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Panorama: Vom Wahn besessen

Nach dem Tod der Kinder von Darry hat in Kiel der Prozess gegen die Mutter begonnen

Der Staatsanwalt spricht das Schlimmste eine Stunde später aus als geplant. Weil eine Schöffin es nicht rechtzeitig in den Schwurgerichtssaal geschafft hat, verzögert sich der Beginn des Prozesses um die fünf getöteten Kinder von Darry in Schleswig-Holstein. Es ist möglich, dass diese Stunde Verspätung Michael Kitzmuller in einigen Monaten auch als so etwas wie eine Gnadenfrist erscheint.

Während er wartet, legt Kitzmuller einen Foto-Schlüsselanhänger aus Plastik vor sich auf die Bank. Das Bild zeigt zwei seiner Söhne. Kitzmuller trägt den Anhänger immer bei sich, seitdem er erfahren hat, dass seine Frau Steffi die Jungs im Dezember 2007 zusammen mit ihren Brüdern in Darry erstickt haben soll. In dem Verfahren, das das Kieler Landgericht an diesem Freitag eröffnet hat, tritt der 35 Jahre alte Kitzmuller als Nebenkläger auf. Er ist der Vater von drei der fünf Opfer im Alter von drei bis neun Jahren. Die beiden Älteren stammen von einem anderen Mann, der lieber nicht bei Gericht dabei sein will. Es ist das erste Mal, dass Kitzmuller seine Frau sehen wird, seitdem sie ihn am 4. Dezember aus dem Haus bugsierte, dem wahrscheinlichen Todestag seiner Kinder.

Als es dann losgeht, tritt die 32 Jahre alte Steffi K. durch eine graue Holztür, direkt hinter die Anklagebank. Ihr Gesicht ist bleich, die dunkelblonden Haare hat sie immer noch auf Kinnlänge, genauso wie auf den Bildern, die Michael, sie und die Kinder als glückliche Familie zeigen. Als der Vorsitzende Richter sie nach ihren Personalien fragt, ist ihre Stimme kaum hörbar. Michael Kitzmuller senkt den Kopf, blickt starr über seine Brillengläser hinweg, sein Atem geht hörbar. Dann ballt er die rechte Faust, der Kopf wird rot, seine Anwältin legt ihm die Hand auf den Arm. Er presst die Lippen aufeinander. „Ich will sie sehen, ja, aber ich weiß nicht, wie ich das aushalte“, hatte er am Morgen gesagt. Das Schwierigste an dem Verfahren sei, „dieser Frau“ wiederzubegegnen.

Das Schlimmste kommt jedoch vom Staatsanwalt. Er liest die Anklageschrift vor. Danach soll Steffi K. ihren Kindern Schlafmittel gegeben haben, bevor sie Mülltüten über die Köpfe der Kleinen stülpte. Allerdings sei die Dosis bei drei der Kinder zu gering gewesen, um sie vollständig zu betäuben. In ihrem Todeskampf versuchten sie, „die Mülltüten von den Köpfen zu ziehen“, sagt der Staatsanwalt. Und: „Sie fügten ihrer Mutter Kratzwunden im Gesicht zu.“ Bei diesen Worten öffnet sich die geballte Faust Kitzmullers, er führt die Hand vor den Mund, als müsse er einen Schrei zurückhalten. Dann sinkt sein Kopf in einem Weinkrampf auf den Tisch, während der Staatsanwalt weiterspricht. Er beantragt keine Haftstrafe. Vielmehr solle Steffi K. dauerhaft in die Psychiatrie eingewiesen werden. Sie leide seit mindestens zwei Jahren an einer paranoiden Schizophrenie und sei daher schuldunfähig, sagt er.

Michael Kitzmuller kommt erst wieder zu sich, als er den Schlüsselanhänger greift und mit leichtem Druck das Bild seiner Söhne zu streicheln beginnt. Er tut dies auch noch, als der Vorsitzende einige Schreiben verliest, die die Angeklagte in der Psychiatrie über ihre Tat geschrieben hat. Darin beschreibt sie, wie ein Dämon namens „Nathalie“ die Kinder bedroht habe. „Nathalie“ habe etwa angekündigt, sie von Pädophilen quälen zu lassen. Weil die Jungs im Jenseits besser geschützt seien, habe Steffi K. versucht, sie „sanft auf die andere Seite zu befördern“.

Die Briefe bestätigen auch, dass Michael Kitzmuller schon im August 2007 diese Dämonenfantasien seiner Frau auf einem Tonband aufnahm und sie dem sozialpsychiatrischen Dienst des Landkreises Plön übergab. Seitdem habe sie Angst gehabt, dass die Behörden ihr die Kinder wegnehmen könnten, schreibt Steffi K.. Allerdings hörte die Leiterin des Fachdienstes sich die Aufnahme ebenso wenig an wie der Psychiater, der Steffi K. zu dieser Zeit behandelte. Beide werden im Laufe des Verfahrens als Zeugen aussagen. Ein Urteil wird frühestens im August erwartet.

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