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© David Heerde

Panorama: Entzug von der Scheinwelt

Party ohne Ende? Wie das lockere Feiern für Nina, 19, wegen der Drogen zur Qual wurde

Bumm-Bumm, bumm-bumm – und das Herz raste immer schneller. Von einem Moment auf den anderen ging es Nina nicht mehr gut. Sie hatte es gerade noch so nach Hause geschafft, lag im Bett und dachte: „Das war es jetzt.“

Wir sitzen in einem Schöneberger Café, und wenn sie über diese Zeit redet, lächelt sie stets und ihre Stimme wirkt monoton. Es ist so, als ob sie die Bilder einer Fremden skizziert – nur nicht ihre. „Mir kommt alles so weit weg vor“, erklärt sie sich. Nina ist sehr schmal, hat große braune Augen, einen breiten Mund, ein lebendiges Lächeln, und dennoch ist in ihrem Blick eine Traurigkeit erkennbar.

Vor ein paar Monaten, als sie im Bett lag und dachte, sie müsse sterben, fasste sie den Entschluss: „Ich höre auf!“ Eine im Club gekaufte Ecstasy hatte sie geschmissen. Wie sich erst später herausstellte, gab es für diese Pille eine besondere Warnung im Internet, von Kollaps bis Tod sei alles möglich gewesen. „Ich dachte an meine Mutter und Schwester und wusste, dass es so nicht weitergehen kann,“ erzählt die 19 Jährige.

Seit drei Monaten nimmt Nina keine Drogen mehr. Kein MDMA und Ecstasy, kein Speed, kein Kokain. Nina ist müde, feiermüde. „Ich habe keine Lust mehr auf das ritualisierte Clubben und die dazugehörigen Drogen.“ Doch der Kampf dagegen ist noch nicht vorbei.

Seitdem sie 16 ist, nahm sie Drogen, jedes Wochenende, am besten freitags und samstags. „Ich konnte nie genug kriegen, und erst wenn mein Körper streikte, ging ich nach Hause“, erzählt sie. „Am Anfang hatte das Feiern für mich eine ungeheure Faszination: Ich war 16 und wollte es so intensiv wie nur möglich erleben“, erinnert sie sich.

Ihr damaliger Freund, er war im selben Alter, ging mit ihr auf diese kräftezehrende Reise. „Am Anfang nahmen wir keine Drogen, da reichten die Stroboskope, der Sound der DJs, die dunklen Locations. Aber irgendwann braucht man einen neuen Reiz, eine neue Stufe, noch intensivere Momente.“ Und genau da kamen die Stoffe dazu. Stoffe, die wach machen und die künstlich Glück erzeugen. „Am Anfang war das aufregend, schnell wurde es richtig mies.“

Nina zog roboterartig von Party zu Party, tanzte immer, bis die ersten Sonnenstrahlen in die Clubs strömten, manchmal auch bis nachmittags. „Ich konnte die Erfahrungen gar nicht verarbeiten, das waren ungemein viele Bilder, die ich am nächsten Tag überhaupt nicht verstand.“ Gefeiert hat Nina in allen möglichen Clubs, meist auf Elektro- und Technopartys. „Ich war überall“, sagt sie nachdenklich, „Techno und Drogen gehören für viele zusammen – nicht für alle. Aber die Szene feiert und tanzt so intensiv, dass es nüchtern kaum geht. Ich habe viele kennengelernt, die erste Zweifel über Bord warfen und zogen und zogen.“

Am Ende sei es bei ihr so gewesen, dass sie mit ihrem Freund loszog und ständig auf der Suche nach Drogen war. „Ich bekam Angst vor mir.“ Wenn man aufhören kann, will man es nicht – und wenn man aufhören will, kann man es nicht. „Ich war einfach ein Junkie, und das tat mir weh. Ausprobieren, okay. Aber wenn man bemerkt, dass einen irgendein Pulver durch die Nacht treibt, dass man nur noch daran denkt, wie man an diesen Mist kommt und wenn man nur nach Hause fährt, weil es diesen Abend keine Drogen gibt, dann muss Schluss sein.“

Für Nina fängt jetzt erst die Reflexion ihrer nächtlichen Erlebnisse und Begegnungen an. „Ich bin mit Leuten nachts um die Häuser gezogen, die ich nicht kannte, mit denen ich unglaubliche Momente hatte und die ich aber nie wiedergesehen habe.“ Sie trinkt einen Schluck Milchkaffee, dreht sich eine Zigarette und blinzelt gegen die Sonne. Und dann schüttelt sie den Kopf: „Einfach nur krass! Ich weiß nicht, wie ich das alles machen konnte.“

Nina brach die Schule ab, hatte keinen Bock mehr und fing erst im vergangenen Jahr mit dem Fachabitur im Bereich Sozialpädagogik an. „Ich brauchte meine Zeit“, sagt sie emotionslos. Im Moment macht sie ihr Praktikum in einer WG für psychisch Kranke. „Da sind einige, die auf Drogentrips hängen geblieben sind, und das war für mich das Signal, damit aufzuhören.“

Feiern geht sie immer noch, nicht mehr so lang, nicht mehr so oft. „Das ist eine Umstellung“, erzählt sie lächelnd, „denn plötzlich ist nicht mehr klar, was ich am Wochenende mache.“ Um den Drogen zu entgehen, trinkt sie wenig, damit die Hemmschwelle nicht so niedrig ist. Aber das neue Ausgehen gefällt ihr: „Zum ersten Mal erlebe ich alles leibhaftig – und viel intensiver.“

Nina genießt ihre neue Klarheit, ihr neues Selbstbewusstsein, die Kraft, jetzt auch mal Nein sagen zu können. Und sie will ihr Leben auf die Reihe kriegen. „Ich habe einfach nur gefeiert und an nichts mehr gedacht. Ich will nicht meine Chancen verpassen und mich kaputt machen, sondern leben.“

Den Absprung hat sie geschafft, und der war hart. „Ich habe nicht erwartet, dass es einfach wird, aber ich muss zugeben: Ich kämpfe gegen die Abhängigkeit.“ Nina überlegt, eine Therapie zu machen. „Solange ich aber clean bleibe und es alleine schaffe, verzichte ich darauf.“ Doch der Weg ist alles andere als locker, denn es soll nicht nur eine kurze Pause werden, sondern ein dauerhafter Zustand der Nüchternheit.

Aber warum hat sie sich auf die Drogen eingelassen? „Ich hatte eine Sehnsucht nach dem Mehr“, erklärt sie kurz, denkt einen Moment nach und ergänzt: „Doch das Mehr habe ich beim Feiern nicht gefunden.“

Heute ist Freitag, und heute beginnt für Berlin ein ganz normales Ausgehwochenende. In den Clubs wird bis in den Mittag getanzt und viele werden suchen und vielleicht für einen Moment finden. Für Nina ist das Suchspiel beendet, sie geht nur noch aus, wenn Freunde auf einer Party sind – „und wenn es mir wirklich gut geht“.

Nina ist schnell erwachsen geworden: durch diese Zeit, durch die von Stroboskopen verzerrten Bilder der Nacht, durch die Begegnungen und durch die Erkenntnis, clean leben zu wollen. Aber gerne hätte sie auf diesen Teufelskreis der Sucht verzichtet.

Ric Graf

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