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Panorama: Wenn Frühstückseier zittern

In 20 Metern Höhe wird in Mexiko-Stadt eine Autobahn gebaut

Von Martin Jordan,

Mexiko-Stadt

Alle sehnen sie den 1. Juni herbei, den Tag der Eröffnung: Autofahrer, Bauarbeiter, Geschäftsleute und vor allem die Langstreckenläufer. Letzteren ist es vorbehalten, das gigantische Bauwerk mit einem 10-Kilometer-Lauf einzuweihen. Dabei werden die Jogger auf einem völlig ungewohnten Niveau um die Wette rennen, denn die Strecke, die es zurückzulegen gilt, befindet sich fast 20 Meter über dem Boden. Das doppelstöckige Autobahnteilstück „San Antonio“, das die beiden Stadtautobahnen „Viaducto“ und „Periferico“ miteinander verbindet, steht kurz vor der Vollendung.

Dort, wo die Autos bisher im Stau standen, soll der Verkehr in Zukunft besser fließen - statt durchschnittlich 15 Kilometer pro Stunde sollen künftig zur Hauptverkehrszeit 45 Kilometer pro Stunde möglich sein. Dafür hat die Regierung von Mexiko-Stadt umgerechnet rund 70 Millionen Euro investiert, pro Kilometer etwa zehn Millionen.

Am 1. Juni hat das Fußvolk zum ersten und einzigen Mal die Gelegenheit, das Megabauwerk zu begehen. Für die Anwohner wird dies der erste Ruhetag seit langem und der letzte für immer sein. Danach werden ihnen die Autos nur noch so um die Ohren brausen, vor allem den Bewohnern in den Stockwerken vier bis acht. Der Abstand vom Wohnzimmerfenster zur Fahrspur beträgt an einigen Stellen keine fünf Meter. Fährt morgens ein Lastwagen vorbei, zittert womöglich das Frühstücksei.

Sieben Monate haben rund 1500 Arbeiter rund um die Uhr betoniert, gebohrt und gehämmert. Sie machten dabei nicht nur viel Lärm sondern wirbelten auch gehörig Staub auf. Wichtige Straßen in der Umgebung wurden total gesperrt, wodurch den ansässigen Geschäftsleuten ein Großteil der Kundschaft verloren ging. Bis zu 80 Prozent Umsatzeinbuße habe sie während der Bauphase hinnehmen müssen, klagt die Chefin eines Möbelgeschäfts. Bei der Stadtregierung eine Entschädigung für den Verlust einzufordern sei „verlorene Zeit“, meint der Besitzer eines Motorradladens. „Wenn die Regierung hier etwas beschließt, dann ist es so. Da kann man nichts mehr gegen machen“, sagt Antonio Vargas. Einen Meter vor dem Eingang zu seinem kleinen Farbengeschäft steht nun ein zwei Meter dicker und zehn Meter hoher Stützpfeiler. Er ist Teil der Tragkonstruktion für die 220 Tonnen schweren Fertigelemente, die nun die Fahrbahn bilden und den Himmel über dem Farbengeschäft gänzlich verdecken. Vargas wird sich daran gewöhnen müssen, dass er die Sonne während der Ladenöffnungszeiten nicht mehr zu Gesicht bekommt.

Hausbesitzer, über deren Dächern eine Ausfahrt verläuft, wurden gemäß Zeitungsberichten mit weniger als 6000 Euro abgefunden. Die Einsprüche gegen den Bau der Autobahn wurden von den Behörden kaum beachtet, da Oberbürgermeister Andres Manuel Lopez Obrador den Bau in Rekordzeit durchpeitschte. Selbst das Stadtparlament hatte da nicht mehr viel zu husten. Lopez Obrador ist derzeit in einem absoluten Popularitätshoch, und er möchte noch höher hinaus. Der Bau des Teilstücks „San Antonio“ ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was noch kommen soll: Bis in etwa vier Jahren sollen auch die beiden chronisch verstopften Stadtautobahnen „Periferico“ und „Viaducto“ auf einer Länge von 34 Kilometern um eine zweite Etage aufgestockt werden.

Martin Jordan[Mexiko-Stadt]

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