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Panorama: Die Woche der Entscheidung

Ab heute gibt es Ethikuntericht. Erst jetzt wird sich zeigen, wie viele der 24 000 Siebtklässler bereit sind, Religion zusätzlich zu wählen

Eine spannende, wenn nicht gar dramatische Woche liegt vor der evangelischen und katholischen Kirche. An ihrem Ende werden sie wissen, wie viele der rund 24 000 Siebtklässler trotz des verpflichtenden neuen Ethikfaches noch bereit sein werden, den christlichen Religionsunterricht zusätzlich zu besuchen. Denn jetzt erhalten die Schüler ihre Stundenpläne, die ihnen zeigen, ob sie – dem Religionsunterricht zuliebe – bis zur sechsten, siebten oder achten Unterrichtsstunde ausharren müssen. Und erst dann werden viele von ihnen wirklich entscheiden wollen, ob sie das freiwillige Fach besuchen werden.

Die Chancen für den Religionsunterricht stehen nicht eben gut. Die meisten Oberschulen erklären auf Anfrage, dass sie nicht umhin können, den Religionsunterricht auf den Nachmittag zu legen, denn an Gymnasien, Gesamtschulen und Realschulen liegt das Stundensoll der Siebtklässler bei 33 Unterrichtsstunden. Zusammen mit Religion wären es 35. Damit sind 13-Jährige beinahe so lange in der Schule wie Berufstätige am Arbeitsplatz.

Die Kirchen sind von der Konkurrenz durch das Fach Ethik besonders stark betroffen. Denn sie erreichten bisher rund 45 000 Kinder ab Klasse 7. Die Islamische Föderation hingegen hat gar nichts zu befürchten, weil sie nur an der Grundschule, also in Klasse 1 bis 6 unterrichtet. Und auch für den Humanistischen Verband ist die Sache nicht ganz so dramatisch, weil er im Vergleich zu den Kirchen einen kleineren Anteil seiner Lebenskundeschüler – nur 3700 von knapp 41 000 – in den Oberschulen hat. Die Kirchen trifft es also am härtesten: Zunächst nur in Klasse 7, dann auch in Klasse 8, 9 und 10. Genau diese Situation haben Kirchen und CDU zu vermeiden versucht. Es gab Postkarten- und Plakataktionen, laute Proteste, die Androhung von Gerichtsverfahren – aber alles hat nicht gereicht, um SPD und PDS umzustimmen.

Im Grunde ist der Kampf um die Stärkung des Religionsunterrichts aber noch viel älter als nur die Diskussion um das nicht abwählbare Pflichtfach Ethik. Schon bald nach der Wende hatte der damalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) zusammen mit den Kirchen das Ziel verfolgt, christliche Religion zu einem regulären Pflichtfach aufzuwerten. Nichtchristliche Schüler sollten – so wie in fast allen anderen Bundesländern – die Möglichtkeit haben, Religion zugunsten eines Ethikfaches abzuwählen.

Aber schon 1992 erteilte der damalige kleine Koalitionspartner SPD diesem Plan eine Abfuhr. Als Kompromiss setzte die CDU dann durch, dass ein Modellversuch Ethik/Philosophie gestartet wurde. Seither gibt es einige Schulen, in denen Schüler entweder Ethik/Philosophie oder Religion wählen müssen. In allen anderen Schulen blieb es dabei, dass die Schüler entweder gar nichts belegen oder freiwillig am Religions- oder Lebenskundeunterricht teilnehmen. Die Personalkosten dieses Unterrichts werden vom Land bezahlt, auch wenn der Senat nicht das Recht hat, bei den Rahmenlehrplänen mitzubestimmen.

Dass dieser Status quo ins Wanken kam, bedurfte etlicher einschneidender Ereignisse. Die Diskussion der letzten Jahre schwoll an und ab, die Wogen schlugen schließlich so hoch, dass der rot-rote Senat vor einem Jahr die Entscheidung für das Pflichtfach Ethik fällte. Was letztlich den Ausschlag gab, dass der 14-jährige Streit entschieden wurde, ist kaum noch zu sagen. Sicher ist nur, dass das Erstarken der Islamischen Föderation und der Mord an Hatun Sürücü die Diskussion erheblich beschleunigt haben. Beides weckte den Wunsch, insbesondere den muslemischen Schülern ein Fach zu bieten, in dem sie systematisch an die abendländischen Werte und Normen herangeführt werden sollten.

Aber auch die immer wiederkehrenden Gewaltmeldungen aus Schulen verstärkten die Forderungen nach einem Fach, in dem man über den Umgang mit Konflikten, über Formen der Diskriminierung, über Identität und grundlegende Regeln der Kommunikation reden kann.

Wenn die Siebtklässler heute mit dem Unterricht beginnen, ist die Diskussion noch nicht zu Ende. Die Kirchen haben sich den Klageweg vorbehalten, der Landeselternausschuss ermuntert Eltern, die Freistellung vom Ethikunterricht zu beantragen – symbolisch. Dessen ungeachtet sind FU und HU dabei, einen Studiengang für Ethiklehrer zu entwickeln. Was die genaue Ausgestaltung anbelangt, warten die Professoren aber noch auf den Ausgang der Wahlen im Herbst.

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