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Panorama: Treibholz auf dem Marktplatz

Das Hochwasser in Österreich und Tschechien fließt ab, Tausende Helfer beseitigen nun das Schlammchaos

Von Ulrich Glauber, Wien

Unterspülte Straßen, Barrieren aus Geröll und Treibholz auf Marktplätzen und Häuser voller feucht-modriger Möbel und verdreckter Maschinen – das ist das Bild, das sich den 7500 Helfern der Freiwilligen Feuerwehren und weit über 1000 Bundesheer-Soldaten am Freitag in Österreich geboten hat. Im Norden Österreichs und im Südwesten Tschechiens hat das große Aufräumen begonnen, nachdem das Jahrhundert-Hochwasser abzufließen beginnt. Im Schlammchaos sind die Schäden noch nicht abzusehen, werden in beiden Ländern aber auf Euro-Beträge in zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe geschätzt. In Tschechien starben zwei Menschen an Aufregung und Überanstrengung, zwei weitere werden vermisst.

Mehrere tausend Flutopfer, die die Nacht zum Freitag nicht in ihren oft bis zum ersten Stock überfluteten Häusern verbringen konnten, kehrten am Freitagmorgen wieder in ihre verwüsteten Behausungen zurück. Mit am heftigsten betroffenen war das Städtchen Schwertberg im oberösterreichischen Mühlviertel. Dort waren auch am Freitag noch mehrere Häuser vom Einsturz bedroht, weil das Flüsschen Aist, dessen Pegel nur langsam sank, die Uferböschung immer weiter unterspülte. Die Hilfskräfte kamen nur schwer voran, weil einsturzgefährdete Brücken nicht mit schwerem Räumgerät befahren werden konnten.

„Wir hatten gerade alles renoviert und uns neu eingerichtet. Jetzt fangen wir von vorne an“, klagte eine junge Schwertbergerin, während ihr Mann die durchweichte Wohnzimmergarnitur in einen der zahlreich aufgestellten Müllcontainer wuchtete. Eine ältere Nachbarin lobte die neu erwachte Hilfsbereitschaft bei der Bewältigung der Katastrophenfolgen: „So etwas habe ich zuletzt nach dem Krieg erlebt“, sagte die Frau erleichtert. Auch einige Unternehmen wollten sich da nicht lumpen lassen: Eine oberösterreichische Mineralwasserfirma spendete 45 000 Liter Sprudel, weil viele Trinkwasserbrunnen von der verdreckten Hochwasserbrühe verseucht sind. Zwei Möbelhäuser boten den Überschwemmungsopfern in einer Mischung von Solidarität und Geschäftssinn Preisnachlässe von 20 Prozent an.

Viele Handwerksbetriebe in den Überschwemmungsgebieten stehen dagegen vor dem Ruin. Maschinen wurden unbrauchbar, die gelagerten Lebensmittel in Bäckereien, Metzgereien und Einzelhandlungen sind verdorben. Auf dem Lagergelände eines österreichischen Autoimporteurs wurden 4000 Neuwagen bis unters Dach durchnässt. Das Unternehmen hofft allerdings, den größten Teil der beschädigten Fahrzeuge wieder reparieren und dann doch noch verkaufen zu können .

Die Schadensaufnahme war auch deshalb schwierig, weil in den betroffenen Regionen die Telefonleitungen teilweise unterbrochen waren. Bis zum Samstag sollten allerdings alle Haushalte wieder ans Telefonnetz angeschlossen sein und die Stromversorgung wieder überall funktionieren. Die meisten Privatleute und viele Firmen in den geschädigten Gebieten im Mühlviertel und im niederösterreichischen Waldviertel sind gegen Überschwemmungsfolgen allerdings nicht versichert.

„Donau-Hochwasser sind wir gewohnt, aber mit einer derartigen Flut aus den kleinen Nebenflüssen hat niemand gerechnet“, begründete ein oberösterreichischer Wirtschaftssprecher das Versäumnis. Im niederösterreichischen Kamptal beschwerten sich die Flutopfer hinter vorgehaltener Hand über den Kraftwerksbetreiber Niederösterreichische Energieversorgung (EVN). Die Eigentümer von drei Talsperren am Oberlauf des Kamp hätten die Flutwelle mit verschuldet, weil die Rückhaltekapazität der Sperren nicht früher erhöht worden sei.

„Wir haben immer 20 Prozent Platz-Reserve. Bei einem solchen Ausnahmeereignis läuft der Stausee trotzdem irgendwann über wie eine volle Badewanne. Hätten wir die Sperre früher aufgemacht, und es hätte zu regnen aufgehört, hätten wir die Anwohner grundlos in Bedrängnis gebracht“, wies ein EVN-Vertreter die Vorwürfe zurück. Ein Wiener Experte des World Wildlife Fund (WWF) nahm die EVN in Schutz: „Die Folgen solch katastrophaler Niederschläge lassen sich nur mittelfristig durch ökologische Raumplanung mildern."

Auch im Westen und Süden Böhmens normalisierte sich die Lage im Verlauf des Freitags wieder. Dort war am Donnerstag ein Feuerwehrmann bei der Fahrt zum Einsatz einem Herzinfarkt erlegen, ein Rentner brach beim Ausschöpfen seiner überschwemmten Wohnung vor Erschöpfung tot zusammen. Zwei Menschen werden in Tschechien vermisst – darunter eine 19-Jährige, die bei einer Bootsfahrt auf dem westböhmischen Flüsschen Berounka über ein Wehr geschwemmt wurde.

In Prag, wo nur die Keller einiger Gebäude unmittelbar am Ufer der Vltava (Moldau) in Mitleidenschaft gezogen wurden, geriet das erste Hochwasser seit 21 Jahren unversehens zur viel fotografierten Touristen-Attraktion.

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