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Zwischen Traum und Alptraum. Sebastien Josse mit seiner „Edmond de Rothschild“ beim Start der Vendée Globe. Nachdem er mit einem Flügelschwert einen Gegenstand im Wasser touchiert hatte, gab der Franzose das Rennen an dritter Position liegend auf.

© AFP

Segeln: Vendée Globe: Gegen alle Hindernisse

Bei der härtesten Regatta der Welt kämpfen die Teilnehmer nicht nur mit den schweren Wetterbedingungen. Auch die zunehmende Verschmutzung der Weltmeere wird zu einem großen Problem für die Solosegler.

Er wusste nicht, wie ihm geschah. Sein Boot krachte mit 18 Knoten so bestialisch in die Welle, dass Gegenstände im Inneren zehn Meter durch die Kajüte katapultiert wurden. Unter Deck lag Thomas Ruyant gerade auf seinem Sitzsack, um ein wenig Schlaf nachzuholen. Das dämpfte den Aufprall für ihn selbst, der beim Vendée Globe an achter Position liegend südlich von Tasmanien durch die Nacht segelte.

An Deck bot sich dem 35-jährigen Franzosen ein desaströses Bild. Die Wucht des Stoßes hatte den vorderen Teil des Rumpfes nach oben gebogen, Risse klafften nun in der Hülle, die Open-60-Yacht drohte auseinanderzubrechen. Da musste ihm mehr als nur eine Welle quer gekommen sein.

Ein im Meer treibender Container vielleicht? Ruyant hatte das Objekt nicht mehr gesehen, aber er denkt, dass es ein solcher gewesen sein könnte.

Für jedes Segelschiff wäre ein tonnenschweres Hindernis, das den Rumpf aufschlitzt, in diesen zivilisationsfernen Breiten verheerend. Für Rennyachten, die wie in Ruyants Fall mit umgerechnet 33 Stundenkilometern durch den Ozean pflügen, stellt die zunehmende Verschmutzung der Weltmeere ein wachsendes Problem dar.

Knickspanter. Thomas Ruyants 18-Meter-Yacht droht zu zerbrechen, nachdem es mit einem Hindernis im südlichen Indischen Ozean kollidiert war.
Knickspanter. Thomas Ruyants 18-Meter-Yacht droht zu zerbrechen, nachdem es mit einem Hindernis im südlichen Indischen Ozean kollidiert war.

© Vendée Globe

Nach der Hälfte der Nonstop-Regatta um die Welt hat ein Drittel der 29 Teilnehmer wegen Schäden am Boot aufgegeben und viele derjenigen, die noch dabei sind, sind in aufwendige Reperaturen verstrickt. Dabei touchierten etliche Segler mit ihren fragilen 18-Meter-Yachten Gegenstände im Wasser, die entweder die Auftriebsflügel abrasierten, Ruderblätter zertrümmerten, den Kiel beschädigten. Kito de Pavant, zum dritten mal dabei und niemals ins Ziel gelangt, wurde der gesamte Kiel abgerissen, so dass der 55-jährige Franzose von einem zufällig im Südpolarmeer kreuzenden Versorgungsschiff abgeborgen werden musste.

Während Mastbrüche, zu denen es ebenfalls bereits mehrfach gekommen ist, Folge unerkannter Materialschwächen sind, stellt der im Meer schwimmende Müll eine wachsende Bedrohung für Rennen wie das Vendée Globe dar. Nicht nur ist ein zusätzliches Risiko, dass die Open-60-Racer mit sehr viel höherem Tempo unterwegs sind als früher und zudem mit ziemlich empfindlichen Flügelschwertern ausgerüstet. Die hohe Unfallrate mit sogenannten „unidentified floating objects“ (UFO) weist direkt auf die hohe Verschmutzung selbst abgelegener Regionen der Weltmeere hin. Ist es zu gefährlich geworden, sich in ihnen zu bewegen?

Verlässliche Zahlen über den Ozeanmüll gibt es kaum. Nach Einschätzung der Ellen MacArthur Foundation von 2015 gelangen acht Millionen Tonnen Plastik jedes Jahr in die Meere. Das entspreche der Menge eines Müllwagens in jeder Minute. Tendenz steigend. Mitte des Jahrhunderts könnte es mehr Plastikrückstände im Meer als Fische geben.

Solosegler achten nicht auf die Gefahren im Wasser

Ein Teil des Kunststoffabfalls, der jährlich der See überlassen bleibt – Fischernetze oder Plastikbehälter, Fässer, Kanister, Bojen, Stiefel und Kästen, Tüten und Dosen –, sammelt sich in einer Spiralströmung des Pazifik. Der „östliche Müllteppich“ rotiert südlich von Hawaii in einem Wirbel von der Größe Afghanistans beständig um sich selbst. Doch auch abseits davon finden sich gefährliche Kleinteile. Schon der Auftriebskörper eines Treibnetzes, nicht größer als ein Fußball, schert Schwerter und Ruderblätter mühelos ab. Selbst wenn ein Solosegler das Steuer selbst bedienen und ständig Ausschau halten würde, was er die meiste Zeit über nicht tut, würde er die Plastikteile im Meer nicht ausmachen können.

Solosegler überlassen das Steuern dem Autopiloten. Sie achten nicht auf Gefahren im Wasser, sondern nehmen für sich eine einfache statistische Unwahrscheinlichkeit in Anspruch: Das Meer ist zu groß, als dass es einen selbst trifft. Und bislang ist diese Rechnung für die meisten aufgegangen, wie ein Blick in frühere Unfallberichte des Vendée Globe und vergleichbarere Rennen zeigt.

Aus den Resten seines Riggs hat sich Stephane Le Diraison ein Notsegel gebastelt. Damit muss sich der Solosegler 1000 Meilen weit nach Australien retten.
Aus den Resten seines Riggs hat sich Stephane Le Diraison ein Notsegel gebastelt. Damit muss sich der Solosegler 1000 Meilen weit nach Australien retten.

© AFP

Nach vorsichtigen Schätzungen des Internationalen Schifffahrtsverbands sollen in den Jahren 2008 bis 2013 durchschnittlich 546 Container über Bord gegangen sein. Einzelne Unglücke können die Statistik drastisch in die Höhe treiben wie der Untergang der MOL Comfort 2013 im Indischen Ozean mit 4382 Containern an Bord. Manche dieser bis zu zwölf Meter langen Stahlbehälter schwimmen durch eingeschlossene Luftblasen ewig.

Ob Ruyant auf einen Container auffuhr, ist nicht sicher. Die Erinnerung an den plötzlichen Aufprall lasse ihn immer noch erschaudern, sagte der erfahrene Einhandsegler sichtlich mitgenommen in einer ersten Videobotschaft, den Tränen nahe. Für ihn begann ein Wettlauf gegen die Uhr. Würde seine geborstene Le Souffle du Nord durchhalten? Würden seine Kräfte reichen? Bei seiner ersten Vendée- Globe-Teilnahme hatte Ruyant zuvor bereits haarsträubende Situationen zu meistern gehabt. So war der Ansaugstutzen für sein Wasserballstsystem in schwerer See ausgeschlagen, Le Souffle du Nord drohte vollzulaufen, was Ruyant nur durch ein beherztes Manöver verhinderte. Er brauchte Tage, um den Defekt zu reparieren.

Nun barg Ruyant die Segel und lief unter Motor die Südküste Neuseelands an, wo ihn die Küstenwache am Dienstag in Empfang nahm und mit einer Pumpe gegen den Wassereinbruch im Vorschiff anging.

Einseitig. Der britische Segler Alex Thomson verlor eines seiner beiden Flügelschwerter. Trotzdem konnte er lange mithalten.
Einseitig. Der britische Segler Alex Thomson verlor eines seiner beiden Flügelschwerter. Trotzdem konnte er lange mithalten.

© Vendée Globe

Derweil steuert sein Landsmann Stéphane Le Diraison nach einem Mastbruch Australien an, das mehr als 1000 Meilen entfernt ist. Er hat sich aus den Resten seines zersplitterten Carbon- Riggs ein passables Gerüst gebaut und kann nun immerhin ein Vorsegel setzen. Nun hofft er, die Strecke in einer Woche schaffen zu können.

Wie es mit Paul Meilhat weitergeht, ist derzeit unklar. Er zählt ebenfalls zu den Neulingen bei diesem Vendée Globe und lag zuletzt mit einem Boot älteren Typs an dritter Position. Damit konkurrierte der 34-jährige Bretone erfolgreich mit den neuesten Flügel-Konstruktionen. Nun kämpft auch er im Nirgendwo des Südpazifiks, 2000 Meilen von der nächsten Küste entfernt, ums Überleben. Die Hydraulikzylinder seines Neigekiels scheinen aufgeplatzt zu sein. Der Segler konnte den Kiel zwar fixieren, doch ist seine Yacht nun nicht mehr gegen die stürmischen Winde im Südozean gerüstet.

Als einen der ersten, dem ein „floating object“ in die Quere kam, traf es Mitfavorit Alex Thomsen. Der Brite kollidierte Mitte November mit einem etwas, das ihm eines seiner beiden Flügelschwerter abriss. 133 Meilen war der von Hugo Boos gesponserte Segler der Spitzengruppe davongeeilt, und nach drei gescheiterten Versuchen schien sich endlich sein radikales Bootskonzept zu bewähren. Doch auf dem stürmischen Weg nach Kap Hoorn kann er dem Tempo seines Kontrahenten Armel Le Cleac’h nichts mehr entgegensetzen. „Der Schakal“, wie sie den 39-Jährigen nennen, ist mit einem Vorsprung von zwei Tagen enteilt. Zweimal wurde er bei diesem Ozeanmarathon schon zweiter. Bislang ist er der einzige ohne Schaden.

Ohne Konkurrenz. Armel Le Cleac'h war bereits zweimal Zweiter bei dem Vendée Globe. Diesmal hat er sich vor Kap Hoorn uneinholbar abgesetzt.
Ohne Konkurrenz. Armel Le Cleac'h war bereits zweimal Zweiter bei dem Vendée Globe. Diesmal hat er sich vor Kap Hoorn uneinholbar abgesetzt.

© Vendée Globe

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