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Elena Senft schaltet nie ab: Was ich beim Tanzen hasse

Vor einiger Zeit machte ich auf die immer noch landläufig gesellschaftlich akzeptierte Belästigung des Diskjockeys durch übergriffige Partygäste in öffentlichen Diskotheken und privaten Feiern aufmerksam.

Seitdem habe ich diverse Zuschriften bekommen. Nicht nur von DJs, die das Phänomen und den damit einhergehenden Leidensdruck bestätigen, sondern vor allem von erbosten Freizeittänzern, die finden, dass man bei den hiesigen Eintrittsgeldern und den Getränkepreisen in Clubs ja wohl ein Recht darauf habe, auch mal sein Lieblingslied zu hören, zu dem sie dann so richtig abtanzen können.

Ich stimme dem nicht zu. Denn für die meisten übrigen Partygäste ist es schlimm, wenn andere Menschen in den Genuss ihres Lieblingslieds kommen.

Die Tanzfläche ist ein extrem intimer Ort, den manche Menschen lieben und manche hassen, auf dem man entweder Anmut zeigt oder das genaue Gegenteil davon, mit dem man verschmilzt oder auf dem man ein ewiger Fremdkörper bleibt. Ebenjene Fremdkörper werden in dem Moment zu Opfern, in denen ein Verschmelzender die ersten Takte seines Lieblingslieds erkennt, das er beim DJ eingefordert hat.

Denn natürlich können sie jede Textzeile fehlerfrei mitsingen. Jeder Zwischenruf sitzt, jede gerappte Passage wird mit perfektem Südstaaten-

slang rezitiert, lediglich bei stimmlichen Überschneidungen kommen sie kurz ins Straucheln, weil sie sich schnell entscheiden müssen, ob sie nun die erste oder die zweite Stimme mitsingen wollen.

Das Schlimme daran: Niemanden interessiert es, ob jemand allein auf der Tanzfläche ein Lied fehlerfrei singen kann. Und genau deswegen suchen sich die ambitionierten Tänzer die schamhaften Fremdkörper als Resonanzboden, um ihre eigene Exaltiertheit zu spiegeln.

Unter dem Vorwand, mit ihm tanzen zu wollen, wird der schüchterne Fremdkörper mit forderndem Blickkontakt angesungen. Der Schüchterne wird dadurch in die Rolle des verklemmten Spiegelbilds gedrängt und kann nicht anders, als nun seinerseits ungelenk zu beginnen, ebenfalls einige Textpassagen mit falscher Aussprache und Alternativvokabular mitzusingen, denn natürlich kann man dem Anderen während seiner perfekten Darbietung nicht einfach starr ins Gesicht glotzen.

Insgeheim beneidet man diese Lieblingsliedtänzer, die nie das Gefühl haben, aus sich hinauszutreten und die Albernheit des eigenen unrhythmisch zuckenden Körpers und des eigenen Gesangs von außen zu betrachten.

Nein, sie singen einfach, genießen ihr Leben, tanzen und feiern sich selbst.

Das denkt der verschüchterte Textlegastheniker zumindest. In Wirklichkeit achtet selbstverständlich niemand mehr auf seine Außenwirkung als derjenige, der so tut, als sei der Dancefloor seine Bühne und er selber ein verkannter Superstar.

Es empfiehlt sich für die Verklemmten, sofort das Weite zu suchen, wenn eine eben noch mit latentem Zorn in der Ecke den DJ fixierende aufgebrezelte Frau plötzlich bei der ersten Zehntelsekunde eines neuen Lieds die Arme in die Höhe reißt, einen spitzen Schrei ausstößt, „Geil, rude boy von Rihanna“ brüllt und sofort beginnt, Ausschau nach einem Opfer zu halten, dem sie den korrekten Text ins Gesicht singen kann.

Immerhin: Die Vorstellung davon, wie die Person allein im heimischen Badezimmer vor dem Spiegel den Text von Rihanna geprobt hat, holt ihn ein wenig von seinem Sockel. Denn auf den gehört ja schließlich eh nur der DJ, dem man im Interesse aller Beteiligten die Wahl der Musik überlassen sollte.

Immer.

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