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Panorama: Sensation in Säcken

Neues aus dem Neandertal: Milchzahn und Knochen von Urmenschen gefunden

Mettmann. Es ist so eine Art vorzeitiges Jubiläumsgeschenk: Knapp 150 Jahre nach dem Epoche machenden Fund eines Urmenschen im Neandertal östlich von Düsseldorf sind an derselben Stelle Relikte von zwei weiteren Neandertalern entdeckt worden. Nur einige Zentimeter messen die grau- braunen Fragmente von fünf Armknochen, und fast unscheinbar ist der Milchzahn eines Neandertaler- Kindes, den Urgeschichtler aus dem Boden des Tales geborgen haben.

Jetzt konnten Forscher diese Fossilien zweifelsfrei der vor rund 30 000 Jahren ausgestorbenen Menschen- Art zuordnen und erstmals auch das Alter des historischen Neandertaler-Skeletts auf rund 42 000 Jahre bestimmen. Die neuen Funde haben demnach ein vergleichbares Alter.

Die wissenschaftliche Sensation schlummerte zunächst in Säcken. Bereits im Jahre 2000 hatte das Urgeschichtler-Duo Ralf W. Schmitz und Jürgen Thissen erneut an der Stelle im Neandertal bei Mettmann gegraben, an der sie den fossilienhaltigen Lehm der längst gesprengten Höhle entdeckt hatten. Steinbrucharbeiter hatten hier 1856 die Relikte des weltweit bekanntesten Urmenschen aufgeklaubt, dabei aber die kleineren Stücke ganz offenbar nicht beachtet. Eine Unmenge von Steinwerkzeugen und der knöcherne Rest der Augenhöhle, der haargenau an das Schädeldach des „nspatrons“ aller Neandertaler passte, waren vor zwei Jahren schnell bestimmt.

Die neu entdeckten Fragmente eines rechten Oberarmes und beider Ellen eines vergleichsweise zierlichen Urmenschen sowie der Zahn, der – wie am Zustand der Wurzeln nachweisbar – einem ungefähr 12 Jahre alten Neandertaler-Kind ausgefallen ist, wurden teils erst später aus den 4200 Erd-Säcken geschlämmt.

Die durchnummerierten Beutel waren von der mittlerweile zur Sehenswürdigkeit umgestalteten Fundstelle zur peniblen Untersuchung abtransportiert worden. Zeit benötigten auch die anthropologische Analyse, die Datierung und die Gentests an den Universitäten von Chicago und Zürich sowie im Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Rund 60 weitere menschliche Bruchstücke von Becken, Händen, Füßen, Wirbeln und Rippen lassen sich nach der Schilderung der Wissenschaftler zur Zeit „noch nicht eindeutig“ dem historischen oder den neu gefundenen Urmenschen zuweisen.

Für die Romantiker unter den Neandertaler-Fans scheint es ganz so, als ob der „alte“ Neandertaler nun eine Familie bekommen hätte: Ob die ungleich grazileren Armknochen wirklich von seiner Frau und der Milchzahn vom gemeinsamen Nachwuchs stammen, lässt sich seriös nicht behaupten. Trotz der Genauigkeit der Datierungen mit der so genanten C14-Methode, schränkt Entdecker Schmitz nüchtern ein, könnten zwischen den drei Neandertalern in ein und derselben Höhle auch rund 20 Generationen gelegen haben.

Abseits aller Sentimentalitäten haben die frischen Knochen aus dem Neandertal ein weiteres Fensterchen zur langen Entwicklungsgeschichte der Menschen geöffnet: Die nunmehr vierte Gen-Analyse an einem Neandertaler-Fossil stützt weiterhin die These, dass dieser in den Genen der modernen Weltbevölkerung nicht nachweisbare Urmensch eher nicht zum Stammbaum heutiger Menschen gehört hat. Und Namen hat die internationale Forschung für das Trio auch schon: Sie werden ab sofort schlicht „Neandertal 1“ bis „Neandertal 3“ durchnummeriert. Gerd Korinthenberg (dpa)

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