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Panorama: Verschluckt vom Schlamm

Bei einem Erdrutsch auf den Philippinen wird ein ganzes Dorf verschüttet – mit mehr als 1500 Menschen

Als es längst dunkel ist und die Rettungskräfte kaum noch Hoffnung haben, wartet Redgie Cabugos immer noch an der Stelle, an der einmal die Grundschule von Guinsaugon stand. Redgie ist Krankenschwester. Kolleginnen hatten mit Kindern in der Aula gefeiert, weil sie vor einem Jahr ein Gesundheitsprogramm an der Schule begonnen hatten. „Ich hoffe immer noch“, sagt Redgie. Doch dann fügt sie hinzu: „Aber es sieht aus, als seien keine Überlebenden mehr zu finden.“

Die Schule von Guinsaugon gibt es nicht mehr. Das Dorf ist auch weitgehend verschwunden. Erst hatte es sechs Tage lang geschüttet, dann bebte leicht die Erde. Und schließlich rutschte ein Hang des Canabag-Berges ab, vor dem Guinsaugons 375 Häuser standen. Nun sind fast alle verschluckt von Schlamm, der bis zu zehn Meter dick ist.

Aus der dunklen Masse ragen Reste von Dächern oder Palmen heraus. Erste Helfer retten schnell 55 Menschen, darunter ein Kind, das wie durch ein Wunder nahe der Schule überlebte. Danach haben die Rettungskräfte keinen Erfolg mehr, sie finden nur noch Leichen. „33 Tote geborgen, mehr als 1500 Menschen bleiben vermisst“, gibt Rosette Lerias am späten Abend bekannt. Lerias ist Gouverneurin von Süd-Leyte, dem Teil der Insel, in dem die Katastrophe geschah. „Ich fürchte, dass die Opferzahl dramatisch steigen wird“, sagt sie. Maria Lim, die Bürgermeisterin des nahe gelegenen Ortes St. Bernard, kann gar nicht fassen, wie gewaltig die Schlammlawine war: „Der Teil des Dorfes, in dem die meisten Häuser verschluckt wurden, ist zwei Kilometer vom Berg entfernt. Unglaublich, dass der Erdrutsch den Schlamm so weit trug.“

Leyte hat dieselbe Vergangenheit wie viele Inseln der Philippinen. Zur Kolonialzeit – erst waren Jahrhunderte lang Spanier da, dann US-Amerikaner – wurde im tropischen Regenwald systematisch gerodet, weil Holz so viel Geld bringt. Später entstanden Plantagen, auf Leyte vor allem aus Kokospalmen, Zuckerrohr und aus einer besonderen Bananenstaude, der Abaca-Banane. Palmen und Zuckerrohr haben Wurzeln, die unter der Erde breit, aber nicht sehr tief wachsen. Daher halten sie den Boden nur schlecht zusammen. Regnet es lange und kräftig, sind Hänge gefährdet. Deutsche Agrarexperten, allen voran Professor Friedhelm Göltenboth von der Universität Hohenheim, propagieren seit vielen Jahren auf Leyte so genannten Mischanbau. Dabei werden auf Plantagen zwischen Kokospalmen zusätzlich Bäume, Ananas- und Bananenstauden angepflanzt. Das bringt Zusatzeinkommen und schützt vor Erdrutschen.

Die Idee ist längst nicht überall umgesetzt. Von den vielen kleinen Erdrutschen auf Leyte hört die Welt gewöhnlich nichts. Regelmäßig sterben dabei Menschen, Bauern verlieren Hab und Gut. Nur ganz schlimme Unglücke machen Schlagzeilen – etwa im November 1991, als ein Sturm schwere Erdrutsche und Überschwemmungen verursachte. An der Westküste starben damals bis zu 7000 Menschen. „Regnet es lange, wissen die Menschen auf Leyte eigentlich Bescheid. Wer in der Nähe eines Hanges lebt, bringt sich in der Regel in Sicherheit“, meint Richard Gordon, der Chef des philippinischen Roten Kreuzes.

Offenbar hatten viele Bewohner von Guinsaugon auch dieses Mal ihre Häuser verlassen. Aber sie gingen wohl zu früh zurück, weil sie dachten, die Gefahr sei vorbei.

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