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Panorama: Von Raab geadelt

Der „Graf“ siegt mit seiner Band Unheilig beim Bundesvision Song Contest in Berlin

Als er noch zur Schule ging, steckte ihm seine Mutter kleine Zettelchen in Hefte und Bücher. „Du schaffst das!“, stand darauf. Denn im Unterricht traute sich der Schüler selten etwas zu sagen, so schüchtern war er. Daran hat sich bis heute nichts geändert. „Wenn ich auf die Bühne gehe, dann ist das für mich jedes Mal ein kleiner Sieg gegen die Schüchternheit“, sagt er. Am Freitagabend durfte der Musiker, dem fälschlicherweise oft der Name Bernd Heinrich Graf angehängt wird, einen großen Sieg feiern: Mit seiner Band Unheilig hat der „Graf“, wie sich der schüchterne Junge heute mit Künstlernamen nennt, den Bundesvision Song Contest gewonnen – mit einem Lied, das er seiner Mutter gewidmet hat.

Gegen so viel Gefühlsduselei kamen die anderen Bands weder mit Feuerwerk noch mit knapp bekleideten Cheerleaderinnen an. 16 Gruppen aus 16 Bundesländern konkurrierten im Musikwettbewerb, der von Entertainer Stefan Raab veranstaltet und von seinem Haussender Pro Sieben live aus der Max-Schmeling-Halle in Berlin übertragen wurde.

2005 hatte Raab den Länderwettbewerb als Gegenentwurf zum inzwischen von ihm selbst entstaubten Eurovision Song Contest ins Leben gerufen. Er wollte beweisen, dass deutschsprachige Musik auch cool sein kann. Eine der wichtigsten Regeln des Wettbewerbs ist deshalb: 50 Prozent eines Lieds müssen deutsch sein. Am Ende aller 16 Auftritte stimmten die Zuschauer per SMS und Telefon über den Gewinner ab. Die Entscheidung, die erst kurz vor Mitternacht fiel, war knapp: Unheilig siegte für Nordrhein-Westfalen vor der für Sachsen-Anhalt angetretenen Band Silly mit Sängerin Anna Loos. Ich & Ich aus Berlin belegte den dritten Platz.

Im vergangenen Jahr hatte der Kreuzberger Reggae- und Hip-Hop-Musiker Peter Fox den Contest mit seiner Berlin-Hymne „Schwarz zu blau“ furios gewonnen und damit nach Berlin geholt. Dass er diesen Erfolg nicht noch einmal wiederholen konnte, scheint Ich-&- Ich-Sänger Adel Tawil enttäuscht zu haben. Während alle anderen Bands den Sieger noch einmal auf der Bühne feierten, verschwand Tawil schnell in der Garderobe, Interviews wollte er keine mehr geben. Dabei ist ein dritter Platz angesichts der starken Konkurrenz mehr als ordentlich. Zumal das zweite „Ich“, die unter Lampenfieber leidende Annette Humpe, wie so oft beim Live-Auftritt nicht dabei war. Tawil hatte sich dafür Mohammed Mounir an seine Seite geholt, auf Deutsch und Arabisch sangen sie „Yasemine“. Ein hübsches Multikulti-Stück, aber am Ende wohl zu wenig Mainstream, um es auf den ersten Platz zu schaffen.

Überwältigt war Schauspielerin Anna Loos vom zweiten Platz für ihre Band Silly. „Wir hätten nie gedacht, dass wir so weit kommen. Ich bin absolut gesmasht“, sagte Loos. Erst seit knapp vier Jahren ist sie bei der 1978 in Ost-Berlin gründeten Band. Erst im Frühjahr erschien „Alles Rot“, das erste Studioalbum mit komplett neuen Titeln seit dem Tod der Gründungssängerin Tamara Danz. Dass Silly bundesweit so viele Punkte bekam, zeigt, dass sie mit ihrem melodienseligen Rock in Deutschland angekommen ist – ein Geschenk zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung.

Überraschend weit vorn lag auch der für Brandenburg angetretene Künstler Das Gezeichnete Ich, der mit seinem kuschelrockigen „Du, Es und Ich“ den vierten Platz belegte. Wie viele der angetretenen Bands war er bisher kaum bekannt. Und genau eine solche Mischung macht Raabs Wettbewerb, den 2,38 Millionen Zuschauer live bei Pro Sieben sahen, so populär: Veteranen wie Selig treffen auf Jungspunde wie Stanfour. Chartsstürmer wie Ich & Ich konkurrieren mit nischenhaften Bands wie Blockflöte des Todes. Soulinterpreten wie Oceana & Leon Taylor treten gegen Softrocker wie die Mikroboys an – und zusammen beweisen sie komprimiert in knapp zwei Stunden, wie leistungsfähig und vielfältig deutschsprachige Musik sein kann. Am Ende allerdings setzt sich dann doch der Mainstream durch.

Denn Unheilig hat schon vor dem Wettbewerb Popgeschichte geschrieben. Insgesamt 15 Wochen hielt sich ihr Album „Grosse Freiheit“ an der Spitze der deutschen Albumcharts und stieß damit Herbert Grönemeyer vom Thron, dessen Platte „Ö“ 1988 14 Wochen auf Rang eins rangiert hatte – und das obwohl Unheilig seine Wurzeln in der wenig massenkompatiblen Gothic-Szene hat. Der „Graf“, der aus Aachen kommt und weder Name noch Alter nennen will, trat früher mit schwarzer Kutte, schwarz lackierten Fingernägeln und weißen Kontaktlinsen auf. Inzwischen ist vom Fledermausimage nicht mehr viel übrig: der „Graf“ trägt Glatze, schwarzen Anzug, ausgefallen ist nur der Dreiecksbart unter beiden Mundwinkeln, die Musik nicht düster, sondern eingängiger Pop. Und als er dann die gläserne Trophäe in den Händen hält, sagt er ganz selig: „Das ist der absolute Hammer. Ich mache mein Leben lang Musik und abgesehen vom Applaus der Zuschauer, ist das der erste Preis, den ich bekomme.“ Seine Strategie: keine spektakuläre Show, sondern ein ganz auf ihn reduzierter Auftritt mit seinem Lied „Unter deiner Flagge“, das mit ganz großem Gefühl endet, als er am Ende haucht: „Ohne dich wär’ ich nicht, ich liebe dich.“ Es flossen Tränen, als er das Lied zum ersten Mal seiner Mutter vorspielte – auch bei ihm, erinnert er sich. „Meine Mutter hat mich immer unterstützt und immer an mich geglaubt. Dafür will ihr danken und sie stolz machen“, sagte er. Das dürfte er geschafft haben.

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