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Balla balla. Stehblues und nostalgische Stimmung gehören zum Abiball dazu.

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Abiball: Im Abgang elegant

Die Prüfungen sind vorbei, der Rest des Lebens kann beginnen. Aber vorher steht noch der Abiball an. Einfach hemmungslos danebenbenehmen oder ein letztes Mal die Contenance wahren? Ein paar Regeln

Was sollte ich anziehen?

Erst mal ganz grundsätzlich: Der Abiball setzt den Schlusspunkt hinter dem Lebensabschnitt Schule. Ein Lebensabschnitt, und ein Ort, an dem du Federn gelassen, geschwitzt, gelitten, gehadert hast, an dem du gedemütigt wurdest und andere gedemütigt hast, kurz: an dem du sämtliche Dramen des Lebens in den vergangenen acht Jahren durchgespielt hast. Ein angemessen feierliches Outfit wäre also durchaus gerechtfertigt. Es wird in jedem Jahrgang immer mindestens einen geben, der selbstverliebt in sein krampfhaft linkes Anarchistentum schon Wochen vorher herumposaunt, er sei doch nicht so wahnsinnig, in einem Anzug zu erscheinen. Selbstverständlich wird er in Jeans, Kapuzenpulli und schweren Stiefeln auflaufen und sich den ganzen Abend total unangepasst vorkommen. Als Kontrast dazu kann es großen Spaß machen, sich richtig aufzubrezeln. Allein schon, um sich 20 Jahre später die Fotos ansehen zu können und sich zu fragen, warum man sich im damals getragenen Abendkleid oder Anzug fast so scheußlich findet wie im Konfirmationsoutfit.

Wie viel Alkohol ist erlaubt?

Es ist verständlich, dass man es ausnutzen möchte, endlich nicht mehr Wodka in 1,5-Liter-PET-Wasserflaschen umfüllen zu müssen, um Hochprozentiges unter den Augen von Lehrpersonal konsumieren zu können. Allerdings macht es einen Unterschied, ob man sich auf dem Weg nach Prag auf die vergilbten Polster eines Reisebusses übergibt oder auf das neu gekaufte Haifischkragenhemd oder Seidenkleid. Beim Abiball geht es um einen geschmeidigen Abgang, einen würdigen Abschluss. Ob der noch gegeben ist, wenn man kurz nach elf trockenen Weißburgunder unter einer leinengedeckten Tafel erbricht, ist zumindest fraglich.

Darf ich Lehrer plötzlich duzen?

Will ich wirklich durch das Du eine vertraute Nähe schaffen zu der Person, die mir damals die Vier in Chemie verweigert hat? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass fiese Beiträge in der Abizeitung die noch fieseren Lehrkörper veranlasst haben, beleidigt zu Hause zu bleiben. Jene Lehrer hingegen, mit denen man ein ausgezeichnetes Verhältnis hatte, wird es nicht weiter stören, wenn angetrunkene Schüler irgendwann zum Du übergehen. Nicht wenige Lehrer, denen die Vergänglichkeit mit jedem Abschlussjahrgang schmerzvoll vor Augen geführt wird, neigen ohnehin zu nostalgischer Abschiedsstimmung. Und so ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass einer um drei Uhr früh „ich bin der Burkhard“ lallend mit Obstler Brüderschaft trinken will. Wenn man Burkhard im späteren Leben wieder begegnet, wird sich der gnädige Schleier des Vergessens oder Verdrängens über den Abend gelegt haben.

Muss man zum Abschied auch denen alles Gute wünschen, die man eigentlich nie leiden konnte?

Die Möglichkeit, unliebsamen Mitschülern durch anonyme Boshaftigkeiten in der Abizeitung einen mitzugeben, wurde sicherlich ausführlich genutzt. Insofern könnte man sich am letzten gemeinsamen Abend einfach mal zusammenreißen – und den Sonderling mit dem fettigen Pferdeschwanz und die Geigenstreberin, die im Trachtenlook erscheint und aussieht wie ein Transvestit aus dem Voralpenland, einfach mal so sein lassen und mit ein paar netten Worten bedenken. Die Abschiedsmelancholie wird ihr Übriges tun. Vielleicht gehörst du zu jenen, die weichgespült von Nostalgie und Wehmut plötzlich auch mit Mitschülern Schnapsrunden leeren, hinter deren Rücken du kürzlich noch rumerzählt hast, sie würden immer nach Schweiß und nassem Hund riechen. Und vielleicht wirst du die Welt nicht mehr verstehen, wenn der Voralpentransvestit als Zwischeneinlage ein langatmiges Violinkonzert von Beethoven zum Besten gibt – und dir die Tränen in die Augen steigen.

Die Eltern platzen wegen des bestandenen Abis vor Stolz und bestehen auf einer tänzerischen Ehrenrunde. Darf man ihnen die verwehren?

Die Eltern nicht enttäuschen zu wollen, reicht als alleiniges Argument für einen Schwof nicht aus. Ihr solltet eine passable Figur abgeben und euch nicht zum Deppen machen. Nichts ist schlimmer als unbeholfene Eltern-Kind-Paare, die auf glitschigem Multifunktionshallen-Parkett versuchen, einen Cha-Cha-Cha zu imitieren. Außer vielleicht Paare, die förmlich danach gieren, endlich die Ergebnisse ihres Kurses „Standardtanz für Fortgeschrittene“ der gelangweilten Öffentlichkeit zu präsentieren. Als Mädchen hat man es generell leichter, denn Väter, die mit ihren Töchtern tanzen wollen, kennen ihr Geschäft und werden beim Walzer derart bestimmt führen, als ginge es um militärischen Drill. Manchmal sollte man auch im eigenen Interesse den Tanz mit den Eltern nicht verweigern: Etwa, wenn die Gefahr besteht, dass der tanzwütige Vater nicht davor zurückschrecken wird, die gut erhaltenen Mütter von Mitschülern oder die Stufenschönheit ersatzmäßig aufzufordern.

Was, wenn die Stimmung kippt?

Auf dem Abiball kann sich eine sonderliche, eventuell ungesunde Melange aus Melancholie, Alles-egal-Haltung und Genervtheit entwickeln, die in Tränen oder Brechorgien kulminiert. Es gibt in jeder Klasse mindestens einen, der Gefahr läuft, von Emotionen überwältigt auszuticken – ähnlich einem Kleinkind, das sich am Ende der eigenen Geburtstagsfeier mit hochrotem Kopf heulend auf dem Boden wälzt, weil es nicht beim Topfschlagen gewonnen hat.

Anlässe gibt es reichlich: Alkoholgeschwängerte Angstzustände angesichts der eigenen Planlosigkeit; Unzufriedenheit über die Abizeitung, die keiner so richtig gelungen findet; der Frust derer, die sich ärgern, dass ihr Vorschlag („Abinson Crusoe – zwölf Jahre Warten auf Freitag“) nicht zum Abimotto gewählt wurde, sondern „Abisinth – 100% bestanden“ unterlag; der Frust der „Abisinth“-Befürworter, die übersehen haben, dass eben jenes Motto schon im vorletzten Jahrgang Verwendung gefunden hatte. Versuch einfach, inmitten der Emotionen in dir selbst zu ruhen: Es ist vorbei. Genieß den Abend. Selbst wenn die Band zum dritten Mal eine Coverversion von Abbas „The winner takes it all“ anstimmt. Irgendjemand wird sich schon finden, mit dem du einen Stehblues wanken und ihm ins Ohr brüllen kannst, wie schön das doch eigentlich alles war.

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