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Panorama: Spionier mal wieder

Jeder kann bei Google im Internet Satellitenbilder anschauen – von Urlaubszielen, aber auch von US-Militäranlagen

Zu den beeindruckendsten Erlebnissen eines New-York-Aufenthaltes gehört ein Flug über Manhattan bei klarer Sicht. Von oben direkt in die Straßenschluchten zwischen die Wolkenkratzer zu blicken, kann einem den Atem verschlagen. Ground Zero liegt immer noch wie eine offene Wunde im Herzen des Finanzdistrikts, unweit davon blinkt die grüne Freiheitsstatue in der Sonne. Richtung Westen stößt man am Ufer des Hudson in New Jersey auf einen weniger romantischen Ausblick: Chemiefabriken, Ölraffinerien und Containerdocks folgen dicht auf dicht. Nach Ansicht von Terror-Experten die tödlichsten zwei Meilen Amerikas. Unterlagen des Umweltministeriums zeigen nach Informationen der „New York Times“, dass hier ein Terroranschlag bis zu zwölf Millionen Menschen im Großraum New York das Leben kosten könnte. Dennoch ist das Gebiet nur unzureichend gesichert.

Und neuerdings lässt es sich sogar von jedem Schreibtisch der Welt aus ausspionieren. Spionage für den kleinen Mann – dank Google.

Seit seinem Börsengang Anfang des Jahres startet das kalifornische Internet-Unternehmen einen neuen Dienst nach dem anderen. Zunächst stellte es den Karten- Dienst Google Maps vor, dann folgte ein Katalog von Satellitenbildern. Sie umfassen aber bisher nur die USA und England. Als nächstes folgt Deutschland und der Rest Europas. Die Satellitenbilder sind so klar und hochauflösend, dass man mit etwas Ortskenntnis und Navigationsgeschick das eigene Auto beim Parken vor der Tür beobachten kann. Nicht in Echtzeit allerdings, die Bilder werden nur hin und wieder aktualisiert. Doch das reicht völlig, um auch höchst sensible Bereiche auszuspionieren. In einem Test gelang es etwa den Redakteuren von „Spiegel Online“, einen US-Luftwaffenstützpunkt in Kalifornien ausfindig zu machen und dort ein Militärflugzeug zu sehen, das aussieht als sei es ein Stealth-Bomber (Foto oben). Auch andere Regionen, die auf offiziellen Karten ausgeblendet sind und an denen strengstes Fotografierverbot herrscht, lassen sich problemlos auf den heimischen Computerbildschirm zaubern. Auf Wunsch mit genauer Wegbeschreibung. Wer in New York aus dem Auto heraus Fotos von der Brooklyn Bridge macht, muss sich auf ein ausführliches Verhör durch das FBI gefasst machen. Für einen virtuellen Spaziergang in einem der für die Sicherheit von Millionen Menschen sensibelsten Bereich genügt ein Internet-Zugang.

Ein Beispiel. Vor den Toren der AchtMillionen-Stadt befindet sich das nach jüngsten Untersuchungen gegen einen Anschlag von Terroristen nur sehr unzureichend geschützte Atomkraftwerk Indian Point. Um es zu finden, genügt der Eintrag „Indian Point“ in die Suchmaske bei Google Maps. Sofort wird man zur Verwaltung des Kraftwerks geleitet. Von dort geht man etwa eine halbe Meile nach Norden direkt an das Ufer des Hudson. Et voilà, das Atomkraftwerk. Wer ganz hineinzoomt, kann nicht nur die beiden großen rechteckigen Kraftwerksblöcke und die drei pilzförmigen Kühltürme sehen, sondern auch die Anzahl der Autos auf dem Parkplatz zählen.

Was für Terroristen praktisch ist: ein Klick genügt und man hat eine genaue Straßenkarte über das Satellitenbild gelegt und kann von diesem Stadtplanausschnitt aus genau erkennen, welche Adresse der Ort hat und über welche Straßen man am besten dorthin kommt. Ähnliches gilt für den Liberty Airport vor den Toren Manhattans. Wieder zoomt man per Google mitten hinein in die sensibelsten Sicherheitsbereiche der Nation. Darunter eine Chemiefabrik, die Chlorgas produziert, eine Chemikalie, die in Sekundenschnelle tausende Menschen töten kann. Trotzdem wird sie nur nachlässig bewacht.

Ein Reporter und ein Fotograf der „New York Times“ fuhren kürzlich vor der Fabrik fünf Minuten auf und ab, machten Bilder und Notizen und beobachteten Dutzende von Lastwagen, die in geringer Distanz an dens Tank vorbeifuhren, ohne dass irgendjemand sie kontrollierte. „Wir investieren mehr in den Schutz einer durchschnittlichen Bank in Manhattan als für den gesamten Hafenbereich“, sagt etwa Stephen Flynn, Sicherheitsexperte am New Yorker Council on Foreign Relations, „das ist einfach verantwortungslos.“ Neben der Chemiefabrik und zwei Häfen finden sich in der Region in New Jersey auch drei große Öl- und Gaspipelines, schwer ausgelastete Eisenbahnverbindungen, Öllager und mehr als ein Dutzend Raffinerien und Chemiefabriken. „Die Terroristen wissen bereits, was es da draußen gibt“, sagte Sidney J. Caspersen vom Anti-Terror-Amt in New Jersey der „New York Times“, „wir haben Pläne unserer Gebäude bei ihnen gefunden, sehr viele Informationen sind über das Internet und öffentliche Bibliotheken zu haben. Die einzige Frage ist, ob wir einen Weg finden, uns zu schützen, bevor sie einen Weg finden, uns anzugreifen.“ Doch bislang wehrt sich die Chemieindustrie mit Händen und Füßen gegen neue Sicherheitsauflagen – und ihre massive Lobbyarbeit in Washington hat Erfolg. Gleichzeitig kürzte das Ministerium für Heimatsicherheit in diesem Jahr die Mittel für New Jersey von 99 Millionen Dollar 2004 auf 60 Millionen Dollar. Damit steht in dem Bundesstaat pro Kopf weniger für die Terrorbekämpfung zur Verfügung als in Wyoming oder Alaska. Dort jedoch fänden Terroristen auch über die Google-Satellitenbilder kaum mehr als ein paar kleine Fabriken, umgeben von viel Natur und ein paar Büffeln – und Elchen.

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