zum Hauptinhalt

Panorama: Tod, Leid und Zerstörung

10 000 Menschen sollen in Birma ums Leben gekommen sein – das Ausmaß der Sturmkatastrophe ist noch nicht abzuschätzen

In Birmas Wirtschaftmetropole und ehemaliger Hauptstadt Rangun hatten Bürger, Soldaten und Polizisten den ganzen Tag lang aufgeräumt. Sie hatten zerbrochene Dachpfannen eingesammelt, Trümmer von abgerissenen Vordächern weggeschafft, Scherben von den Straßen gekehrt und die Bäume kleingesägt, die auf den Bürgersteigen liegen. Und dann, am späten Nachmittag, kamen mit den Nachrichten im Staatsrundfunk plötzlich die schrecklichen Meldungen, die klarmachen, dass der Zyklon „Nargis“ sehr viel verheerender war, als bisher gedacht. 10 000 Menschen sollen getötet worden sein, teilten die Behörden mit.

Win Myint, ein 38-jähriger Mann aus Rangun, konnte seine kleine Tochter gerade noch retten. Um ein Haar hätte der Baum sie erwischt, der in das Haus der Familie fiel. Nun sitzen Myint, seine Familie und 500 andere Obdachlose in einem Tempel. „Wir rannten um unser Leben. Ich weiß nun nicht mehr, wohin. Hier haben wir nichts mehr, nicht einmal Milchpulver für unsere Tochter“, sagte Win Myint der Nachrichtenagentur AFP.

„Nargis“ war der schlimmste Wirbelsturm, an den sich die Menschen in Birma erinnern können. Gebäude, Mauern, Autos und Menschen wurden weggerissen. Der Zyklon schlug in der Nacht zum Samstag zu, zuerst und am brutalsten im Süden des armen Landes, an der Küste. „Nargis“ wirbelte mit mehr als 200 Kilometern in der Stunde Windgeschwindigkeit über das riesige Delta des mächtigen Irawaddy-Flusses. Dort gibt es jetzt einige Dörfer nicht mehr, sie sind gänzlich verschwunden. An manchen Küstenstreifen liegen nur noch Trümmer, wo vorher Menschen wohnten. Bretter, einst Wände von Häusern, treiben in der Brandung. Von Fischerbooten ragt nur noch der Bug aus dem Wasser.

Informationen aus den Katastrophengebieten sind rar, niemand weiß genau, wie viele Menschen getötet oder obdachlos wurden. Viele Strom- und Telefonleitungen wurden zerstört. Nach offiziellen Angaben verloren alleine auf Haing Gyi, einer Insel im Irawaddy- Flussdelta, 98 000 Sturmopfer ihr Zuhause. „Insgesamt wird es Hunderttausende geben, die Unterkünfte, Wasser und Nahrung brauchen“, schätzt Richard Horsey, ein UN-Mitarbeiter im Nachbarland Thailand. Dort trafen sich am Montag Vertreter von Hilfsorganisationen, um mögliche Unterstützung zu koordinieren. Nur lässt Birmas Militärregierung nicht jeden ins Land. Die Junta schottet ihren Staat in der Regel weitgehend ab, normalerweise dürfen Hilfsorganisationen aus dem Ausland nur mit Einschränkungen in Birma arbeiten. Das Rote Kreuz und einige UN-Vertreter sind vor Ort, aber sie sind nicht auf so eine Katastrophe vorbereitet.

Schnell machbar und willkommen ist Hilfe von Militärs aus Indien und Thailand, zwei Länder, die mit Birmas Junta gute Beziehungen pflegen. Am Dienstag soll ein Transportflugzeug aus Bangkok erste Hilfsgüter bringen. „Wir verteilen Plastikplanen für Dächer, Tabletten zum Wasser-Desinfizieren, Kochmaterialien, Decken und Kleidung“, sagte ein Sprecher des thailändischen Militärs. Zwei indische Kriegsschiffe sollen ebenfalls Hilfsgüter bringen.

Unklar ist, ob ein für Samstag geplantes Verfassungsreferendum stattfindet oder nicht. In Birma soll nach 46 Jahren Diktatur das Ende der absoluten Militärherrschaft eingeläutet werden. Die Generäle haben eine Verfassung entwerfen lassen, knapp 27 Millionen volljährige Bürgern sollen das neue Grundgesetz am kommenden Samstag per Referendum annehmen. So war es jedenfalls vor dem Zyklon geplant, und bislang ist der Volksentscheid nicht abgesagt.

Die angebotene Verfassung hat 194 Seiten, sieht eine „Disziplin-Demokratie“ vor und stellt anhaltenden Einfluss der Militärs sicher. Geplant sind eine Präsidialexekutive und eine Legislative mit einem Parlament, in dem ein Viertel der Sitze für Militärs reserviert ist. Spätere Änderungen bedürfen einer Dreiviertelmehrheit und sind somit nur mit Zustimmung der Soldaten möglich. Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit sowie Gewerkschaftsrecht sind garantiert solange Aktivitäten „die Staatssicherheit, die öffentliche Ordnung und die Moral nicht beeinflussen.“ Der Präsident soll nicht direkt vom Volk sondern von einem Gremium aus Parlamentariern und Militärs gewählt werden. Präsidialkandidaten und ihre Verwandten müssen Staatsbürger Birmas sein. Dieser Passus disqualifiziert Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi, deren Söhne britische Staatsbürger sind. Außerdem muss der Präsident 20 Jahre lang ununterbrochen in Birma gelebt haben, was auf lange Zeit alle Politiker ausschließt, die heute im Exil leben.

Sollte es am Samstag trotz des Sturmdesasters zu der Abstimmung kommen, dürfen laut Wahlgesetz geistig Behinderte, verurteilte Kriminelle und Geistliche nicht teilnehmen. Somit sind auch alle Mönche ausgeschlossen. Zehntausende von ihnen hatten im September gegen das Regime demonstriert. Eine Wahlkommission organisiert das Referendum und die Stimmauszählung, die Junta ernannte alle 45 Mitglieder. Internationale Wahlbeobachter sind nicht zugelassen. Nur Journalisten aus regimefreundlichen Staaten bekamen Arbeitsvisa.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false