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Panorama: „Im Osten gibt’s echt klasse Jungs“

Kann man Wessi oder Ossi sein, wenn man um 1989 geboren ist? Vier Aufsätze über die Einheit

Ich bin Berliner.“ Das ist meine Antwort auf die Frage, wo ich herkomme. Sie wird mir häufig im Urlaub gestellt, von Leuten meines Alters, die ich dort kennen lerne. Meistens genügt ihnen meine Antwort nicht. „Und von wo da“, fragen sie. Niemand will hören, dass ich aus Hohenschönhausen komme, denn die Berliner Bezirke kennen sie nicht. Also seufze ich einmal tief, nicht, weil ich mich dafür schäme, sondern weil mich die Frage ärgert, und sage: „Aus dem Osten.“ Dann sind sie zufrieden. Ich bin 18 Jahre alt.

Ist das nicht merkwürdig? Meine Generation hat drei, vier Jahre mit der Teilung gelebt. Kaum einer von uns hat Erinnerungen an diese Zeit. Und trotzdem unterscheiden wir nach Ost und West. Dabei hätten wir doch einfach einen Neuanfang machen können.

Filmen wie „Kleinruppin forever“ oder „Good Bye Lenin“ wird immer wieder vorgeworfen, die Jugendlichen zu spalten. Doch viel schlimmer sind so genannte Comedians, die Witze über Ostdeutsche machen. Zwar sind manche lustig, doch wenn man sie immer wieder hören muss, das nervt. Und es wirkt, als ob die Westdeutschen die Ostdeutschen nicht haben wollen. Also bilden sich zwei Parteien, auch bei den Jugendlichen. Der eine legt Wert darauf, aus dem Westen zu kommen, und der andere ist stolz, Ossi zu sein.

Ein paar meiner Freunde sind zwar der Meinung, es gäbe keinen Ost-West-Konflikt in unserer Generation, doch wenn ich sie frage, ob sie Freunde im Westen haben, verneinen viele. Das sei ja zu weit weg, sagen sie dann. Dabei hat auch kaum einer Freunde aus dem Westen der Stadt. Dafür fahren sie dann aber nach Leipzig oder Frankfurt (Oder), um Bekannte zu besuchen. Und das liegt beides weiter von Hohenschönhausen weg als Spandau.

Doch sind wir wirklich so leicht zu beeinflussen? Nur weil Shows im Fernsehen uns mit der Teilung Deutschlands unterhalten wollen, werden wir doch nicht bekennende Ossis oder Wessis. Die Ursache liegt vielleicht in der Familie. Ich denke, in der Verwandtschaft von sehr vielen Jugendlichen gibt es zumindest einen Nörgler, der auf die Ost- oder Westdeutschen schimpft. So werden Vorurteile der alten Generation zu Vorurteilen der neuen Generation. Obwohl das bei mir nicht so war. Ich fand es eher interessant, als meine Familie von den alten Zeiten erzählte. Nicht nach dem Motto „Früher war alles besser“, sondern einfach, um Erinnerungen auszutauschen.

Habt ihr eigentlich schon mal jemanden mit einem Westdeutschland-T-Shirt herumlaufen sehen? Also ich nicht. Ich sehe immer nur Shirts, auf denen groß „DDR“ oder „FDJ“ steht.

Das ist leicht zu erklären. Nach dem Mauerfall waren es die Ossis, die die neue Währung und eine völlig neue Lebensweise annahmen. Sie verloren ihre Heimat. Natürlich will deswegen niemand die Mauer wieder, schon gar nicht die Jugend – doch die bekennen sich zu ihrer Herkunft, um ihre Identität nicht zu verlieren. Es ist ein Unterschied, ob einer Wurzeln in der BRD hat oder in der DDR.

Im Osten gab es „City“, im Westen „Queen“. Und mit der Zeitangabe Viertel Neun können nur die wenigsten zugereisten Wessis etwas anfangen. Die BRD hatte Marktwirtschaft und die DDR Planwirtschaft. Dadurch kam es zu zwei grundverschiedenen Gesellschaftsbildern, in denen unsere Eltern gelebt haben. Mit ihrer Erziehung haben sie uns das bewusst oder unbewusst vermittelt. So kam es, dass wir uns damit auseinander gesetzt haben und jeder seine Heimat entdeckt hat.

Deswegen ist der Ost-West-Konflikt unter den Jugendlichen nicht nur von den Vorurteilen der früheren Generationen geprägt, sondern ist auch ein bisschen ein Kampf um die eigene Identität. Vergleichen kann man das auch damit, dass jeder Franke darauf besteht, Franke und nicht Bayer zu sein, obwohl er aus diesem Bundesland kommt. Es ist einfach ein Ausdruck dafür, dass man stolz ist auf seine Heimat. Auch ich bin stolz darauf, Ossi zu sein. Und ich bin stolz, in einem vereinigten Deutschland zu leben.

Warum haben Sie nicht auch noch Ihren Kleiderschrank mitgebracht?“, fragte jemand meine Oma, als sie mich im dichten Gedränge am 3. Oktober 1990 im Kinderwagen durch das Brandenburger Tor schob. Ich konnte mich damals gegen diese Anmache noch nicht wehren, war erst vier Monate alt, geboren also zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung.

Wie sich meine Oma erinnert, erklang die Bemerkung im Berliner Akzent. Ob ihr Urheber allerdings West- oder Ost-Berliner war, ist bis heute nicht geklärt. So spekulieren meine Eltern und Großeltern darüber – halb im Spaß, halb im Ernst – noch bis heute, während mir die Sache ziemlich egal ist. Überhaupt erscheint mir diese ganze Ossi-Wessi-Debatte eher als Sache der Erwachsenen. Für uns ist die Einheit Berlins genauso selbstverständlich wie die neue Rechtschreibung. Wir kennen es eben nicht anders. Mein bester Freund Fred wurde noch in Hellersdorf geboren und ist dort auch aufgewachsen – zusammen mit vielen Ronnys, Falkos und Sylvios. Nun gehen wir gemeinsam in Friedenau zur Schule, wir haben ähnliche Ansichten. Was wir von Schule, Fußball oder Mädchen halten, hat doch nichts mit Ost und West zu tun. Jan Trampedach

Vor 17 Jahren wurde ich in Kreuzberg, also West-Berlin, geboren. Meine Mutter kommt aus Düsseldorf, mein Vater aus Modena in Norditalien. Als die Mauer fiel, war ich zwei, habe also eigentlich null Erinnerungen daran, wie es war, als Berlin zweigeteilt war. Ich fühle mich ziemlich vorurteilsfrei. Und doch! West und Ost, Ossis und Wessis: So richtig gemischt hat sich das noch lange nicht. Und wirklich gemerkt hab’ ich das erst, seit ich mit einem Ossi zusammen bin!

Ich hab gemerkt, dass meine Freunde alle ausschließlich Wessis sind, dass die Bezeichnung „Ossi“ für viele irgendwie eher negativ besetzt ist und wie wenig ich vom Osten Berlins, meiner geliebten Stadt, bis jetzt gesehen habe. Seit sechs Wochen fahre ich nun fast jeden zweiten Tag von Westend (ich wohne inzwischen in Charlottenburg) einmal durch die ganze Stadt bis Ostkreuz oder über Ostbahnhof nach Köpenick, wo mein Freund wohnt. Das dauert eine halbe bis Dreiviertelstunde, ist also wirklich nicht die Welt. Ich habe keine Angst, nachts allein nach Hause zu fahren, und ich bin noch keinem einzigen Neonazi begegnet. Man sieht, finde ich, an vielen Stellen, dass man sich im Osten befindet, aber ich hab’ echt schon viel Schönes gesehen.

Viel mehr als Prenzlauer Berg, Mitte, Friedrichshain – wohin man eben abends ausgeht – kennen die wenigsten Wessis, und dort dann auch nur die paar Straßen, wo bis in die Nacht was los ist. Hey, alle tun doch immer so tolerant und kulturell interessiert, da kann’s doch echt nicht sein, dass man nicht einmal Lust hat, bis auf die andere Seite der eigenen Stadt zu schauen! Im Osten gibt’s übrigens auch echt klasse Jungs. Johanna Hoch

Es war in der neunten Klasse. Ich, das West-Mädchen, lief mit meiner Soljanka in meiner neuen Ost-Schule zu dem Tisch, an dem einige Mitschülerinnen saßen. Sie unterhielten sich darüber, wie unfähig die Wessis seien, einfachste handwerkliche Schritte auszuführen.

„Das ist doch Schwachsinn! Das wäre doch, als würden wir glauben, Ossis würden sich genüsslich auf den Steuergeldern der Wessis ausruhen“, sagte ich.

„Wieso? Das stimmt doch nicht!“

„Eben.“

„Warum EBEN?“

„Naja, ist doch bekloppt, dass selbst jetzt immer noch so viele Wessis so einen Mist glauben.“

„Ja, aber manche Vorurteile stimmen halt wirklich. Das mit dem Handwerk. Meine Mutter arbeitet in einem Büro, und da wollten die Aufkleber auf die Lichtschalter kleben. Das ist doch total einfach. Alles Wessis da, bis auf meine Mutter. Die haben sich total bekloppt angestellt. Am Ende konnte man das Licht nicht mehr ausmachen. Meine Mutter hat das aber beim ersten Mal richtig gemacht.“

„Und das siehst du jetzt als ultimativen Beweis dafür, dass alle Wessis zu blöd dafür sind, Lichtschalter zu benutzen?“

„Na, die waren auf jeden Fall zu blöd!“

„Und bestimmt haben die dann einen Kurzschluss verursacht. Jetzt gehen die Telefone nicht mehr, weil sie in Wilmersdorf geboren sind.“

„Warum regst du dich so auf?“

„Ich bin aus dem Westen.“

„Waas, du bist Wessi? Das hätt’ ich jetzt nicht gedacht!“ Ariande Neumann

Max Anders

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