zum Hauptinhalt

Ukraine: Schweinefett schmiert den Hals

Andrej Kurkow findet die Nationalspeise der Ukrainer schlicht, aber großartig. Hier erzählt er, warum er „Salo“ liebt.

Ich mag Salo am liebsten, wenn das Schwein noch nicht lange tot ist. Man trennt das frische Bauchfett heraus, legt es für ein paar Stunden ins Gefrierfach und schneidet es in sehr dünne Scheiben, die ihr Aroma entfalten, während sie im Mund schmelzen.

Es gibt Salo auch gepökelt, geräuchert, gepfeffert oder mariniert, man kann ihn zu Kartoffeln braten oder mit Schwarzbrot und Knoblauch kombinieren. In jeder Form ist er das ideale Begleitessen zum Wodka. Man wird nicht so schnell betrunken, wenn man Salo isst, durch das Fett dringt der Alkohol langsamer ins Blut. Außerdem schmiert Schweinefett den Hals und schützt ihn vor Verbrennungen, was besonders wichtig ist, wenn man „Samogon“ trinkt, starken Selbstgebrannten mit 70 Prozent oder mehr.

Ich darf gerade leider keinen Speck essen, der Arzt hat es mir verboten, wegen des Cholesterins. Ein paar Monate muss ich noch Diät machen, dann werde ich ein Salo-Fest feiern! Natürlich hat Schweinefett gesundheitlich nicht den besten Ruf. Vielleicht zu Unrecht, denn die Menschen in den ukrainischen Dörfern, wo deutlich mehr Salo gegessen wird, leben meist länger als die Städter. Wer körperlich schwer arbeitet, verbraucht mehr Energie, da ist Salo nicht das Schlechteste. In der Ukraine sagt man: Ein Mann, der keinen Salo isst, arbeitet zu wenig.

Dass die Ukrainer ihren Salo so lieben, liegt wohl daran, dass wir immer ein Bauernland waren. Schweine sind leicht zu haltende Tiere, deren Fleisch die Bauern traditionell verkauft haben, während sie den Speck für sich behielten, weil er kalorienreicher ist als das Fleisch, weil er sich leichter lagern lässt, weil er satt macht.

Es gibt viele Witze über die Ukrainer und ihre Liebe zum Speck, besonders in Russland. Zum Beispiel diesen hier: An der Grenze halten russische Zollbeamte einen sehr dicken Ukrainer an. Unter seinem Mantel ist der Mann vom Hals bis zur Hüfte mit Speck umwickelt, mit einem vier Meter langen Salo-Streifen. Hör zu, sagen die Zöllner, wir lassen dich laufen, aber du musst uns verraten, wo du dieses irre Stück Speck herhast – so große Schweine gibt es doch gar nicht! Ganz einfach, sagt der Ukrainer: Ich habe einem Ferkel die Hinterbeine einbetoniert und den Futternapf jeden Tag ein paar Zentimeter weiter weg gerückt!

In den neunziger Jahren wurde viel Salo aus der Ukraine nach Russland geschmuggelt. Heute sieht man das seltener, weil die Zugfahrten teurer geworden sind. Früher habe ich auf dem Weg nach Russland immer Menschen mit Salo in den Zügen getroffen, und an den Moskauer Bahnhöfen haben Ukrainerinnen kiloweise Speck verkauft. Die Russen mögen Salo, aber er muss aus der Ukraine kommen. Unsere Schweine sind fetter, wir füttern sie besser als die Russen.

Vor ein paar Jahren hatte ich die fixe Idee, ein „ukrainisches Sushi“ auf den Markt zu bringen: Speck statt Fisch, Buchweizengrütze statt Reis, Rote-Bete-Meerrettich statt Wasabi. Ich bin leider nie dazu gekommen, es auszuprobieren. In der westukrainischen Stadt Lemberg habe ich neulich eine andere Speckvariante gesehen: Schokolade, gefüllt mit Salo. Schmeckt scheußlich, es ist eher eine Art Ukrainesouvenir für Touristen.

Salo spielt auch in der ukrainischen Literatur eine Rolle, zum Beispiel in Gogols „Abende auf dem Weiler bei Dikanka“. Irgendwo kommt Salo bestimmt auch in meinen eigenen Büchern vor, auch wenn mir keine konkrete Szene einfällt. In meinem neuen Roman geht es um einen Zeitreisenden, der sich plötzlich in der Sowjetunion des Jahres 1957 wiederfindet. Er probiert dort zwar keinen Salo, aber ich bin sicher, dass ukrainischer Speck vor einem halben Jahrhundert nicht anders geschmeckt hat als heute.

Er wurde allerdings ein bisschen anders wahrgenommen. Ich selbst zum Beispiel habe Salo erst mit Mitte 20 kennengelernt, weil ich in einer Intelligenzija-Familie aufgewachsen bin. Zu Sowjetzeiten galt Speck als Essen für Arbeiter und Bauern, Intellektuelle haben ihn nicht gegessen. Ich erinnere mich noch an die Abendgesellschaften im Haus meiner Großmutter, da waren oft Professoren und Lehrer zu Gast, denen meine Großmutter Kaviar, Wurst, Käse, Zitronen, Sekt und Cognac vorsetzte – aber niemals Speck. Den gab es damals nur auf dem Land. Meine Eltern essen ihn bis heute nicht. Ich schon. Überhaupt ist er unter Künstlern und Intellektuellen heute ziemlich beliebt. Dieser Geschmackswandel hat wohl damit zu tun, dass es die alte sowjetische Klasse der Intelligenzija im Grunde nicht mehr gibt. Früher war sie das Gewissen der Nation. Jetzt hat die Nation kein Gewissen mehr – dafür hat sie Speck.

Andrej Kurkow, 51, lebt als Schriftsteller in Kiew, seine auf Russisch verfassten Romane wurden in 25 Sprachen übersetzt. Auf Deutsch erschien zuletzt „Der Gärtner von Otschakow“ (Diogenes).

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false