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Sicherheitshalber abgesperrt. Das leicht beschädigte Washington Monument Foto: AFP

© AFP

Panorama: Washington zittert

Manche befürchteten einen Anschlag. Doch auch an der ruhigen US-Ostküste können Erdbeben auftreten

Am Tag danach bestimmt aufgeregte Erleichterung die Stimmung. Viele Millionen Menschen an Amerikas Ostküste haben etwas Außergewöhnliches erlebt – ein mittelschweres Erdbeben der Stärke 5,8 ist in dieser Gegend selten –, aber niemand wurde getötet oder ernsthaft verletzt, und auch die materiellen Schäden sind überschaubar. In der Hauptstadt Washington hatte der Boden um 13.51 Uhr Ortszeit am Dienstag plötzlich zu zittern begonnen; Gläser klirrten in den Schränken, vereinzelt fielen Gegenstände aus Regalen und von Tischen oder Kommoden. Viele berichten von einem Gefühl, als lande ein Hubschrauber vor der Haustür oder rolle schweres Baugerät vorbei. Das Beben dauerte etwa 30 Sekunden. Im Stadtzentrum, wo mehrstöckige Regierungs- und Bürogebäude stehen und U-Bahnlinien unterirdisch verlaufen, glaubten manche an einen Terroranschlag oder ein schweres Unglück, etwa durch eine Explosion in einem der Tunnel. Vielen hier ist bewusst, dass der zehnte Jahrestag des Terrorangriffs von 9/11 naht.

Automatisch auslösende Alarmklingeln trieben die Menschen auf die Straße. Die ersten Schlagzeilen klangen dramatisch: Weißes Haus und Pentagon geräumt! Der Schock wandelte sich dann bald in zufriedene Erleichterung. Die Notfallmaßnahmen griffen. Die Gebäude wurden zügig geräumt, in den Kraftwerken funktionierte die automatische Notabschaltung. Nach zehn bis 20 Minuten Wartezeit auf der Straße wurde zumeist Entwarnung gegeben, und die Menschen kehrten an ihre Arbeitsplätze zurück.

Der abendliche Heimweg dauerte für viele länger als gewohnt. Die U-Bahnen fuhren mit stark reduzierter Geschwindigkeit. Noch hatte niemand das Gleisnetz ablaufen können, um nach Schienenbrüchen oder Schäden in den Tunnelwänden zu schauen. Einige Sehenswürdigkeiten bleiben vorerst gesperrt, darunter die National Cathedral, von deren Ziertürmchen sich mehrere Steine gelöst hatten und in die Tiefe gestürzt waren, sowie das Washington Monument; an der Spitze des Obelisken wurden kleine Risse entdeckt.

Erwartet hatte es wohl niemand, dass am 23. August 2011 unmittelbar nach der Mittagspause an der amerikanischen Ostküste die Erde rumpelt. Mit solchen Erdbeben rechnet man in Kalifornien, Japan, Indonesien oder Neuseeland, die Ostküstenstaaten der USA dagegen gelten in dieser Hinsicht als ruhig und unauffällig. Allerdings zittert auch hier ab und zu der Untergrund: „Erst 2003 gab es dort zwei Beben“, berichtet der Erdbebenforscher Frederik Tilmann vom Helmholtz-Zentrum Potsdam, dem Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ. Nur lag die Magnitude damals bei 4,5 und 3,9, jetzt aber rumpelte die Erde mit 5,8 weit mehr als zehn mal stärker. Solche Beben aber sind eben viel seltener als in bekannten Risikozonen

Dort bewegen sich Erdplatten in unterschiedliche Richtungen, manchmal bleiben sie aneinander hängen. Auch wenn sich eine Platte mit nur wenigen Zentimetern im Jahr sehr langsam bewegt, verformt sie sich dabei und im Laufe von Jahrzehnten bauen sich an solchen verhakten Stellen enorme Spannungen auf. Irgendwann lösen sich die Platten voneinander, schnellen in Sekunden um einige Meter weiter und holen die versäumte Bewegung schlagartig nach. So entladen sich die Spannungen in den Risikozonen der Erde in gewaltigen Erdbeben.

Verhaken sich an den Plattengrenzen Teile der Erdkruste ineinander, verformt sich nicht nur die unmittelbare Umgebung, sondern werden auch Tausende von Kilometern entfernte Regionen beeinflusst. Auch an der amerikanischen Ostküste, die erheblich weiter als tausend Kilometer von der nächsten Plattengrenze entfernt ist, können sich so Spannungen aufbauen. Das passiert aber viel langsamer als in Japan oder Kalifornien, Erdbeben treten somit seltener auf und fallen meist auch deutlich schwächer aus.

„Es gibt auch noch andere Prozesse, die Erdbeben in solchen meist ruhigen Regionen auslösen“, erklärt Tilman. So tragen die Niederschläge in den nahen Appalachen immer wieder Erde ab und lagern sie in der Ebene. Im Laufe der Jahrtausende werden die Berge so ein wenig leichter, in den Ablagerungszonen nimmt das Gesamtgewicht langsam zu. Auch dadurch verformt sich langsam der Untergrund und das Erdbeben-Risiko steigt.

Und dann gibt es auch noch sogenannte „Nahtstellen“, an denen vor weit mehr als hundert Millionen Jahren Erdplatten miteinander kollidierten. Dort ist zwar längst Ruhe eingekehrt, aber Reste der Verformungen aus dieser Zeit gibt es noch. Auch sie können heute noch Erdbeben auslösen. Vor der US-Ostküste liegt die eine Seite der Naht dessen, was heute Nordamerika und was heute Europa ist. Ob diese uralte Verformung aber heute noch eine Rolle spielt, ist ungewiss.

Bis heute können Wissenschaftler Erdbeben nicht vorhersagen, sondern nur Wahrscheinlichkeiten berechnen. Je häufiger die Erde rumpelt, desto besser klappen Schätzungen. So sind Gebiete mit wenig Beben wie die US-Ostküste schwer einschätzbar. Aber auch weniger gefährdet.

R. Knauer[Berlin], C. von Marschall[Washington]

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