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Panorama: Unbekannt verwandt

In den USA suchen Mütter und Kinder nach deren Vätern – die waren anonyme Samenspender

Seit ein paar Monaten tauchen sie in US- Zeitungen auf: Fotos von bewegenden Familienzusammenführungen. Zum Beispiel die 17-jährigen Zwillinge Erin und Rebecca Baldwin, die Geschwister McKenzie (12) und Tyler Ginson (18) mit ihrem jüngst gefundenen Bruder Justin Senk (15); sie wachsen in unterschiedlichen Regionen Amerikas mit verschiedenen Müttern auf. Auf den Bildern kann man aber sehen, wie viel sie gemeinsam haben: das blonde Haar, die Augenpartie – oder bildet man sich das ein? Da sind Danielle Pagano (16) aus Seaford, New York, und JoEllen Marsh (15) aus Russel, Pennsylvania – 2005 haben sie „Thanksgiving“, das amerikanische Familienfest schlechthin, erstmals gemeinsam gefeiert. Oder die 12-jährige Liz Herzog aus Chicago: Sie wuchs als Einzelkind auf und hat in der 10-jährigen Callie Frasier- Walker eine unzertrennliche Schwester gefunden; beide haben genau das gleiche Grübchen unter dem rechten Auge.

Solche Geschwister verbindet ein unbekannter gemeinsamer Vater – ein Samenspender. Für sie ist er nur eine Nummer, in den meisten Fällen werden sie ihn wohl nie kennen lernen. Zum Beispiel „Donor 150“ von der California Cryobank. Oder der deutschstämmige „Donor 401“ von der Fairfax Cryobank in Virginia. Für die „Väter“ war es in den eher unbedarften Anfangsjahren dieser Art Reproduktionsmedizin ein leichter Nebenverdienst. 50 bis 100 Dollar bekamen sie pro Spende, Anonymität war zugesichert und: keine Alimente. Sie mussten nur nachweisen, dass sie frei von Krankheiten sind.

Für die Mütter, die mit Ärzten den passenden Typ aus den Katalogen suchten, stand der Kinderwunsch im Vordergrund. Sie zahlten 150 bis 600 Dollar an die Samenbank. Technische Machbarkeit gibt aber noch keine Antwort auf die Gefühlswelt – die Sehnsucht nach einer „richtigen Familie“, wie andere Kinder sie haben; den Wunsch zu wissen, woher man kommt; die Freude, Geschwister zu haben. So viel hat Danielle inzwischen aus den mageren Daten der Samenbank erfahren: Ihr biologischer Vater ist 1,80 groß, 74 Kilo schwer, hat blondes Haar, blaue Augen und stammt aus Wilmington, Delaware. Mit JoEllen will sie hinfahren und die Männer auf der Straße beobachten, ob einer von denen es sein könnte.

30 000 Samenspenderkinder werden in den USA pro Jahr geboren – und etwa 10 000 dank gespendeter Eizellen. In den jüngsten Jahren sind mehrere Internetseiten entstanden, auf denen Kinder, oft mit Hilfe der Mütter, nach Geschwistern suchen. Danielle verriet der „New York Times“, sie hasse es, wenn ihre Mutter sage, die Biologie sei hier nicht so wichtig: „Wenn sie das glauben würde, hätte sie ein Kind adoptieren können.“

Carla Schouten aus San José hatte noch eine Samenspende von „Donor 401“ übrig. Die hat sie nun Leann Mischel, Dozentin in Pennsylvania, geschenkt: Die wollte ein Geschwisterkind für ihr 401er- Kind, konnte aber keine Samenspende des gleichen Vaters mehr bekommen.

In den USA ist eine Debatte entbrannt, ob das Samenspendewesen nicht stärker geregelt werden muss wie in vielen Ländern Europas. Was wiegt schwerer: das Recht des Kindes, seinen biologischen Vater zu kennen, oder das des Spenders auf Anonymität? Wie stellt man sicher, dass es nicht zu ungewolltem Inzest kommt, weil Kinder desselben Spenders im Zeugungsalter sind, aber nichts von ihrer Blutsverwandtschaft wissen? Müssen Samenbanken verpflichtet werden, Buch zu führen über Spender und ihre Nachkommen? „Bestseller“ haben nach Schätzungen mehr als hundert Kinder. Und wie beugt man genetisch bedingten Krankheitsrisiken wie Diabetes vor?

Es gibt auch Fälle, in denen anonyme Väter nach ihren Kindern suchen, wie John Allison, 46, ein kinderloser Softwarespezialist in Tucson, Arizona: „Wir könnten ein Boot mieten oder fischen gehen. Ich würde so gerne für sie da sein.“

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