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Panorama: Heilende Herde

Alpakas sehen aus wie nicht von dieser Welt. Kommen sie deshalb so gut mit Menschen aus, die ebenfalls der Welt entrückt sind? In einem Spandauer Pflegeheim jedenfalls kommen Vertreter dieser Tierart regelmäßig zur therapeutischen Arbeit – per Fahrstuhl.

Das Erstaunlichste an Alpakas ist wohl, dass es sie überhaupt gibt. Oder wie setzt sich im beinharten Evolutionskampf ein Tier durch, das vor allem süß ist? Rührt es seine Feinde? Schmust es die Konkurrenz an die Wand? Etwas Ähnliches muss es sein, und herausgekommen bei dieser Strategie ist ein kleines lamahaftes Wesen mit zotteligem Haarschopf auf schmalem Kopf mit großen dunklen Augen, mit einem langen biegbaren Hals und einem Fell so flauschig, dass eine streichelnde Hand darin versinkt, mit einem Kiefer, der oben keine Zähne hat, so dass er nicht zubeißen kann, mit tapsigen Schwielensohlenhufen unter plüschig befellten Beinen. Alpakas sehen aus wie ausgedacht, wie nicht von dieser Welt. Und vielleicht kommen sie deshalb so gut mit Dementen und psychisch Kranken aus, Menschen also, die der Welt ebenfalls etwas entrückt sind. Lucky, Aramis, Diego und Fuchur leben sogar bei ihnen.

Ein großes Areal am Waldrand, eingefasst mit Maschendrahtzaun, darin Bäume, eine Tränke, eine Sandkuhle und eine große Hütte. Das ist das Alpaka-Gehege im Pflegeheim Agpalesion Bethanien Radeland am Spandauer Stadtrand. Hier leben seit 2010 Lucky und Aramis, seit einigen Monaten gehören auch Diego und Fuchur mit zu dieser Herde mit heilender Wirkung. Darum nämlich geht es hier im Heim: um tiergestützte Therapie.

Gerade sind Lucky und Aramis unterwegs Richtung Haupthaus. Vorneweg zwei Therapeutinnen, an zwei Leinen die Tiere. Durch den Park geht es am Café vorbei, wo ihnen Menschen zuwinken, dann über ein paar Stufen ins Foyer. Pat-pat-pat, klingen die Schwielensohlen auf dem Linoleum. Die Menschen drehen sich um und schauen. Der Tiertross geht zum Fahrstuhl, und als der kommt, marschiert er hinein. Stehen zwei Alpakas im Aufzug ...

Im ersten Stock geht es rückwärts raus, einmal umdrehen und geradeaus zum Wohnbereich. Die Tiere tappen furchtlos durch diese Umgebung, in der sie noch fabelhafter wirken als ohnehin, recken die Hälse und drehen die Ohren. Lucky, der Neugierige, ist vorne, Aramis, Chef der Gruppe, hält sich zurück. Die Tiere besuchen eine alte Dame, die ein Schlaganfall vieler Fähigkeiten beraubt hat. „Dürfen wir reinkommen?“, fragt Therapeutin Linda in die halb geöffnete Tür. Die alte Dame liegt im Bett und schaut zur Decke. Dann aber fängt sie an zu murmeln, „kommt her!“, heißt das. Und schon schieben sich die Tiere ins Zimmer. Therapeutin Linda kniet sich neben das Bett und assistiert der alten Dame, die ihre Hand aufhält, damit sie die Tiere füttern kann. Die Therapeutin lässt ein paar Pellets in die kraftlose Hand rieseln, und Lucky schlabbert die sogleich dort weg. So geht es ein paar Mal, die Dame streichelt den Hals des Tiers, das ihre Decke auf weitere Pellets absucht. Dann ist Aramis dran, und Lucky guckt beleidigt.

Vielleicht sind es am Ende keine zehn Minuten, die der Besuch dauert. Aber dass er der alten Dame gutgetan hat, daran hat niemand Zweifel. Tiere können beim Menschen Blockaden lösen, positiv auf sie Einfluss nehmen. Dass Alpakas, die geduldig, stressresistent sind, einfach und vergleichsweise günstig zu halten, sich für therapeutische Arbeit besonders eignen, setzt sich allmählich durch. Auch Therapeutin Linda erinnert sich, dass sie, als sie von den Alpakaplänen ihres Arbeitgebers hörte, erst mal nachlesen musste, was so ein Alpaka überhaupt ist. Und dann hätten Lucky und Aramis von der ersten Sekunde an ihr Herz erobert, sagt sie.

Rund um Berlin sind inzwischen mehrere Alpakafarmen entstanden. Die Spandauer Tiere stammen von Züchter Funke aus der Uckermark. Der Nieplitzhof aus Teltow-Fläming hat gerade drei Tiere an ein Seniorenheim in Berlin-Lankwitz abgegeben. Die US-Amerikanerin Marty McGee Bennett, seit 1981 Trainerin von Alpakas, reist regelmäßig durch Deutschland und hält Vorträge. Auch das Pflegeheim gibt seine Erfahrungen in offenen „Alpaka-Sprechstunden“ weiter.

Zurück im Gehege schauen die vier Tiere gemeinsam nach, ob der Bewohner, der eben mit therapeutischer Begleitung ihren Stall sauber gemacht hat, vielleicht auch ein paar Pellets für sie hat. Hat er. Fast alle Bewohner haben irgendeinen Kontakt zu den Tieren. Manchen öffnen sie Horizonte. Machen sie stolz und selbstbewusst. Es sei erstaunlich zu beobachten, sagt Therapeutin Linda, wie Menschen, die alle Verantwortung für sich selbst längst abgegeben haben, Verantwortung für die Tiere übernehmen.

Nächste „Alpaka-Sprechstunde“ im Pflegeheim Agpalesion Bethanien Radeland: 18. September, 15 bis 17 Uhr, Radelandstraße 199, Spandau. Auf dem Tagesspiegel-Portal www.gesundheitsberater-berlin.de/pflegeheime können Heime mit Tiertherapie recherchiert werden. Auch der „Pflegeheimführer Berlin-Brandenburg 2013“ bietet dazu viele Informationen, erhältlich 12,80 Euro im Tagesspiegel-Shop unter Tel. 030/ 29021-520 oder www.tagesspiegel.de/shop

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