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Panorama: Swissair: "Eine Schande für die Schweiz"

Von wegen: "Auf Grund der aktuellen Weltlage sollten Sie unbedingt zwei Stunden vor Abflug in Tegel sein", sagt die freundliche Dame im Reisebüro. Der Schalter, an dem der frühe Flug nach Zürich abgehen soll, ist dann auch tatsächlich um 7 Uhr 40 schon von einer Traube Fluggäste umlagert.

Von wegen: "Auf Grund der aktuellen Weltlage sollten Sie unbedingt zwei Stunden vor Abflug in Tegel sein", sagt die freundliche Dame im Reisebüro. Der Schalter, an dem der frühe Flug nach Zürich abgehen soll, ist dann auch tatsächlich um 7 Uhr 40 schon von einer Traube Fluggäste umlagert. Nur vom Personal keine Spur. "Wahrscheinlich hat die Swissair schon kein Geld mehr für Benzin", witzelt einer in der Warteschlange.

Die Pointe kommt viereinhalb Stunden zu früh. Aber das ahnt zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Jeder der Passagiere weiß: Eher stellt die Erde ihre Rotation ein, als die Swissair ihren Flugbetrieb. Neunzig Minuten vor Abflug öffnet das Abfertigungspersonal den Check in, so wie immer, als sei in Amerika nichts geschehen. Ganz gewohnt läuft auch die Sicherheitskontrolle ab. Die Swissair-Maschine SR 3591 startet pünktlichst, der Service ist bestens, der Kaffee schmeckt ausgezeichnet, so wie man es von der Schweizer Vorzeigefirma kennt und erwartet. Von Zürich soll es weitergehen nach New York.

Leider hat der Reisende die Rechnung ohne Maurice Ospel gemacht, den Vorsitzenden der Schweizer Großbank UBS. Denn die UBS wird an diesem Dienstagmittag der ins Schleudern geratenen Fluggesellschaft den Benzinhahn zudrehen. Bei den großen Mineralölgesellschaften steht die Swissair ebenso in der Kreide wie bei den Bankhäusern - die Kerosin-Lieferanten wollen Bares sehen, bevor sie die Maschinen auftanken. Die Geldgeber aber verweigern dem Luftfahrtunternehmen einen weiteren Überziehungskredit. Ospel ist für die verzweifelten Manager ebenso wenig zu erreichen, wie für den Schweizer Finanzminister.

Von alledem ahnen die Menschen nichts, die bei herrlichstem Spätsommerwetter auf dem Zürcher Flughafen Kloten die Wartehalle bevölkern. "Aus operationellen Gründen" werde sich der New York-Flug 12 Uhr 30 ein wenig verspäten, tönt es aus dem Lautsprecher. Kein Grund zur Unruhe, das ist doch auf internationalen Flughäfen ganz normal. Und außerdem ist die 11 Uhr 30 Maschine nach New York auch noch gestartet.

Erstaunlich voll ist der Flug, der um halb eins abgehen soll. Bis sich alle im Airbus 330 eingerichtet haben, das dauert. So wundert sich auch niemand, dass die Maschine ewig auf der Parkposition stehen bleibt. Nach einer Stunde meldet sich endlich der Kapitän: Er sei bereit, die Maschine sei startklar und auch die Flugbegleiter wohlauf - das Management allerdings verhandele noch. Die Ergebnisse müsse man abwarten. Rätselhafte Worte. Die Stewardessen servieren Drinks, über die Bordfernseher läuft eine Sendung zum Thema Weltraumreisen. Geduldig harren die Fluggäste.

Nach zwei Stunden auf dem Rollfeld wird das Mittagessen serviert. Nach drei Stunden heißt es, in 45 Minuten laufe die letzte Dateline ab. Keine Ahnung, worum es geht. Auch die Stewardessen lächeln nur noch gequält.

Nach vier Stunden dann öffnet sich die Ladeluke, Koffer werden ausgeladen. Jetzt erst werden die ersten doch ärgerlich über die zögerliche Informationspolitik. Dass es mit dem Überseeflug heute nichts mehr wird ist klar, die sehr höflichen und hörbar betroffenen Worte des Piloten bestätigen nur, was unübersehbar ist: Es gibt kein Kerosin - und auch keine Hoffnung mehr für die Swissair. Alles, was man jetzt noch für die Passagiere tun könne, sei, ihnen ihre Tickets zurückzugeben. Das Gepäck werde in Terminal A bereitgestellt. Immer noch bleiben die Betroffenen erstaunlich ruhig - zu stark ist das Vertrauen in die perfekte Schweizer Organisation, zu gut der Ruf der Fluggesellschaft. "Hauptsache, ich bin noch vor 21 Uhr in New York, meine Verwandten gehen früh zu Bett", sagt meine Sitznachbarin, eine Pastorin aus Bern, lachend.

Ein Bankier demütigt das Land

Was die Stunde geschlagen hat, erkennen wir erst auf dem Weg zur Ankunftshalle. Der New Yorker Flug ist keineswegs der einzige, der annulliert wurde, aus allen Gates strömen Menschen, immer noch steht ihnen Erstaunen und Verwunderung ins Gesicht geschrieben. Eine Dame mit Gucci-Brille und rotlederner Hutschachtel murmelt: "Das ist eine Schande für die Schweiz."

"Die Koffer des Fluges nach Bukarest werden auf Gepäckband 21 ausgeliefert, Paris Band 24, Neu-Delhi Band 26." Die Halle ist schwarz vor Menschen. Noch versuchen viele, sich mit einem Trolley zu ihrem Gepäckband durchzukämpfen. Mit steigenden Temperaturen werden die meisten auch das aufgeben. Doch die Stimmung bleibt ruhig, zivilisiert. Zornige, aggressive Worte sind nicht zu hören. Der Schock sitzt zu tief. "Auf Grund der finanziellen Lage ist es Swissair nicht möglich, den Fluggästen einen Ersatz für ihre verfallenen Tickets zu stellen, heißt es in den Lautsprecherdurchsagen. Alle Buchungen sind ebenso wertlos geworden wie die Swissair-Aktien. Die Angestellten durften bei der hauseigenen Bank noch 5000 Franken von ihrem Ersparten abheben. Der Rest ist wohl verloren.

"Noch nie ist eine demokratisch gewählte Schweizer Regierung von einem Bankier so gedemütigt worden", schreibt der Zürcher "Tagesanzeiger" am Mittwoch. Den laufenden Flugbetrieb durch einen Federstrich von einer Stunde auf die andere zusammenbrechen zu lassen, das hat sich bislang noch niemand getraut.

Fast 4000 Menschen sind auf dem Zürcher Flughafen gefangen. Was sollen die Amerikaner jetzt machen, die morgen wieder an ihren Arbeitsplätzen sitzen sollen, was die Russen, die Italiener, Kroaten, Franzosen, die Zürich als Umsteigeflughafen nutzen wollten, was die Entwicklungshelferin aus Riad, deren Mann am Zielflughafen wartet?

Wer viel Glück hat, ergattert nach zwei Stunden im Hexenkessel der Ankunfthalle tatsächlich seinen Koffer, strebt mit ihm der Abflughalle zu, um dort sein - inzwischen vom heimischen Reisebüro gebuchtes - Lufthansa-Ticket nach New York über München abzuholen. Und er strandet am nächsten Counter. Inzwischen haben auch die Schweizer ihre Ruhe verloren und drängen sich, zusammen mit rund 300 verzweifelten Ausländern, vor dem Lufthansa-Schalter. Die fünf Angestellten tun ihr möglichstes, um auch den nur englisch radebrechenden Fluggästen weiter zu helfen. Aber das dauert. So komme ich niemals an meinen letzten Flug nach München. Vielleicht lässt sich die junge Dame am Check-in erweichen. Nein, sie zeigt sich unerbittlich. Sicher könne sie meine Buchung in ihrem Computer finden, ohne ein ausgedrucktes Ticket werde sie mich aber nicht rein lassen. Die Eintrittskarten zur Ausreise aber gibt es einzig und allein am umlagerten Lufthansa Schalter. Irgendwann.

Im Sauseschritt zum Hauptbahnhof, doch der letzte Zug nach Deutschland ist schon weg. Rien ne va plus. Adieu, New York.

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