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Peter Madsen hat sein U-Boot "Nautilus" selbst gebaut.

© dpa

Tod von Kim Wall: Peter Madsen, U-Boot-Kapitän und Mörder?

Peter Madsen gilt in Dänemark als genialer Konstrukteur und Menschenfänger. Die Journalistin Kim Wall wollte über ihn und sein U-Boot schreiben. Jetzt ist sie tot.

Das vermutlich letzte Foto, das sie lebend zeigt, stammt vom Abend des 10. August. Ein Kieler Kreuzfahrtschiffpassagier machte es von Deck, beim Abendbrot. Zu sehen ist ein schwarzes U-Boot im Sonnenuntergangslicht, versehen mit dem Schriftzug UC 3 und im grauen Öresund vor Kopenhagen schwimmend, auf dessen Turm zwei Menschen. Der eine ist dunkel gekleidet, der andere trägt eine rote Jacke. Der eine ist wohl der einzige, der weiß, was in den Stunden danach, bis zum nächsten Vormittag elf Uhr, an Bord des Tauchschiffes passierte. Der andere ist Kim Wall.

Kim Wall, eine schwedische Reporterin, über die die dänische Polizei 13 Tage später, am Mittwoch mitteilt, dass sie tot ist. In der Zwischenzeit trieb ihr Körper im Meer, jemand muss ihr den Kopf, die Arme und die Beine abgetrennt und dem Torso weitere Verletzungen zugefügt haben, wohl „um Luft und Gase entweichen zu lassen, damit der Körper nicht an die Oberfläche getrieben wird“, sagt ein Polizeisprecher. Außerdem sei „ein Metallstück“ an ihm befestigt gewesen.

Eine 30 Jahre alt gewordene Frau, ein Torso, ein prominenter, lügender, sich widersprechender Tatverdächtiger. Ein selbstgebautes U-Boot. Weltraumraketen. Die wochenlange, bis heute andauernde Ungewissheit darüber, was sich an Bord ereignet hat. Der Fall ist von Medien weltweit begleitet worden, von Anfang an. Vielleicht auch deshalb, weil er nicht zu den lieblichen Skandinavienklischees passt – andererseits aber wiederum sehr gut zu all den besonders dunklen und oft besonders grausamen Kriminalromanen und -filmen aus dem Norden, die eben diese Klischees seit Jahren erfolgreich einschwärzen.

Eine Kriminalfilmserie heißt „Die Brücke“, die Handlung spielt genau hier, am Öresund, im Schatten des acht Kilometer langen Bauwerks, das Dänemark und Schweden verbindet und unter dem auch das U-Boot in der Nacht vom 10. auf den 11. August entlanggefahren sein muss. Die erste Folge beginnt damit, dass dort ein Torso gefunden wird.

Kim Wall wurde 30 Jahre alt.
Kim Wall wurde 30 Jahre alt.

© Reuters

Der Mann, der Kim Walls Körper zerstückelt haben muss, heißt Peter Madsen. Er ist ein Ingenieur, der Raketentriebwerke baute und bislang drei U-Boote, er sitzt in Untersuchungshaft. Am Abend des 10. August, gegen 19 Uhr, nahm er die Journalistin Wall an Bord, auf Refshaleøen, einer Insel am Kopenhagener Hafen. Sie wollte einen Artikel über Madsen schreiben. Einen weiteren über diesen 46 Jahre alten Mann, dessen Leben schon in einer Buchbiografie und drei Dokumentarfilmen beschrieben wird. Madsen, das manische Konstruktionsgenie, der Menschenmotivierer, der Manipulator. Der Mann, der Löcher in einen zerstückelten Menschenkörper geschnitten haben muss, damit der nie wieder an die Wasseroberfläche kommt.

Ballasttanks, Auftriebsmechanismen, die geschwungenen Kurven und daraus resultierenden Schwimmeigenschaften seiner U-Boote – davon kann Madsen stundenlang erzählen. „Sie ist wie eine Unterwasser-Erweiterung deines Körpers“, sagt er über sein zweites U-Boot, die „Kraka“. Als er das Nachfolgeschiff „UC 3 Nautilus“ im Jahr 2008 einweiht – Kim Wall beginnt damals ein Studium der Internationalen Beziehungen an der London School of Economics – und „Kraka“ daneben im Wasser liegen sieht, kommen ihm die Tränen. „Letzten Samstag war sie die Königin, jetzt ist sie nur die kleine Schwester.“ Die „Nautilus ist 40 Tonnen schwer und 18 Meter lang und damit das weltweit größte privat gebaute U-Boot.

Regisseur Robert Fox, der Madsen für den Dokumentarfilm „Mein eigenes U-Boot“ über Monate begleitete, erinnert sich immer noch an die Szene. „Die U-Boote waren wie Kinder für ihn“, sagt er, „vor allem die ,Nautilus’ wurde Teil seiner Identität.“

Lokalisierung der Orte des Falls Kim Wall
Lokalisierung der Orte des Falls Kim Wall

© dpa-infografik

Nun hat Madsen sein Kind versenkt, vor den Augen von vier Freizeitseglern, die ihn am Vormittag des 11. August südlich von Kopenhagen aus der Køge-Bucht retteten.

Madsen sei „ein Wolkenkratzer in einer flachen Landschaft“, sagt Regisseur Fox. „Wir sind ein flaches Land, das auf Konsens basiert, deshalb sind wir auch mental flach. So können wir alle auf demselben Niveau sein.“ Madsen dagegen wollte keine Durchschnittlichkeit. Er bezeichnete sich als antiautoritär, lebte meist in den Werkstätten, in denen er arbeitete. Fox sagt: „Peter hat nie mehr besessen als einen Beutel mit Kleidung und ein Regal mit Büchern über Raketentreibstoff, den Zweiten Weltkrieg und das Apollo-Projekt.“

Die Rastlosigkeit besitzt er seit seiner Kindheit: Die war von ständigen Umzügen geprägt, seine Eltern waren Alkoholiker, seinen Vater findet er im Alter von 17 Jahren tot auf. Da lebt er schon in seiner eigenen Wohnung. Zwei Jahre zuvor, als 15-Jähriger, hatte er die Firma Danish Space Agency gegründet.

Schon damals zeigt er einen Sinn fürs Theatralische: Den Rasen auf dem Schulgelände, von dem aus er im März 1986 seine erste Rakete startet, tauft er „Cape Cosmos“. Sie ist mit dreieinhalb Kilogramm Natriumsalz und Tapetenkleister als Treibstoff befüllt, er stellt sie vor Unterrichtsbeginn auf. „Ich liebte den Gedanken, dass hinter dem Schulgebäude eine vollbetankte Rakete stand“, steht in „Raketen-Madsen“, einer im Jahr 2014 erschienenen Biografie. „Die Unterrichtszeit war mein Countdown. Ich schaute die ganze Zeit auf die Uhr.“

Madsen hat seinen Antrieb gefunden: Er will aufs Gymnasium, um weiter Physik und Chemie lernen zu können. Einen Ausflug ins berühmte Kopenhagener Tycho-Brahe-Planetarium mit Filmvorführung über die Discovery-Mission bezeichnet er als „Herointrip auf 90 Millimeter Celluloid“.

Techniker der Polizei untersuchen das selbstgebaute U-Boot "Nautilus"
Techniker der Polizei untersuchen das selbstgebaute U-Boot "Nautilus"

© dpa

Als die Biografie erschien, war Kim Wall längst von London nach New York umgezogen und hatte dort an der Columbia-Universität ein Journalismus-Masterstudium absolviert. Sie fing an zu schreiben. Über das Leben in einem großen Einkaufszentrum in der Chinatown von Ugandas Hauptstadt Kampala. Über Untergrund-Internet-Anbieter in Kuba. Über reiche New Yorkerinnen, die Trump wählten. Sie arbeitete für den „Guardian“ und die „New York Times“, für das Magazin „Time“ und für „Harper’s“. Im vergangenen Jahr erschien einer ihrer Artikel auf der Webseite der „Süddeutschen Zeitung“, es ging darin um den Klimawandel und dessen Folgen für die Menschen auf den Marshallinseln. Wer Walls Texte liest, meint eine gewisse Unerschrockenheit der Reporterin darin zu erkennen und die Fähigkeit, Menschen nahezukommen, und damit der Wahrheit.

Welche Wahrheit hat sie an Madsen interessiert? Die, dass ihn viele Menschen „als charismatisch, enthusiastisch und inspirierend“ beschreiben, wie sein Biograf Thomas Djursing sagt. Oder die: „Er hat auch eine poetische und artistische Seite und in vielerlei Hinsicht ist er eher ein Künstler, der Geschichten erschafft, als ein Maschinenbauer.“

Regisseur Fox erinnert sich, dass Madsen den Film „Das Boot“ auswendig kannte. Sein Freund Jens Falkenberg sagt, dass sie während einer U-Bootfahrt anfingen, deutsch miteinander zu reden. „Um das richtige ,Das Boot’-Gefühl zu bekommen.“ Seine Raketenversuche kommentiert Madsen in perfektem Ground-Control-Englisch, genießt jede einzelne Zahl des Countdowns, kommentiert das Ergebnis über Funk für die Pressevertreter, während sein Team um ihn herum in Jubel ausbricht. Aus dem Dänischen Amateur-Raketen-Klub wird Madsen allerdings rausgeschmissen. Es war zu einem Brand gekommen, Sicherheitsvorschriften schienen ihn kaum zu interessieren.

Das U-Boot des dänischen Ingenieurs Peter Madsen liegt im Hafen von Kopenhagen in einem von der Polizei abgesperrten Bereich.
Das U-Boot des dänischen Ingenieurs Peter Madsen liegt im Hafen von Kopenhagen in einem von der Polizei abgesperrten Bereich.

© dpa

Später sagte er, dieser Rausschmiss im Jahr 1994, die Wut darüber, sei die seitdem stärkste „Triebkraft“ seines Lebens gewesen, versorge ihn mit Energie „wie Plutonium, das in meinem inneren Reaktor verbrennt“.

Als auch Madsens U-Boot-Ambitionen immer größer werden, verlässt er Mitte der Nullerjahre seine kleine Werkstatt im Kopenhagener Vorort Farum und zieht auf die Insel Refshaleøen. Das entlegene Industriegebiet ist durch neueröffnete Strandbars und Restaurants in den vergangenen Jahren immer belebter geworden, vor ein, zwei Jahrzehnten wagten sich nur Tüftler und Künstler auf die schlecht an die Stadt angebundene Insel, auf der ein stetiger Wind pfeift. Einer von Madsens Weggefährten erinnert sich an die Zeit: „Bei den Festen dort standen überall Roboter herum, man konnte auf merkwürdige Knöpfe drücken und Dinge in Gang setzen. Überall gab es blinkende Lichter. Die Leute liefen nackt herum.“

Peter Madsen musste von Bord der Nautilus gerettet werden. Journalistin Kim Wall war da bereits nicht mehr auf dem U-Boot.
Peter Madsen musste von Bord der Nautilus gerettet werden. Journalistin Kim Wall war da bereits nicht mehr auf dem U-Boot.

© AFP

Madsen beginnt, Feste zu besuchen, wo die Gäste sich als Werwölfe oder Meerjungfrauen verkleiden und ihren sexuellen Fetischen frönen – ein Zeitvertreib, dem er auch später neben seinem Eheleben nachging. So sehr Madsen seine Getriebenheit dabei half, seine Ziele zu erreichen, so sehr stand sie ihm bei der Zusammenarbeit mit anderen Menschen im Weg. Nach einem Sturz mit Gehirnerschütterung sitzt Madsen auf der Liege beim Arzt, die Kamera ist dabei, er schaut zur Seite. „Neurologisch ist alles in Ordnung, aber meine Freunde sagen, durch den Sturz ist vielleicht etwas zurückgeblieben. Ich habe es nämlich geschafft, mir auf der Arbeit alle zu Feinden zu machen.“

Bei den „Copenhagen Suborbitals“ zum Beispiel, einer von Madsen im Mai 2008 mitgegründeten Organisation, die die erste bemannte dänische Rakete bauen wollte. Dazu holte Madsen den Raketenexperten Kristian von Bengtson an seine Seite. Im Dokumentarfilm „Amateurs in Space“ reflektiert Bengtson, wie das Projekt mit großen Ambitionen und einer Schar von Freiwilligen begann – Experten rekrutieren und für eine Sache begeistern, das kann Madsen. „Es brauchte ein halbes Jahr, bis ich ihn so weit hatte, dass er verstand, dass das unser gemeinsames Projekt war. Am Anfang glaubte er wohl, dass ich sein Helfer war.“

Die Nautilus fährt in den Hafen ein.
Die Nautilus fährt in den Hafen ein.

© Reuters

Immer wieder schreibt Madsen gereizte E-Mails an alle Projektbeteiligten, beschuldigt Bengtson, zu viel Macht an sich zu reißen. Die in Dänemark so wichtige Geselligkeit schert ihn wenig: „Ich geben einen Dreck auf Vereinshygge“, schrieb er in einer seiner E-Mails auf den Vorschlag hin, gemeinsam Pizza zu bestellen.

„Ich kann auch eine extreme, kompromisslose Seite an ihm sehen“, sagt Robert Fox. „Aber diese Seite muss man haben, wenn man so viel erreichen will wie er.“ Fox selbst fiel bei den Dreharbeiten bei Madsen in Ungnade. Plötzlich hinterfragte der den Sinn des Dokumentarfilms, bezweifelte, ob Fox ihm noch nützen könnte. Fox vergleicht Madsen mit einer Kerze in einem dunklen Raum: „Die Kerze wirft ihren Lichtkegel nur auf eine abgegrenzte Fläche. Wenn du aus diesem Lichtkegel rausfällst, bist du draußen.“

Auch Kristian von Bengtson fällt irgendwann aus diesem Lichtkegel. Seine Launen treffen immer wieder auch die Freiwilligen. Er treibt sie durch die Werkstatt, aufräumen sollen sie endlich, die Drahtbürste muss in den Drahtbürstenkasten, der Schraubenzieher in den Schraubenzieherkasten. „Es muss etwas geschehen, es muss schmerzhaft sein, es muss drastisch sein und es muss jetzt sein.“

Polizisten durchsuchen eine Wasserstraße nach weiteren Überresten der getöteten Journalistin Kim Wall. (zu dpa «Der Fall der getöteten Journalistin Kim Wall.
Polizisten durchsuchen eine Wasserstraße nach weiteren Überresten der getöteten Journalistin Kim Wall. (zu dpa «Der Fall der getöteten Journalistin Kim Wall.

© dpa

Schließlich steigen zuerst Bengtson und dann er bei „Copenhagen Suborbitals“ aus. Auch mit dem Verein zum Erhalt der „Nautilus“ überwirft er sich: 2015 überschreibt der Verein ihm das Boot nach einem langen Streit um die Besitzverhältnisse.

Es kommt der 10. August. Kim Wall geht an Bord. Der Kreuzfahrtpassagier macht sein Foto. Noch in der Nacht meldet Walls Freund sie als vermisst. Madsen versenkt am nächsten Vormittag das U-Boot. Sagt der Polizei, er habe Wall am Abend zuvor zurück nach Refshaleøen gebracht, zu einem Restaurant. Der Polizei gelingt es, die gesunkene „Nautilus“ zu bergen. Madsen sagt der Polizei nun, an Bord habe es einen Unfall gegeben, er habe die tote Wall danach über Bord geworfen. Ein Fahrradfahrer findet einen Torso. Taucher bergen ihn. Ein DNS-Abgleich schafft Gewissheit. Kim Wall ist tot.

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