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Panorama: Wenn Frauen Männer schlagen

"Die Männer sind alle Verbrecher, und ihr Herz ist ein finsteres Loch", das weiß der deutsche Schlager schon lange. Frauenhäuser, die denen Zuflucht bieten, die das Opfer männlicher Gewalt wurden, gibt es inzwischen selbst in kleineren Städten.

"Die Männer sind alle Verbrecher, und ihr Herz ist ein finsteres Loch", das weiß der deutsche Schlager schon lange. Frauenhäuser, die denen Zuflucht bieten, die das Opfer männlicher Gewalt wurden, gibt es inzwischen selbst in kleineren Städten. Sie werden gebraucht: Denn immer wieder verlassen Frauen Männer, die sie und die gemeinsamen Kinder in der gemeinsamen Wohnung prügelten und bedrohten. Der "Aktionsplan der Bundesregierung zur Gewalt gegen Frauen", der das Ziel hat, "Täter häuslicher Gewalt zu verfolgen", und das seit Beginn dieses Jahres geltende - geschlechtsneutral formulierte - neue Gewaltschutzgesetz, das es der Polizei erlaubt, gewalttätige Partner aus der gemeinsamen Wohnung zu entfernen, tragen dem Rechnung.

Muss das alles durch einen Aktionsplan zur Gewalt gegen Männer ergänzt werden? Hat das "starke Geschlecht" zunehmend unter körperlichen Angriffen der Vertreterinnen eines Geschlechts zu leiden, das nur weltfremden Dichtern noch als "hold" und "sanft" erscheinen mag? Für Aufsehen sorgten jetzt Berichte über eine vom Ministerium ausgeschriebene Pilotstudie zum Thema Häusliche Gewalt gegen Männer. Das Thema ist nicht neu: Man erinnere sich an die Amerikanerin Lorena Bobbitt, die 1994 den Penis ihres Mannes verstümmelte, oder an Verrückte wie die Warhol-Attentäterin Valerie Solanas von der "Society for Cutting up Men".

Wahl der Waffen

Auch die Wissenschaft ist schon länger auf der Spur der Gewalt gegen Männer: Erste Studien aus den USA stammen aus den 70er Jahren. Inzwischen gibt es international über 100 Studien aus den USA, Kanada, Dänemark, Irland und anderen Ländern, und ihre Auswertung durch den britischen Psychologen John Archer im Jahr 2000 ergab, dass Männer gleich oft Opfer häuslicher Gewalt werden wie Frauen. Als bisher wichtigster deutscher Beitrag gilt die Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen von 1992, damals noch unter der Leitung des streitbaren Christian Pfeiffer, die ebenfalls zu diesem Schluss kommt. 1993 hat Claudia Heyne in ihrem Buch "Täterinnen - offene und versteckte Aggressivität von Frauen" insbesondere auf Phänomene wie die Delegation von Gewalt an Dritte, die im Auftrag handeln, und auf seelische Grausamkeit von Frauen hingewiesen.

Nach Ansicht des Mainzer Kriminologen Michael Bock, der dazu in einem Gutachten für den Rechtsausschuss des Bundestages Stellung nahm, wird das Thema trotzdem bisher von der deutschen Politik "komplett ignoriert". Auch die geplante Pilotstudie der Bundesregierung sieht er kritisch: "Wieder wird nicht nach den Interaktionen in der Partnerschaft gefragt."

Der Soziologe und Jurist sieht zudem jetzt eine neue Entwicklung in der kritiklosen Ästhetisierung von Frauengewalt in Film und Fernsehen. Die böse Gewalt gelte als Männersache, doch "Gewalt, die von Frauen ausgeht, wird inzwischen kulturell honoriert", so der Wissenschaftler gegenüber dem Tagesspiegel. Gerade ihre Stärke macht Frauengestalten in der Nachfolge des Film-Duos "Thelma und Louise" zu Identifikationsfiguren. Als jüngstes Beispiel könnte man Tom Tykwers Berlinale-Beitrag "Heaven" anführen: Weil Recht und Gesetz sie enttäuscht haben, will eine junge Frau Selbstjustiz an einem gewissenlosen Drogendealer üben - und tötet dabei versehentlich vier unschuldige Menschen.

Ob die zum Teil bewusst unrealistischen Filmgeschichten unseren Alltag wirklich beeinflussen, ist allerdings fraglich. Denn nach übereinstimmender Erkenntnis der Experten ist der bevorzugte Rahmen für weibliche Gewalt nach wie vor der "soziale Nahraum", also das Haus. Gewaltanwendung in der Öffentlichkeit bleibt weiter eine Männerdomäne: Hier sind sie als Täter und Opfer noch weitgehend unter sich.

Anders zu Hause: Der Bremer Soziologe Gerhard Amendt befragt in seiner noch laufenden "Väterstudie" unterhaltspflichtige Väter zum Gewaltproblem in der gescheiterten Beziehung.

Der Sozialwissenschaftler mit dem Arbeitsschwerpunkt "Gewaltsame und gewaltfreie Beziehungen zwischen den Geschlechtern und den Generationen" verwendet in seinem Fragebogen bewusst nicht das Reizwort "Gewalt", sondern fragt etwas sozialverträglicher nach "Handgreiflichkeiten". Ein Drittel der 2600 befragten getrennt lebenden Männer berichtete denn auch, so das Zwischenergebnis, es sei in der Scheidungsphase zu solchen tätlichen Angriffen gekommen. Nach Einschätzung der Männer gingen sie zu 58 Prozent von den Frauen aus. Für jeden vierten Fall fühlen sie sich selbst verantwortlich, während in 14 Prozent der Fälle nicht klar auszumachen sei, wer "angefangen" habe.

Interessant sind die kleinen Unterschiede in der Wahl der Waffen zwischen den Geschlechtern: Während Männer sich mehr auf ihre Körperkraft verlassen, schüttet die Partnerin ihnen typischerweise eine Portion heißen Kaffee ins Gesicht oder nimmt sogar ein Messer in die Hand. "Aber es kommt auch vor, dass eine Frau ihren Mann die Treppe hinunterstößt oder ihn zusammen mit der Schwiegermutter verprügelt", so Amendt zum Tagesspiegel.

Verteilungskampf um Forschungsetats

"Körperkraft spielt bei dieser Art von Konflikten keine Rolle", ergänzt Bock. Bei Männerbüros werden inzwischen solche Fälle gesammelt. Die Berliner Männerberatung plant zudem ein Männerhaus, in dem Gewaltopfer Zuflucht finden können.

Amendt hält das jedoch nicht für den richtigen Weg: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Männer in Männerhäuser gehen." Von Frauenhäusern kenne man zudem das Problem des Drehtüreffekts: "Die Opfer gehen nach einiger Zeit zu den Schlägern zurück." Deshalb bringe es mehr, das Problem von der Beziehung her zu sehen, statt einseitig den Opferstatus zu betonen.

Auch die "Opferforschung" müsse sich von dieser geschlechtsspezifischen Sicht lösen. Tatsächlich kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass über Gewalt gegen Frauen mehrheitlich Wissenschaftlerinnen forschen, während es nun ihre männlichen Kollegen sind, die sich der tätlichen Angriffe gegen ihre Geschlechtsgenossen annehmen. Spielen sich auch hier Machtkämpfe ab, zumal es um nicht unbeträchtliche öffentliche Forschungsmittel geht?

Fest steht: Wenn es um die schwächsten Opfer geht, wird es sinnlos, "männliche" und "weibliche" Gewalt in der Familie gegeneinander aufzurechnen. Der Deutsche Kinderschutzbund lenkte kürzlich die Aufmerksamkeit darauf, dass Kindern Gewalt von Müttern wie Vätern drohe. Wirksame Vorbeugung muss spätestens an diesem Punkt wohl beide erfassen.

Adelheid Müller-Lissner

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