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Panorama: Im kurzen Frieden

Junge Juden und Araber machen zusammen Ferien, um sich kennen zu lernen. Da bricht zu Hause Krieg aus

Es sieht aus wie ein ganz normales Teenagertreffen. Und meistens ist es das auch. Nur, wenn im Fernsehen die Nachrichtenbilder aus Israel über den Bildschirm flimmern und ein Teil der Gruppe nicht hingucken kann, dann merkt man, dass das etwas Besonderes ist, hier.

Peacecamp 2006. Während in Israel und im Libanon die Raketen einschlagen, treffen sich in Österreich palästinensische, israelische und ungarische Jugendliche und sprechen über den Frieden. 33 Teenager zwischen 15 und 18 Jahren wohnen zehn Tage in einem Haus im niederösterreichischen Franzen. Zum vierten Mal findet das Ferienlager nun statt. Das Projekt ist eine Idee der Hadassah Austria, einer Hilfsorganisation, die in Israel Krankenhäuser unterstützt.

Peacecamp, das klingt eigentlich ganz nett, nach Ferienlager und Lagerfeuer und langen Nächten. Ein bisschen ist es das auch. Zwei Schlafsäle, einer für die Mädchen einer für die Jungen, tagsüber Programm und abends quatschen auf dem Steg.

Nur, dass auf dem Tagesplan neben Ausflügen und Tanzen noch „analytische Gruppensitzung“ steht. Denn das Camp ist auch ein psychologisches Projekt: unbewusste Feindbilder entdecken, Konflikte gemeinsam lösen lernen und Aggression verstehen.

Nur manchmal dringen die Nachrichten aus der Welt in die ihre hinein.

„Am zweiten Tag haben wir die Nachricht von der Bodenoperation im Libanon erfahren“, erzählt Rafi. Er ist Österreicher, 17, und hat das Projekt per Kamera und Blog im Internet dokumentiert. Erfahren hat er vom Beginn des Krieges über Mundpropaganda. Jemand hat es in der Zeitung gelesen und weitergesagt. Dabei war der Plan eigentlich, sich von den Nachrichten abzuschotten. Es sollte ein bisschen heile Welt sein. Deshalb auch Österreich, ein Land, das außerhalb des betroffenen Gebiets liegt, und das auch nicht geschichtlich vorbelastet ist, wie etwa Deutschland. Wegen der Abschottung ist auch der Fernseher meistens ausgeschaltet. Einmal haben sie um zehn Uhr abends alle gemeinsam eine Dokumentation geguckt, die im österreichischen Fernsehen über das Peacecamp gezeigt wurde. Davor kam eine Reportage aus Israel. Das sei ziemlich schlimm gewesen.

Natürlich gibt es auch Diskussionen. Um Politik geht es dabei selten. Der Krieg ist Thema genauso wie es der Frieden ist. Abstrakt. Und damit offen genug für Utopien. Grüppchen hätten sich nach Sympathie gebildet, sagt Michael. Der Nahostkonflikt hat im Peacecamp in Österreich keinen Platz.

Es sei ziemlich viel telefoniert worden während der Woche des Peacecamps, erzählt die Leiterin Susanne Shaked. Es seien nicht die Jugendlichen, sondern die Eltern, die anrufen. Vor allem die arabischen Mütter wollten wissen, wie es ihren Kindern geht. Viele von ihnen sind zum ersten Mal von zu Hause weg. Die Sorgen aus der Heimat verschweigen die meisten. Einmal habe sie eine SMS von arabischen Eltern bekommen, dass eine Rakete zwei Nachbarskinder getötet habe, erzählt Susanne Shaked. Sie habe die Nachricht für sich behalten.

Auf der Peacecampseite im Internet (peacecamp2006.blogger.de) stellen sich die Teilnehmer vor. Pass- und Urlaubsfotos, ein bisschen verschwommen und daneben ein kleiner Text mit den Hobbys: schwimmen, malen, Party machen, Schach spielen. Ein palästinensisches Mädchen will Schönheitschirurgin werden, und den Menschen helfen: „to look better and feel better“. Ein Israeli ist Veganer und Fan von Hemingway. Alle lieben es zu reisen, neue Leute kennen zu lernen und hoffen auf „Fun“ im Camp.

Wozu brauchen diese weltoffenen Jungen und Mädchen noch ein Peacecamp? Rafael meint, „wir sind sicher nicht repräsentativ“. Jeder habe fließend Englisch gesprochen (diejenigen, die nur das US-MTV empfangen, am besten!) und alle gingen auf gute Schulen. Konflikte, schreibt Rafael in seinem Online-Tagebuch, sind hier nicht zu finden. Auch keine religiösen. Die arabischen Palästinenser in der Gruppe sind Christen, es gibt Juden und dann auch noch viele, die nichts mit Religion anfangen können. „Natürlich ist das die Elite“, sagt Susanne Shaked, Leiterin des Peacecamps, die meisten würden aus weltoffenen Familien kommen. Aber es seien auch diejenigen, die einmal führend sein werden. Und die jetzt Verbindungen fürs Leben schaffen können.

Die Unterschiede liegen woanders. „Da hat ein Israeli erzählt, wie neben seiner Schule eine Bombe eingeschlagen ist. So, als wäre das ganz normal“, sagt Michael, 18, Österreicher, einen Tag nach Abschluss des Camps am Telefon. Und trotzdem seien die Israelis die, die am meisten gefeiert hätten. „Die haben im Bus sofort angefangen zu singen, während die Österreicher schlafend auf ihren Sitzen hingen“. Später hätten sie dann auch mitgemacht. Keine festen Fronten nur fließende Übergänge. Wie in den Gruppensitzungen am Nachmittag, in denen jeder das sagen soll, was ihm gerade durch den Kopf geht. Da fangen die Assoziationsketten bei „Haustür“ an und hören bei „Checkpoint“ auf.

Anders ist für die Besucher auch der Alltag: dass im Kaufhaus nicht die Taschen kontrolliert werden. Dass es so still ist. Eine Stille, über die der Nachbar wacht, der sich wegen Lärms nach zehn Uhr am Abend beschwert. Das habe von den Besuchern keiner verstanden, sagt Michael. Daran gehalten – Ehrensachen in jedem Jugendcamp – hat sich natürlich keiner.

Am Montag haben die Österreicher die anderen Peacecamper zum Flughafen gebracht. Die Hälfte von ihnen ist nach Jerusalem zurückgeflogen. Ihre Eltern werden sie vom Flughafen abholen. Ob sie dann weiter nach Hause fahren können, ist bei vielen noch nicht klar.

Was am Ende bleibt? Israelische Handynummern und ungarische Festnetzanschlüsse, E-Mail-Adressen und Weblinks, ein „see you“ per SMS. Und ein „Schalom“ auf der Mailbox.

Johanna Lühr

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