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Panorama: Ungezieferplage befürchtet: Im Jahr der Schlange feiern nur die Mäuse

Der Besuch im "Dai Familien Dorf", einem Spezialitätenrestaurant im Westen von Peking, ist nichts für Leute mit schwachen Nerven. Die Spezialität des Hauses heißt "Gan bian xiao long" - "Gebratener kleiner Drache" - und wird direkt am Tisch zubereitet.

Der Besuch im "Dai Familien Dorf", einem Spezialitätenrestaurant im Westen von Peking, ist nichts für Leute mit schwachen Nerven. Die Spezialität des Hauses heißt "Gan bian xiao long" - "Gebratener kleiner Drache" - und wird direkt am Tisch zubereitet. Mehr als ein Meter lang ist die lebende Schlange, die der Koch mit ausgestrecktem Arm den Gästen zur Begutachtung vorhält. Mit einem raschen Stich in den Hals tötet er das Tier, sorgsam darauf achtend, dass das Blut in das bereit stehende Schüsselchen läuft. Dann pult er mit zwei Fingern eine grünliche Hautblase aus dem Tier und fragt: "Wollen Sie die Galle auch trinken?"

Schlangen sind traditionell eine Spezialität der lokalen chinesischen Küche. Seit Ende Januar laufen die Geschäfte im "Dai Familien Dorf", einem bekannten Pekinger Schlangenrestaurant, jedoch besonders gut. Mit dem "Jahr der Schlange" im chinesischen Kalender sind die Reptilien so populär wie nie. Gegrillt, frittiert oder mit "gedünsteten Lauchzwiebeln" (cong shao che duan) sind Schlangen in vielen Städten zu einem Modegericht geworden. Allein im südchinesischen Shenzhen wandern jeden Tag zehn Tonnen Schlangen in den Wok. Im südchinesischen Kanton verkaufen Spezialitätenrestaurants wie das "Schlangen im Überfluss" jeden Abend zwischen 600 und 700 Kilo der Reptilien.

Naturschützer und Behörden schlagen Alarm. "Bitte esst mich nicht!", titelt die Pekinger Abendzeitung und warnt vor einer möglichen Rattenplage. Im Umland von Shanghai hätten sich Mäuse und Ratten so stark vermehrt, dass die Behörden Schlangen aus den Provinzen ankaufen müssten, berichtet das Blatt.

Umweltschützer wie die chinesische Vereinigung "Naturfreund" sehen einige der 209 Schlangenarten des Landes vom Aussterben bedroht. "Wir appellieren an die Verbraucher, keine Schlangen mehr zu verspeisen", sagt Lin Yi von der Umweltgruppe "Naturfreund". Weil die Aufzucht von Schlangen sehr kompliziert sei, würden die meisten Restaurants illegal Wildschlangen verkaufen. Staatliche Schutzbestimmungen werden von den Restaurants ignoriert. Auf der Speisekarte des "Dai Familien Dorf" gibt es Schlangen in einem Dutzend Variationen. 150 Yuan (umgerechnet 37 Mark) kosten sie gebraten, für das aufwändigere "Er long xi zhu"-Gericht ("Zwei Drachen spielen mit einer Perle") werden 260 Yuan (umgerechnet 65 Mark) berechnet. "Die Geschäfte laufen sehr gut", erzählt die Bedienung, während sie das Schlangenblut mit Schnaps vermengt in kleinen Gläsern serviert. Viele Firmen würden die seltenen Tiere schätzen, um ihren Geschäftspartnern etwas besonderes zu bieten. Das "Dai Familien Dorf" bietet deshalb auch Spezialitäten wie gekochte Schildkröten oder "yi pin tuo zhang" - "Kamelfüße".

Mehr als 6000 Tonnen Schlangen werden jährlich in China verzehrt, berichtet die Abendzeitung. Das Fleisch ist zart und erinnert im Geschmack an Hühnchen. Doch längst nicht alle Chinesen mögen Schlangen. Wie im Westen finden viele die Reptilien "exin" (eklig) und "nian huhu" (schleimig). Im "Dai Familien Restaurant" serviert die Kellnerin mit dem Schlangenfleisch jedem Gast ein Schnapsglas gefüllt mit giftgrüner Flüssigkeit. "Die Galle", erklärt sie mit einem Lächeln. Auch die Chinesen am Tisch rühren das Glas nicht an.

Harald Maass

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