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Panorama: Überwachungsstaat Italien

In keinem demokratischen Land werden so viele Telefone abgehört. Der Inhalt steht dann in der Zeitung

Das nennt sich wohl „Dunstkreis". Im Zentrum Vittorio Emanuele, der Erbe des 1946 aus dem Land gewählten italienischen Königshauses, um ihn herum Geschäftemacher, Amigos, Verbindungsleute zwischen käuflichem Sex, legalem und illegalem Glücksspiel, Politik und organisierter Kriminalität. In so einem Nebel ist alles möglich und jeder verdächtig, der auch nur irgendwie irgendwann mit irgendwem aus diesem Zirkel telefoniert hat. Die Polizei hört mit, und die Mitschriften landen seitenweise in den Zeitungen – selbst wenn gegen die betroffenen Personen gar nicht ermittelt wird.

Das Abhören von Telefonaten ist eine der wirksamsten Waffen der italienischen Strafverfolger. Aber weil sie diese geradezu inflationär einsetzen – allein zwischen 2001 und 2005 hat sich die Zahl der abgehörten Anschlüsse von 32 000 auf 107 000 erhöht – regt sich in Politik und in seriösen Zeitungen zunehmend Unmut über diese „unmoralische“, „erschreckende Fresssucht“.

„Wir sind das Land mit der weltweit höchsten Abhörquote“, jammert die größte Tageszeitung, der „Corriere della Sera“, und dann füllt er Seite um Seite mit den Mitschnitten der Telefonate, die er auf unüberschaubaren Wegen bekommen hat. Die Abhörprotokolle aus dem aktuellen Fußballskandal sind frei in Buchform erhältlich; teils enthalten sie – zum Ärger etwa von Nationaltrainer Marcello Lippi – private Handy-Nummern, die geschützt bleiben sollten.

Schonungslos abgedruckt werden selbst Texte, die wegen strafrechtlicher Unerheblichkeit, wegen Einbeziehung unbescholtener Personen, wegen eminent privaten oder rein scherzhaften Charakters gar nicht in den Ermittlungsakten der Staatsanwälte stehen. So sieht sich beispielsweise Daniela Fini, die Ehefrau des bisherigen Außenministers, mit ihren Versuchen abgedruckt, beim Freund eines Freundes einen Job für einen anderen Freund zu erreichen. Dergleichen ist in Italien ein lebenswichtiger Volkssport, allerdings ohne jede strafrechtliche Relevanz.

Für Furore sorgen weitere Protokolle: Junge Mädchen, die im Staatsfernsehen RAI Karriere machen wollten, sollen zu sexuellen „Gefälligkeiten“ gegenüber „einflussreichen“ Mittelsmännern gedrängt worden sein. Zu ihnen gehörte angeblich der Sprecher des früheren Außenministers Fini, und die entsprechenden Handlungen, so darf jeder aus den zusammenhanglosen Gesprächshappen schließen, sind sogar im Außenministerium geschehen.

Schon die Regierung Berlusconi wollte – voriges Jahr, als illegale Übernahmeversuche auf italienische Banken enttarnt wurden – die Gesetze verschärfen: Sie plante Haft für Journalisten, die Abhörprotokolle druckten, Haft für Ermittler, die Protokolle an die Presse gaben. Es blieb beim Versuch. Die Journalistenverbände sagten damals und sagen heute, die geltenden Verbotsgesetze und die berufseigenen Moralgebote reichten aus.

Sie tun es offenbar nicht. Aus zwei Gründen. Zum einen haben Strafverfolger aufgrund der extremen Langsamkeit der italienischen Gerichte ab und zu offenbar ein Interesse, Verdächtige sozusagen im Plebiszit schuldig sprechen zu lassen; auf ein juristisch bindendes Urteil müssten sie zehn, zwanzig Jahre warten. Bis dahin indes gilt jeder als unschuldig, und gerade Politiker bleiben selbst bei schwersten Indizien ungerührt im Amt. Nationalbankchef Antonio Fazio würde, ungeachtet des moralischen Schadens, den sein „Flirt“ mit einem kriminellen Banker 2005 angerichtet hat, wohl heute noch amtieren, wären da nicht entlarvende Telefonate en masse veröffentlicht worden.

Zum anderen – diesen Verdacht äußert die Zeitung „La Repubblica“ – gibt es mitunter politisch-geschäftliche Interessen, die unbequeme Arbeit von Staatsanwälten zu torpedieren. Die Abhörprotokolle aus dem Fußballskandal beispielsweise seien genau in einem Moment veröffentlicht worden, der den Ermittlern überhaupt nicht passen konnte. Auf diese Weise seien, so schreibt „La Repubblica“, die entscheidenden, gerichtsverwertbaren Verhöre unmöglich geworden; die Beschuldigten hätten, dank genauester Kenntnis aller möglichen Vorhalte, ihre Verteidigung konstruieren und zusammen mit anderen Verdächtigten orchestrieren können.

Eine derart umfassende und verheerende Weitergabe von geheimem Ermittlungsmaterial, schreibt „La Repubblica“, müsse von hohen Offizieren der Carabinieri autorisiert worden sein. Dieser Verdacht führt geradewegs hinein in die Staatsführung. Er ist das Ungeheuerlichste und Beunruhigendste in all diesen Skandalen.

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