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Panorama: Große Sprachlosigkeit

Die Zahl der Einwandererkinder mit schlechten Deutschkenntnissen steigt. Die Förderung hält nicht mit

Berlin ist weit davon entfernt, die Sprachprobleme der Migrantenkinder in den Griff zu bekommen. Weder personell noch finanziell stimmen die Voraussetzungen. An eine Trendwende ist nicht zu denken: Obwohl im kommenden Schuljahr rund 5000 Migrantenkinder zusätzlich in die Schule kommen, werden die Lehrerstellen für die Deutschförderung nicht aufgestockt.

Bildungs-Staatssekterär Thomas Härtel (SPD) begründet diese Entscheidung damit, dass die Gesamtschülerzahl in Berlin sinkt. Deshalb brauche man die Stellen für „Deutsch als Zweitsprache“ (Daz) nicht zu erhöhen, sagte er gestern anlässlich einer gemeinsamen Daz-Fachtagung seiner Verwaltung und der Bildungsgewerkschaft GEW.

Was er nicht sagte: Lediglich die Zahl der deutschsprachigen Kinder sinkt, nicht jedoch die Zahl der Migrantenkinder. In der jüngsten Statistik-Publikation der Schulbehörde ist nachzulesen, dass „die Anzahl der Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache seit 1996/97 kontinuierlich um 24,8 Prozent angestiegen ist“.

Durch die vorgezogene Einschulung um ein halbes Jahr verschärfen sich die Probleme noch: Da der neue Jahrgang um 50 Prozent größer ist als der alte, kommen eben auch viel mehr Migrantenkinder in die Schule. Waren es bisher rund 10 000 pro Jahrgang, sind es dieses Jahr rund 15 000, von denen rund zwei Drittel sprachlich nicht auf der Höhe sind.

Entsprechend angespannt ist deshalb die Stimmung an den Grundschulen: Sie müssen nach den großen Ferien 1600 erste Klassen aufnehmen und erstmals damit zurecht kommen, dass die Kinder bereits mit fünfeinhalb Jahren eingeschult werden und teilweise nicht einmal einen Stift halten können. „Die Lehrer haben schon jetzt schlaflose Nächte“, mahnte denn auch eine Schulleiterin, die im schwierigen Kiez von Nord-Neukölln eine Grundschule führt.

Wenig zur Beruhigung beigetragen hat die Ankündigung von Bildungssenator Klaus Böger (SPD), wonach Klassen mit einer hohen Migrantenrate nur noch mit 20 Kindern eingerichtet werden müssen. Viele Lehrer verweisen darauf, dass ihnen die kleinen Gruppen kaum weiterhelfen angesichts der vielen Probleme, die auf sie zukommen. Sie verweisen darauf, dass sie zu wenig Räume haben, um derart kleine Klassen aufmachen zu können. Und sie erzählen, dass sie seit dem Ende der Lernmittelfreiheit nicht einmal mehr die 12 Euro bekommen, die sie früher pro „Daz-Kind“ für spezielles Lernmaterial ausgeben konnten.

Die Skepsis bezieht sich aber nicht nur auf die kleinen Schüler. Es hapert an allen Ecken und Enden. Eine Schulleiterin sagte, dass sie sich in der Fülle der Konzepte einfach nicht mehr auskennt und gar nicht weiß, wie den Kindern am besten Deutsch beigebracht werden könnte: Jeder Wissenschaftler vertrete eine andere Theorie. Hinzu kämen die großen sozialen Nöte: Viele Eltern schafften es nicht, ihre Kinder pünktlich zu wecken oder ihnen die Bundstifte zu spitzen.

Und die Probleme werden noch größer: In wenigen Jahren wird jeder zweite Berliner Grundschüler nichtdeutscher Herkunft sein.

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