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„Bond-Girl“ oder „Mata Hari“? Anna Chapman soll in den USA für Russland spioniert haben – eine Geschichte, die viel Raum für Spekulationen lässt.

© Rick Maiman/Polaris/laif

Spionageaffäre: Moskaus schöne Spione

Die Spione, die in den USA für Russland spioniert haben, interessierten sich offenbar mehr für ihr eigenes Leben als für sensibles Material. Russland zahlte jahrelang Millionen für den Unterhalt der Spione.

Der Skandal hat ein Bild: eine hübsche junge Frau mit roten Haaren, deren Vater Offizier beim KGB war, dem ehemaligen Geheimdienst der untergegangenen Sowjetunion. Und so wird Anna Chapman, die angebliche Anführerin eines russischen Spionagerings in den USA im Jahr 2010 in manchen Medien wahlweise als „James-Bond-Girl“ oder als moderne „Mata Hari“ porträtiert – in Anlehnung an die legendäre Nackttänzerin und Doppelagentin im Ersten Weltkrieg, die in deutschen Diensten stand und 1917 in Frankreich hingerichtet wurde. Es heißt sogar, Chapman-Fotos hingen bereits in den Spinden angehender amerikanischer Geheimdienstler und Abwehrspezialisten: wahlweise als verführerisches Pin-up- Girl oder als Warnung, welche Gefahren in dem Metier lauern.

Am Sonntag hatte das FBI den angeblichen Spionagering auffliegen lassen, nur wenige Tage nach dem Besuch des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew im Weißen Haus. Das schafft zusätzliche politische Brisanz. Wann wusste Barack Obama wie viel von dem bevorstehenden Zugriff? Schon als er mit Medwedew über den „Reset“ der Beziehungen sprach? Eine ernste Geheimdienstaffäre könnte den Neustart, den beide Seiten offiziell wünschen, vereiteln.

US-Zeitungen spekulieren seither, ob alte Kameraden in den Geheimdienstapparaten der einen oder der anderen Seite, die noch in den Kategorien des Kalten Krieges denken, konspiriert haben, um die politische Annäherung zwischen den beiden Präsidenten zu torpedieren. Und dann gibt es da ja auch noch den Machtkampf in Moskau zwischen Staatsoberhaupt Medwedew und Premierminister Wladimir Putin, der als der wahre Machthaber hinter den Kulissen gilt. Putin war selbst ein KGB-Mann. Wollte die US-Seite mit der Enttarnung womöglich Putin schwächen und den umgänglicheren Medwedew stärken?

Die Details, die bei den Haftprüfungsterminen der elf verhafteten Geheimagenten in den jüngsten Tagen zur Sprache kommen oder von ungenannten Quellen im FBI oder den einschlägigen Diensten in amerikanischen Medien lanciert werden, ergeben freilich ein ganz anderes Bild als hochkarätige Spionage oder eine raffinierte Einflussnahme auf die politischen Machtverhältnisse. Es ist wahlweise Dilettantismus von Möchtegernspionen – oder eine Gaunerkomödie, bei der nicht die USA ausspioniert wurden, sondern Russland der Betrogene ist: weil Moskau über Jahre einige Millionen Dollar für die Finanzierung des Mittelklasselebens mehrerer Familien in New York, Boston und im Raum Washington ausgegeben hat, ohne je Informationen von substanziellem Gegenwert zu erhalten.

Was die US-Ermittler bisher an Erkenntnissen veröffentlicht haben, reicht nicht einmal für den Vorwurf der Spionage. Offiziell geht es um die nicht deklarierte Tätigkeit für eine ausländische Regierung und um Geldwäsche. Ganz banale Alltagsfragen vom Kindergarten über die Verabredung mit Freunden bis Hausbesitz haben die angeblichen Agenten weit mehr beschäftigt als die Überlegung, wie sie an sensibles Material gelangen oder mögliche Informanten in einflussreichen Stellungen kennen lernen.

Wären da nicht einige unbestreitbar konspirative Aspekte, hätte sich die Affäre in der öffentlichen Wahrnehmung längst vom angeblichen Spionagedrama zur Farce verschoben. Die Mehrzahl der elf Verhafteten lebte unter falscher Identität in den USA. „Michael Zottoli“ und „Patricia Mills“, die mit zwei kleinen Söhnen in Arlington vor den Toren Washingtons wohnen, heißen in Wahrheit Mikhail Kutzik und Natalia Pereverzeva und sind russische Bürger. In New York gab „Juan José Lazaro“ zu, dass auch er in Wahrheit ein Russe sei. Seine Frau, Vicky Pelaez, wurde als einzige von der Haft verschont – gegen eine Kaution von 250 000 Dollar. Ihre Identität ist unstrittig: die politisch links stehende Kolumnistin von „El Diario“, der größten Zeitung für Immigranten aus Lateinamerika in New York.

Beim Haftprüfungstermin für ein weiteres Agentenpaar in Boston stöhnte der Richter nach der Befragung: „Wir wissen doch gar nicht, wer diese Leute wirklich sind.“ Der Mann wollte weiter unter dem falschen Namen „Donald Heathfield“ angesprochen werden. Seine Frau, die in der Tarnwelt als „Tracey Lee Ann Foley“ auftrat, bat den Richter, sie „Angeklagte Nr. 5“ zu nennen. So bleiben sie bis auf weiteres in Haft – wegen Fluchtgefahr. Ein Mitverschwörer hatte sich nach Zypern abgesetzt und war dort festgenommen worden. Als er dann aber gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt wurde, nutzte er die Gelegenheit, um zu verschwinden.

Russland reagiere anders als im Kalten Krieg, heben US-Zeitungen hervor. Früher habe es in solchen Situationen bestritten, dass verhaftete Spione irgendetwas mit Moskau zu tun haben könnten. Diesmal hat Russland bestätigt, dass einige der Verdächtigen russische Bürger seien.

Und das rothaarige Bond-Girl? Diese Mata Hari reicht an das große Vorbild offenbar nicht heran: eine junge Frau, die das Leben unter dem Cover einer Immobilienmaklerin in New York interessant und materiell angenehm fand.

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