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Panorama: Versteck unter Deck

Menschenschmuggler haben einen neuen Transportweg gefunden: Flüchtlinge werden in Luxusyachten gepfercht

Auf den ersten Blick erscheint nichts verdächtig: Tiefblau das Mittelmeer, Touristen sonnen sich am Strand, auf dem Ozean schaukelnde Segelboote. Doch die Urlaubsidylle trügt. Denn Menschenhändler und Schleuser nutzen inzwischen nicht nur Frachter und Fischerboote, um illegale Flüchtlinge nach Europa zu bringen. Sie entwenden dafür Privatyachten in der Ägäis. Die Firmenich-Yachtversicherung in Berlin und Hamburg hat jetzt einen solchen Fall erstmals öffentlich gemacht.

Normalerweise sonnen sich dort Crewmitglieder, knallen Korken von Champagnerflaschen vor der untergehenden Sonne. Doch das Bild, das sich der türkischen Küstenwache kürzlich auf der herrenlos treibenden 14-Meter-Yacht „Blue Marlin III" bot, erinnert mehr an einen Horrorfilm. Sonst finden unter Deck nur wenige Segler Platz – nun sind dort 86 Menschen zusammengepfercht. Das Großsegel zerfetzt, der Rumpf beschädigt, das Schiff kurz vor Strandung an der Steilküste, die Crew längst über alle Berge. Zurück blieben Flüchtlinge vor allem aus Pakistan, die für den langen Weg in die heile Welt nach Europa mehrere Jahreseinkommen an diffuse Mittelsmänner bezahlt hatten. Vermutlich wäre das menschenverachtende Schleusergebaren nicht an die Öffentlichkeit gekommen, wenn Helmuth Kamehl, der österreichische Eigner der Charteryacht, nicht zugleich Polizei- und Sicherheitsexperte wäre. Er hat sich zwei Wochen nach dem Verschwinden seiner „Bavaria 47" selbst auf den Weg in die Türkei nach Port Göcek, Antalya, gemacht. Das Protokoll des Falls, bei dem die „Firmenich Yachtversicherungen Berlin und Hamburg“ nun die Ermittlungen abgeschlossen hat, ist erschütternd.

Samstag, 1. September 2002. Zwei Männer und zwei Frauen – aus der Ukraine, Moldawien, der Türkei – interessieren sich für die Urlaubsyacht. Segelscheine und Ausweise werden vorgelegt, Handynummern der Chartercrew notiert. Doch statt Konserven und Kameras kommen in einer Nacht- und Nebelaktion beinahe 100 Menschen an Bord. Die Flüchtlinge hoffen nach jahrelanger Odyssee aus der Himalaya-Region nun durch den Transfer von der Türkei in den EU-Staat Griechenland „endlich auf die Ankunft im Schlaraffenland", sagt Versicherungsermittler Uwe Schröder. In Griechenland erwartet sie ein Asylverfahren. Doch die Reise endet mit einer Katastrophe. Die Crew muss Lunte gerochen oder sich verirrt haben, sie flieht mit dem Schlauchboot, der Schiffsführer läßt die Menschen steuerlos an Bord zurück. Statt Benzin ist Wasser im Tank.

„Die Kapitäne sind oft billig angeheuerte Blindfische, die sich auf dem Gewässer zwischen der Türkei und Griechenland nicht auskennen“, sagt der Versicherungs-Sachverständige aus Ritterhude bei Bremen. Für Uwe Schröder ist das nicht der erste Fall. Er wurde schon bei mehreren Vorfällen von Menschenschmuggel übers Mittelmeer mit zweckentfremdeten Charteryachten eingeschaltet. Sämtliche Nationalitäten seien vertreten, so die langjährige Erfahrung des Ermittlers. „Und Mitwisser findet man selbst in höchsten Behördenkreisen." Auch viele Menschen in den Häfen wüssten davon, aber schwiegen. Schröder: „Wenn ein Segelschiff auf vermeintlichem Urlaubstörn anlegt, lassen die Ladenbesitzer oft schon aus Angst vor Plünderung die Rolläden runter.“ Die Behörden haben nach Überzeugung von Schröder nur wenig Interesse an einer Verfolgung der Schleuser, „die Flüchtlinge wie Leibeigene behandeln“: So wollen sie bewirken, dass weiter EU-Mittel zur Bekämpfung des Menschenhandels fließen, vermutet der Ermittler.

Doch im Fall „Blue Marlin III" kommt alles ans Tageslicht. Ein Such-Flugzeug wird gechartert, eine Belohnung in Höhe von 10 000 Euro ausgelobt; Flugblätter werden verteilt, persönliche Kontakte genutzt. Mit Erfolg. Die Segelyacht taucht wieder auf, das Verfahren wegen Unterschlagung läuft, der türkische Charterer wurde mittlerweile verurteilt. Der Schaden am Schiff ist immens, lässt sich jedoch dank eines erheblichen Anteils Eigenarbeit auf 40 000 Euro reduzieren. Firmenich-Versicherungen empfehlen nun dringend, alle Charterschiffe mit GPS-Satellitensystem auszustatten, um sie schnell wiederzufinden, wenn das Boot entwendet werden sollte.

Die „Blue Marlin III“ ist indes nur eine von etwa 250 jedes Jahr in der Region wegen Menschenschmuggels aufgebrachten Yachten, Fischerbooten, Frachtern. Bis März 2003 wurden rund 3500 Flüchtlinge in griechischen und türkischen Gewässern entdeckt und in ihre Heimat zurückgebracht. Unzählige kenterten aber auch, und ertranken. Das Schicksal der 86 Menschen von der „Blue Marlin III“, die alles gaben, um vor Armut zu flüchten, bleibt unbekannt.

Annette Kögel

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