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Aus Solidarität mit den Verschleppten gingen auch am Mittwoch in ganz Mexiko Tausende auf die Straße.

© dpa

Verschwundene Studenten in Mexiko: Haftbefehl gegen Bürgermeister von Iguala erlassen

Hinter dem Verschwinden Dutzender Studenten in Mexiko soll der Bürgermeister der Stadt Iguala stecken. Er und seine Frau werden mit Haftbefehl gesucht. Die beiden sind abgetaucht.

Unter dem Druck von Massenprotesten hat die mexikanische Staatsanwaltschaft vier Wochen nach der Entführung von 43 Studenten erste Ergebnisse vorgelegt. Generalstaatsanwalt Jesús Murillo bestätigte am Mittwoch die Recherchen der Presse, wonach der Bürgermeister des Ortes Iguala, José Luis Abarca, mit dem Kartell Guerreros Unidos kooperierte und die Repressalien gegen die linksgerichteten Studenten angeordnet hatte. Gleichzeitig räumte Murillo ein, dass DNA-Proben von 30 verkohlten Leichen, die in der Nähe von Iguala in Massengräbern gefunden worden waren, von argentinischen Experten wegen möglicher Fehler wiederholt würden. Erste Proben lokaler Gerichtsmediziner hatten ergeben, dass die Reste nicht von den Studenten stammten.

Verbrannt bei lebendigem Leib?

Währenddessen warfen Demonstranten, die Fortschritte in den Ermittlungen verlangten, Steine und Molotowcocktails auf das Rathaus von Iguala, das anschließend in Flammen aufging. Auch in anderen Städten Mexikos gab es Demonstrationen. In Mexiko-Stadt protestierten rund 50.000 Menschen. „Abarca erhielt monatlich rund zwei Millionen Pesos von dem Kartell“, sagte Murillo den Journalisten. Das entspricht gut 116.000 Euro. Den Ermittlungen zufolge hatte es schon seit einiger Zeit Spannungen zwischen den kritischen Studenten und dem Bürgermeister gegeben, den sie des Drogenhandels und Mordes bezichtigten. Am Tag der Ereignisse hielt seine Frau, deren Brüder für die Guerreros Unidos arbeiten, eine Rede. Rund 80 der Studenten, die aus ärmlichen Bauerngemeinden stammen, sammelten gleichzeitig Geld für eine Fahrt in die Hauptstadt zu einer Gedenkveranstaltung. Weil der Bürgermeister fürchtete, sie wollten den Auftritt seiner Frau platzen lassen, befahl er seiner Polizei, den Studenten eine Lektion zu erteilen.

Daraufhin begann eine Verfolgungsjagd, bei der die Ortspolizei auch die Beamten einer Nachbargemeinde zu Hilfe riefen. Dafür hätten die Polizisten die Ortungsgeräte aus ihren Patrouillen entfernt und deren Nummern übertüncht. Bei der Hetzjagd starben sechs Menschen. Anschließend übergaben die Beamten 43 Studenten, derer sie habhaft werden konnten, Killern der Guerreros Unidos. Das stimmt auch mit Augenzeugenberichten überein. Denen zufolge wurden die Studenten zum Teil bei lebendigem Leib verbrannt. Dies wollte Murillo jedoch nicht bestätigen. Er betonte, es seien weiterhin mehrere Hundertschaften im Einsatz, um die Studenten zu suchen. Vom Bürgermeister, seiner Frau und dem Polizeichef fehlte jede Spur. Wegen der Vorkommnisse sind 52 Polizisten und Kartellmitglieder inhaftiert.

Schutzgelder auch von Studenten

Die Zustände in Iguala sind keine Ausnahme. Nach dem Zwischenfall entwaffnete das Militär in 13 weiteren, nahe gelegenen Gemeinden die Polizei, weil sie mit der Mafia zusammenarbeiten. Die Polizei und die Justiz in Mexiko gelten als besonders korrupt, wodurch 95 Prozent aller Straftaten ungesühnt blieben. Als Folge des 2006 gestarteten Drogenkriegs wurden die Kartelle in kleinere Einheiten zerschlagen, die zum Teil nicht mehr die Logistik haben, um Rauschmittel im großen Stil zu produzieren und zu transportieren. Deshalb haben sie ihre Aktivitäten diversifiziert, betreiben inzwischen auch Menschenhandel, Entführungen, Schutzgelderpressung und Prostitution. Wie der Rektor der staatlichen Universität von Guerrero einem lokalen Radiosender erzählte, verlangten sie auch von seinen Studenten Schutzgelder. Er selber sei angewiesen worden, mit dem Beschaffungswesen eine bestimmte Person zu betrauen. Da er es abgelehnt habe, sei er bedroht worden.

Ausländische Medien machen Druck

Auch das Militär gerät inzwischen in Verruf. Die Menschenrechtskommission bestätigte jetzt, dass Militärs im Juni 15 junge Bandenmitglieder hinrichteten, nachdem sie sich mit ihnen ein Feuergefecht geliefert hatten. Wie auch im Falle von Iguala hatten erst Recherchen ausländischer Medien und Druck der USA, der UN und der EU die Regierung zu ernsthaften Ermittlungen gezwungen. Präsident Enrique Peña Nieto, der sich bisher ganz auf wirtschaftliche Reformen konzentriert und den Drogenkrieg totgeschwiegen hatte, musste seither seine politische Agenda umkrempeln. In jeder seiner Reden betont er nun sein Engagement für den Rechtsstaat. Er werde keine kriminellen Verflechtungen zwischen Politik und der Mafia dulden. Am Dienstag brachte die oppositionelle konservative Partei der Nationalen Aktion im Kongress ein umfassendes Anti-Korruptions-Gesetz auf den Weg, dem sich unter dem Druck der aktuellen Ereignisse auch Peñas Partei der Institutionellen Revolution (PRI) anschloss. „Peña Nieto glaubte, wirtschaftliche Modernisierung sei ausreichend, um das barbarische Mexiko zu überwinden. Er hat sich getäuscht“, schrieb der Buchautor Jorge Zepeda Patterson in „El País“. Mexiko brauche Recht und Ordnung mindestens so dringend wie wirtschaftliche Modernisierung. „Die Frage ist, ob Peña das Zeug zu so einer radikalen Umgestaltung hat.“

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