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Panorama: Schwer zu beurteilen

Im Marco-Prozess ist kein Urteil abzusehen

Als Marco Weiss vor fast genau einem Jahr in den Osterferien mit seinen Eltern ins südtürkische Antalya flog, begann für den Teenager eine Reise, die in einer achtmonatigen Untersuchungshaft endete. In einem Hotel in Antalya soll der damals 17-jährige das britische Mädchen Charlotte M. sexuell missbraucht haben. Der Prozess gegen Marco Weiss löste viel Kritik an der türkischen Justiz und einen Medienrummel sondergleichen aus. Mitte Dezember wurde Marco aus der U-Haft entlassen und durfte rechtzeitig vor dem Weihnachtsfest nach Deutschland zurückkehren. Am heutigen Dienstag nun wird das Verfahren vor dem Schwurgericht in Antalya fortgesetzt, und zwar ohne den Angeklagten.

Was hat sich seit Dezember in dem Fall getan, der über Monate für so viel Aufsehen sorgte? Nichts, kritisiert Charlottes türkischer Anwalt Ömer Aycan. Äußerst unwahrscheinlich sei es, dass am Dienstag ein Urteil gesprochen werde, sagte Aycan am Montag. „Wenn das so weitergeht, wird es in diesem Jahr kein Urteil mehr geben.“ Nach wie vor gibt es Unklarheiten darüber, ob dem Gericht alle erforderlichen Unterlagen für eine Entscheidungsfindung vorliegen. Dabei geht es dem Vernehmen nach vor allem um ein Gutachten zur Verfassung von Charlotte, die sich nach wie vor in psychologischer Behandlung befindet und laut Aycan „nicht mehr derselbe Mensch“ ist wie vor den Ereignissen in Antalya. Im vergangenen Jahr wartete das Gericht über Monate auf die Aussage von Charlotte, die nach dem mutmaßlichen Missbrauch durch Marco nach Manchester heimgekehrt war und nicht an dem Prozess gegen den Deutschen teilnahm.

Es sieht nicht danach aus, als werde der Streit um Dokumente und Berichte am Dienstag beigelegt. „Der Prozess wird wieder vertagt“, erwartet Aycan. Auch Macros türkischer Anwalt Mehmet Iplikcioglu glaubt nicht daran, dass der Verhandlungstag am Dienstag ein Ende bringen wird. Derzeit sei nicht einmal klar, wie der Strafantrag der Staatsanwaltschaft am Ende aussehen werde. Marcos deutscher Anwalt Michael Nagel sagte „Spiegel Online“, der deutsche Teenager habe ohnehin höchstens eine Bewährungsstrafe zu erwarten, falls kein Freispruch durchzusetzen sei.

In der Türkei werden erstmalige Haftstrafen von weniger als zwei Jahren meist zur Bewährung ausgesetzt. Bei Marco käme ein solches Strafmaß auch deshalb infrage, weil er noch minderjährig war und deshalb nach türkischem Recht mit bestimmten Strafnachlässen rechnen könnte. Außerdem müssen die acht Monate U-Haft angerechnet werden.

Marco muss also wohl kaum befürchten, noch einmal ins Gefängnis gesteckt zu werden, wenn er in Antalya auftaucht. Dass er am Dienstag nicht an der Verhandlung teilnimmt, wurde laut Anwalt Nagel in Abstimmung mit Marcos Psychotherapeuten beschlossen. Vielleicht werde der Teenager aus Uelzen aber an einem der künftigen Verhandlungstage teilnehmen, sagte Nagel. So wie die Dinge stehen, wird er noch recht häufig Gelegenheit dazu haben.

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