zum Hauptinhalt
Der verschwundene Junge. Mit diesem Foto sucht die Polizei Jeremie.

© dpa

Verschwundenes Kind: Die Großeltern wissen, wo Zirkusjunge Jeremie ist

Die Grünen üben heftige Kritik am Jugendamt aber auch an der Sinti-Familie. Der Fall löst auch eine Debatte um die sogenannte Individualpädagogik aus, die besonders schwierige Jugendliche in den Zirkus, auf den Ponyhof oder in Stuntshows bringt.

Hamburg - Auch am 15. Tag nach seinem Verschwinden aus einem Zirkus im mecklenburgischen Lübtheen ist der ursprünglich aus Hamburg stammende elfjährige Jeremie noch nicht wieder aufgetaucht. Inzwischen liegt die Vermutung nahe, dass er sich bei einem Mitglied seiner SintiGroßfamilie aufhält – ein Verdacht, den die Polizei von Anfang an hatte. Ein Sorgerechtsstreit hat sich als Auslöser für den Wirbel um den Jungen entpuppt.

Mit der Anhörung von Jeremies Großeltern beim Familiengericht in St. Georg am Dienstag ist klar geworden, dass sie Kenntnis haben über den derzeitigen Aufenthaltsort ihres Enkels. Dieser wollte die Weihnachtstage fern von seiner Pflegemutter in Lübtheen bei der Familie in Hamburg verbringen, was ihm verwehrt wurde. Die Großeltern, die behaupteten, dass der Junge im Zirkus schlecht behandelt wurde, was in Lübtheen bestritten wird, waren zum Gerichtstermin geladen, weil sie ein erweitertes Besuchs- und Kontaktrecht erwirken wollen. Die Einlassungen des 71-jährigen Bruno A. waren eindeutig: Nur wenn ihm ein Mitspracherecht über den künftigen Aufenthalt von Jeremie gewährt würde, wolle er dafür sorgen, dass der Elfjährige innerhalb kürzester Zeit auftauche. Ein Zurück zum Zirkus scheint damit verbaut zu sein. Der Großvater behauptet, Jeremie solle für den Fall einer Rückkehr nach Lübtheen mit Selbstmord gedroht haben. Das als Amtsvormund zuständige Jugendamt vereinbarte mit den Großeltern, dass ihr Enkel sich nach Verlassen seines Verstecks zunächst in ärztliche Behandlung begibt. Nun wird in jedem Moment damit gerechnet, dass Jeremie sich stellt.

Die Grünen kritisieren die Haltung der Jugendbehörde, weil sie sich nicht regelmäßig im Zirkus über Jeremies Wohlergehen informiert hat, sondern die Kontrolle dem beauftragten Träger, dem Neukirchener Erziehungsverein, überlassen hatte. Die Partei wirft dem Jugendamt vor, sich durch ihre Absprache mit den Großeltern erpressbar gemacht zu haben. Auf die Großeltern sind die Grünen ebenfalls nicht gut zu sprechen. Sie werden jetzt der Lüge bezichtigt, weil sie immer betonten, sie wüssten nichts über den Aufenthaltsort des Jungen. Möglicherweise müssen sie nun mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Immerhin haben Polizeibeamte tagelang Verwandte aufgesucht, um nach dem Jungen zu fragen.

In der Hansestadt tobt unterdessen ein Streit darüber, ob das Jugendamt im Fall Jeremie sich richtig verhalten hat, als es ihn im Alter von neun Jahren in die Obhut des Wanderzirkus gegeben hat, und ob überhaupt entsprechende individualpädagogische Lösungen geeignete Maßnahmen für schwer erziehbare und verhaltensauffällige Kinder darstellen. Eigentlich sind erst ab 14 Jahren aufwärts solche Aufenthalte zulässig. Jeremie wurde attestiert, er sei nicht beschulbar. Sechs angefragte Träger in Hamburg fanden für ihn keine Bleibe.

Bundesweit werden rund 1100 Kinder und Jugendliche individualpädagogisch betreut. Darunter sind auch Ponyhöfe oder eine jetzt in die Schlagzeilen gekommene Stunt- und Monstertruckshow. Der Bundesverband für Individualpädagogik wehrt sich dagegen, dass plötzlich alle solche Erziehungsangebote infrage gestellt werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false