber hat der pathologische Lügner offenbar nur, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Die ermittelnden Polizeibeamten und der inzwischen pensionierte Oberstaatsanwalt Christer van der Kwast sollen dem Sender SVT zufolge entlastende Elemente bewusst ignoriert haben. Ein Kriminalinspektor stellte das Aufnahmeband bei Verhören auf Pause. „Ich rauchte damals. Wir gingen auf den Balkon, er legte seine Hand auf meine Schulter und sagte, mir, was ich betonen und was weglassen sollte, wenn wir wieder reingehen würden, immer und immer wieder“, sagt Quick heute. Die Staatsbeamten, Quicks Ärzte und Psychologen werden nun beschuldigt, selbst das Rampenlicht so genossen zu haben, dass sie trotz deutlicher Zweifel daran glauben wollten, Schwedens grausamen Serienmörder dingfest gemacht zu haben. „Beim ersten Geständnis bekam ich so viel Aufmerksamkeit, es war wie ein Rausch, ich machte weiter und wurde dafür mit Psychopharmaka belohnt“, sagt Quick. Sein krankhaftes Aufmerksamkeitsbedürfnis wurde ihm zum Verhängnis. Fleißig gestand er immer weitere Morde. Zudem pumpten Anstaltsärzte Quick jahrelang mit Psychopharmaka voll. Ein neuer Arzt setzte alle Medikamente ab. Nach acht Monaten Entzug wachte Quick auf: „Ich bin unschuldig“, sagte er plötzlich.

Vier Ermittler arbeiten nun daran, die Mordfälle und das Lügengebäude zu überprüfen. Anfang der 90er Jahre war Quick wegen eines Bankraubs und seines psychischen Zustands zum Aufenthalt in einer geschlossenen Psychiatrie verurteilt worden. Er begann dort seinen Ärzten zunächst zu enthüllen, dass er ein Inzesttäter sei. Dann erzählte er seinen Ärzten von einem Mord an einem Jungen im nordschwedischen Sundsvall im November 1980. Das Interesse wuchs weiter. Eifrig suchte er nach weiteren zu gestehenden Morden. Gezielt beschaffte er sich Informationen in alten Zeitungsartikeln. Sie halfen ihm, Geständnisse abzulegen, die ihn auf sonderbare Art zu einem herausragenden Kriminellen und Wahnsinnigen aufsteigen ließen, erzählt Quick. Eine wesentlicher Bestandteil seines Lebens seien damals Belohnungen seiner Ärzte in Form von Valium gewesen. Doch schon damals gab es Zweifel. Der Psychiater Ulf Aasgaard arbeitete 1995 bei der Kriminalpolizei und traf Quick. „Mein Ergebnis war, dass seine Geständnisse nicht glaubwürdig waren. Dann war ich aus dem Fall raus und die Ermittler redeten nicht mehr mit mir. Die Quick-Einheit gab sich sehr geheim, man glaubte an die Sachen und stellte Dinge nicht in Frage”, kritisiert Aasgaard heute. Gerade die Medikamente hätten zu den Geständnissen geführt.

Ein hoher Justizbeamter sagt, er gehe davon aus, dass Quick im kommenden Jahr in allen Mordfällen freigesprochen wird. Einen neuen Vor- und Nachnamen, hat Quick auch schon. Den braucht er, um in die Gesellschaft zurückkehren zu können. „Für die Zeit nach der Freilassung habe ich schon Pläne“, sagt Quick. „Ich möchte nicht mehr so auffallen.“

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