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christoph berendt

© Tso

Jugend in der Provinz: "Ich wollte noch nie hier weg"

Die meisten seiner Freunde haben nach dem Abitur die Gegend verlassen. Der 18-jährige Christoph aber will dableiben, in dem kleinen vorpommerschen Dorf im Uecker-Randow-Kreis nahe der polnischen Grenze. Christoph will Medizin studieren, denn als Arzt stehen die Chancen gut, dass er auch in der strukturschwachen Region Arbeit finden wird.

Morgens um halb fünf dringt das Piepen eines Weckers aus dem ersten Stock des roten Klinkerhauses. Es unterbricht kurz die Stille, die sich über Nacht über dem Wald und der Wiese ausgebreitet hat. Draußen ist es fast noch dunkel, nur am Horizont macht sich ein heller Streifen breit. Das Haus, in dem Christoph Behrendt wohnt, steht im Dorf Liepgarten in Vorpommern, nicht weit von der polnischen Grenze. Bis zur Kreisstadt Pasewalk, wo er Zivi im Krankenhaus ist, braucht er eine halbe Stunde mit dem Auto. Wenn er pünktlich um sechs Uhr da sein will, dann muss er jetzt aufstehen.

Seit einigen Wochen fährt der 18-Jährige morgens diesen Weg und passiert dabei Dörfer, vereinzelt stehende Häuser, noch mehr Wald, noch mehr Wiesen, viel grün und wenig Leben. Liepgarten liegt im Uecker-Randow-Kreis, einer schrumpfenden Region. Seit 1990 hat der Kreis rund 20 Prozent seiner Einwohner verloren. Besonders die jungen Leute haben der Gegend den Rücken gekehrt, wodurch auch die Zahl der Neugeborenen stark sank. Die Arbeitslosenquote liegt zurzeit bei 18,5 Prozent.

Die meisten Freunde von Christoph sind gleich nach dem Abi weggegangen. Christoph aber sagt: "Ich habe noch nie das Gefühl gehabt, hier raus zu wollen". Weil er hier bleiben will, hat er einen krisensicheren Job gewählt: Arzt. Der Zivildienst in der Chirurgie im Pasewalker Krankenhaus ist schon mal eine gute Vorbereitung dafür, sagte er.

Ärzte suchen händeringend nach Nachfolgern

"Ich habe mir diesen Beruf auch ausgesucht, weil ich später hier leben will", erklärt er ruhig und mit Nachdruck. Was er sagt, klingt überzeugt. Er hat es sich alles schon genau ausgemalt. Zehn Monate geht der Zivildienst, danach will er zum Medizinstudium nach Greifswald. Die Stadt ist nur eine Stunde von zuhause entfernt, es ist die nächstgelegene Universitätsstadt.

Gleich nach dem Studium will Christoph dann zurückkommen. Als Arzt hätte er gute Chancen. Viele Mediziner, die hier in Rente gehen, suchen händeringend nach Nachfolgern für ihre Praxen. Und im Krankenhaus in Pasewalk arbeiten bereits viele polnische Ärzte, weil es keine deutschen mehr gibt, die in diese Gegend wollen.

Es ist nicht so, dass Christoph die Großstadt nicht kennt. Er hat Verwandte in Leipzig und Berlin, die er oft besucht hat. Nach ein paar Tagen zieht es ihn dann aber zurück ins Dorf, erzählt er. "Weniger Stress und Hektik hier". Er sagt, er brauche nicht viel, um sich von der Ruhe abzulenken. Er geht mit seinem Hund Lenni im Wald spazieren, joggt ab und zu oder fährt zu Freunden, denn einige sind ja noch da.

"Party kann man auch hier auf dem Land machen", sagt er und lächelt. In der nahe gelegenen Kleinstadt Ueckermünde gibt es einen Strand, einige Bars und ein Kino. Dorthin fährt allerdings kein Bus. "Ohne Auto ist das Leben hier echt 'ne Qual", erzählt Christoph. Er leiht sich das Fahrzeug von seiner Oma.

Nach Feierabend sitzt der 18-Jährige oft in seinem Zimmer am Rechner und chattet. Mit Schulfreunden, die jetzt weit entfernt wohnen - in Berlin, Stralsund oder Wismar, zum Studieren oder zur Ausbildung. Auch Christophs Freundin Melanie ist weggegangen, in das 70 Kilometer entfernte Neubrandenburg, wo sie eine Ausbildung macht. Sie kommt jetzt nur noch am Wochenende.

Christoph ist trotzdem zuversichtlich, dass die Gegend nicht ausstirbt. "Hier ziehen auch wieder Leute her. Alte Leute, die ihren Lebensabend hier verbringen wollen, weil die Gegen so schön ist", sagt Christoph, überlegt kurz und fügt dann noch schnell an: "Und hoffentlich irgendwann auch wieder Leute in meinem Alter."

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